I.
Neun Tage lang werden im Petersdom Totenmessen für den verstorbenen Papst gefeiert, die sogenannten Novendiali. Am 1. Mai – in Italien festa dei lavoratori – findet die sechste dieser Feiern statt. Ich habe meinen Journalistenausweis von der Sala Stampa dabei, bin ziemlich früh dran und erhalte darum einen sehr guten Platz vor dem linken vorderen Vierungspfeiler des Petersdoms, ganz nah am Papstaltar. An diesem Tag sind die Mitarbeiter der Kurie besonders zur Teilnahme eingeladen. Langsam füllen sich die Reihen. Plötzlich nehmen links neben mir Schwester Nathalie Becquart und rechts neben mir Schwester Raffaela Petrini Platz, die von Papst Franziskus am 1. März noch vom Krankenbett in der Gemelli-Klinik aus zur Präsidentin des Governatorats ernannt wurde, die also die Leiterin der Regierung der Vatikanstadt ist. Ich frage mich kurz, ob ich hier richtig bin und drehe mich um. Tatsächlich, hinter den Stuhlreihen stehen die Journalistenkollegen mit ihren Kameras. Ich hätte mich vielleicht nicht unbedingt in die erste Reihe setzen müssen.
II.
Raffaella Petrini ist übrigens nicht die erste Frau in dieser Funktion. Das erklärte vor einiger Zeit der Vatikanexperte Ulrich Nersinger im Kölner "Domradio": Wenn Papst Alexander VI. für längere Zeit die Stadt Rom verließ, übergab er die Amtsgeschäfte auch an eine Frau: seine Tochter Lucrezia Borgia.
III.
Kurz bevor die Messe beginnt, räumen Helfer noch schnell eine Menge Stühle weg, die im Hauptschiff für die Kardinäle und Kurienbischöfe vorgesehen waren. Auch zahlreiche weitere Plätze in anderen Zonen scheinen freizubleiben. Der Hauptzelebrant ist Kardinal Víctor Manuel Fernández, der unter Franziskus Präfekt des Glaubensdikasteriums war. Er hält am Tag der Arbeit eine panegyrische Predigt über das besondere Verhältnis des verstorbenen Papstes zur Arbeiterschaft. Und doch scheinen die Mitarbeiter des Papstes bei diesem Gottesdienst nur spärlich vertreten zu sein. Immerhin arbeiten ja mehrere Tausend Menschen im Vatikan. Auch von den Kardinälen, die gerade zum Vorkonklave versammelt sind, sind weniger als die Hälfte anwesend.
IV.
Nach der Messe spreche ich beim Hinausgehen kurz mit jemandem aus der Mitarbeiterschaft und frage nach, ob mein Eindruck richtig ist und ob heute nicht eigentlich mehr Menschen hätten anwesend sein müssen. "Tja", lautet die ironische Antwort, "so sehr trauern die Kurienmitarbeiter um Papst Franziskus". Der Papst, so erfahre ich, habe gleich nach seinem Amtsantritt eine eigentlich zu diesem Anlass fällige Sondervergütung gestrichen. Seitdem habe sich das Verhältnis zur Kurie nicht sonderlich verbessert.
V.
Wie schon beim großen Requiem auf dem Petersplatz am Tag der Beisetzung fällt mir auch hier wieder auf, dass der Aspekt der Sündenvergebung und des Gebets für das Seelenheil des Verstorbenen in den Texten der Liturgie nicht sonderlich prominent zum Ausdruck kommt. Das Element, das am deutlichsten daran erinnert, ist der Psalm De Profundis, der zur Kommunion gesungen wird und in dem es heißt:
"Aus den Tiefen rufe ich, Herr, zu dir: Mein Herr, höre doch meine Stimme! Lass deine Ohren achten auf mein Flehen um Gnade. Würdest du, Herr, die Sünden beachten, mein Herr, wer könnte bestehn? Doch bei dir ist Vergebung, damit man in Ehrfurcht dir dient."
VI.
Einige Tage zuvor bin ich in der Kirche Santissima Trinità dei Pellegrini, wo die Liturgie im alten römischen Ritus zelebriert wird. Unter Papst Franziskus waren den Anhängern der alten Liturgie die Daumenschrauben angelegt worden. Aber falls es das Ziel war, diese Form zum Verschwinden zu bringen, dann wurde es nicht erreicht. In Santissima Trinità dei Pellegrini ist alles beim Alten. Und deswegen wird hier auch ein traditionelles Requiem mit den überlieferten Zeremonien, Gebeten und Gesängen für den Papst gefeiert. Das Ganze ist sehr, sehr ernst. Der Priester erinnert in seiner Predigt an die schwere Verantwortung, die mit dem Papstamt einhergeht. Es sei, meint er, wohl die schwerste Verantwortung, die Gott überhaupt einem Menschen übertragen könne.
VII.
Wie ernst die Sache ist, lässt sich an der Sequenz "Dies irae" ablesen, die in Santissima Trinità dei Pellegrini ein Kantor mit einer wundervollen Stimme von der Empore aus singt. Wenn Ihnen der Text nicht vertraut ist: Hier kann man ihn nachlesen. In der 1963 von den katholischen Bischöfen beim Zweiten Vatikanischen Konzil verabschiedeten Liturgiekonstitution "Sacrosanctum Concilium" heißt es: "Der Ritus der Exequien soll deutlicher den österlichen Sinn des christlichen Todes ausdrücken". In der Folge wurden die Gebete des Requiems überarbeitet und das "Dies irae" ganz gestrichen. Das hinderte zeitgenössische Komponisten wie Krzysztof Penderecki, Alfred Schnittke oder auch Andrew Lloyd Webber allerdings nicht daran, auch nach der Liturgiereform weiterhin das traditionelle Requiem zu vertonen.
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