I.
Der Abend der Wahl ist der Abend der spontanen Deutungen. Weitreichende Interpretation werden allein auf der Grundlage einer Namenswahl und einer fünfminütigen Ansprache verfasst. Manche Kommentare scheinen mehr Ausdruck von Projektionen und Wunschdenken zu sein als begründete Analysen. Diese Kaffeesatzleserei hat auch damit zu tun, dass es nur wenige öffentliche Äußerungen von Robert Prevost gibt. Er hat offenbar keine Bücher geschrieben; in den Sozialen Medien tauchen inzwischen ein paar ältere Vorträge von ihm auf, er hat da und dort auch ein Interview gegeben und auf seinem Twitter-Account gelegentlich Artikel geteilt.
II.
In den Sozialen Medien sehe ich angebliche Fotos der Heimatpfarrkirche von Robert Prevost in einem Vorort von Chicago: Sie wurde in den Fünfzigerjahren errichtet, heute ist sie verlassen, das Dach hat Löcher und die Wände sind mit Graffiti besprüht.
III.
Immer wieder wird auf den letzten Leo-Papst, also auf Leo XIII. und seine Sozialenzyklika "Rerum Novarum" verwiesen. Prevost stelle sich in den Tradition des "Arbeiterpapstes", heißt es. Doch Leo XIII. hat sich in zahlreichen weiteren Enzykliken auch zu anderen Themen geäußert. Unter anderem verfasst Schreiben gegen den Sozialismus, den laizistischen Staat, die Religionsfreiheit, die Freimaurerei und die staatliche Eheschließung, die Ehescheidung und vieles mehr.
IV.
Ein weiterer prominenter Leo-Papst ist übrigens Giovanni de' Medici. Leo X. hielt sich eine Hofnarren, liebte die Jagd, veranstalte Karnevalsumzüge und hatte einen privaten Zoo. Besonders liebte er seinen Elefanten, der auf den Namen Hanno hört. Leo X. hatte dann Scherereien mit einem deutschen Augustinermönch namens Martin Luther.
V.
Am Freitagmorgen feiert der neue Papst eine Messe mit den Kardinälen in der Sixtinischen Kapelle. In seiner Predigt sagt er:
"Vielfach wird Jesus, obwohl er als Mensch geschätzt wird, auch heute bloß als eine Art charismatischer Anführer oder Übermensch gesehen, und zwar nicht nur von Nichtgläubigen, sondern auch von vielen Getauften, die so schließlich in einen faktischen Atheismus geraten. Dies ist die Welt, die uns anvertraut ist und in der wir, wie Papst Franziskus uns so oft gelehrt hat, berufen sind, den freudigen Glauben an Jesus, den Erlöser, zu bezeugen. Deshalb ist es auch für uns unerlässlich, immer neu zu bekennen: ‚Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes‘ (Mt 16,16)."
Mir gefällt die Predigt. Der neue Papst lässt bislang keinen "Originalitätsdrang" erkennen, wie Christian Geyer in der FAZ bemerkt.
VI.
Am Nachmittag bin ich bei einer Pressekonferenz von Kardinal Reinhard Marx im Campo Santo Teutonico, einer deutschsprachigen Einrichtung im Vatikan. Lucas Wiegelmann von der "Neuen Osnabrücker Zeitung" fragt Kardinal Marx, an welche Impulse von Robert Prevost aus dem Vorkonklave er sich erinnern könne. Marx antwortet, er glaube, Prevost habe die Kurienreform angesprochen, er sei sich aber nicht ganz sicher, es hätten ja immerhin 150 Kardinäle geredet. Ganz offensichtlich hat Prevost nicht auf der Favoritenliste von Kardinal Marx gestanden.
VII.
Als Journalisten fragen, was der neue Papst wohl vom deutschen Synodalen Weg hält, sagt Marx unter anderem folgende Sätze: "Die Deutschen sollten mal ein bisschen ruhig bleiben." – "Wir haben noch größere Horizonte zu bearbeiten." – "Wir müssen zusammenkommen." – "Wir sind ja keine deutsche Kirche, sondern katholische Kirche in Deutschland". Synodaler Weg, war da was?
VIII.
Meine Konklave-Tagebuch endet hier. Das war das letzte "Rauchzeichen". Bleiben Sie uns gewogen!