Was ein Brustkreuz verrät, warum Kardinalsrot nicht einfach rot ist – und wieso sie ein Buch über religiöse Kleidung schreibt: Lisy Christl, Kostümbildnerin des Films "Konklave", spricht im Interview über Stil, Herkunft und Sprache von Kleidung in Kirche und Kino – und über ihre Eindrücke von den realen Ereignissen in Rom.

Benjamin Leven: Alle Welt schaut gerade den Film "Konklave". Sie haben die Kostüme gestaltet. Nun tragen beinahe alle Hauptfiguren darin die gleiche Kleidung, sind sozusagen uniformiert. Wie lässt sich dennoch durch diese Kleidung etwas von der Individualität der Figuren ausdrücken?

Lisy Christl: Es gibt Kardinäle, die in Rom residieren, und solche, die aus allen möglichen Ländern der Welt kommen. Wir haben uns genau überlegt, wer aus welchem Land kommt, welche Temperaturen dort normalerweise herrschen, und haben sie mit den entsprechenden Mänteln und Hüten ausgestattet. Das Persönlichste, was man einem Kardinal mitgeben kann, ist aber das Brustkreuz. Im Film gibt es zwei verschiedene Typen: goldene und silberne Kreuze. Es gibt in der Realität auch Kardinäle, die Holzkreuze tragen – Kreuze aus Holz von gekenterten Schiffen – aber wir haben uns dagegen entschieden, auch solche Kreuze zu zeigen, weil die Kamera Dinge nicht mag, die einer Erklärung bedürfen. Diese Kreuze hätten im Film ausgesehen wie Kinderkreuze. Die Kreuze im Film sind sehr unterschiedlich gestaltet, es gibt keines zweimal. Alle Stücke wurden von dem jungen Goldschmied Riccardo Penko in Florenz hergestellt.

Die Botschaften der Brustkreuze

Leven: Was sollen die verschiedenen Kreuze zum Ausdruck bringen? Ich hatte den Eindruck, die konservativen Kardinäle im Film tragen goldene, die progressiven silberne Kreuze.

Christl: Ja. Aber es gibt noch weitere Unterschiede. Zum Beispiel tragen die afrikanischen Kardinäle Kreuze, die ihren kulturellen Hintergrund erkennen lassen, und auch die ostkirchlichen Kardinäle haben natürlich die Insignien, die ihrer Tradition entsprechen.

Leven: Auch in der Realität scheint der Stil der Kleidung und der Insignien, die ein Kleriker wählt, oftmals ein politisches Statement darzustellen …

Christl: Es ist ja bekannt, dass Papst Benedikt verschiedene historische Kreuze aus Gold verwendete, die zum Teil auch mit Edelsteinen verziert waren, und Franziskus immer das gleiche, einfache Silberkreuz trug, das wir alle kennen. Aber ich möchte das gar nicht bewerten. Es gibt für jede dieser Entscheidungen gute Gründe, die man respektieren muss.

"Mir war das jetzige Kardinalsrot, dieses Orangerot, einfach zu laut. Man wird ja während des ganzen, langen Films konstant diese Farbe sehen. Das wäre für das Auge zu anstrengend gewesen. Das jetzige Kardinalsrot ist ohnehin erst seit der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil im Gebrauch. Ich habe etwa ein Jahr vor Beginn der Dreharbeiten im römischen Kostümverleih Tirelli eine originale Soutane von Kardinal Ottaviani in der Hand gehabt."

Leven: Was mir im Film ebenfalls aufgefallen ist, sind die dunkleren und wärmeren Farben. Das betrifft auch das Rot der Kardinalsgewänder. Man sieht im Film ein ganz anderes Rot als das, was wir derzeit in den Fernsehbildern aus Rom sehen können. Woran liegt das?


Christl:
Mir war das jetzige Kardinalsrot, dieses Orangerot, einfach zu laut. Man wird ja während des ganzen, langen Films konstant diese Farbe sehen. Das wäre für das Auge zu anstrengend gewesen. Das jetzige Kardinalsrot ist ohnehin erst seit der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil im Gebrauch. Ich habe etwa ein Jahr vor Beginn der Dreharbeiten im römischen Kostümverleih Tirelli eine originale Soutane von Kardinal Ottaviani in der Hand gehabt. Sie hatte ein völlig anderes Rot. Außerdem war sie aus schwerem Wollstoff und hatte ganz schweres Futter und dadurch eine viel stärkere Präsenz.

Leven: Auch im Film sind die Stoffe bei den Gewändern der Kardinäle, aber auch bei den Ordensfrauen viel dicker als in der Realität.

Christl: Ich finde, solche Stoffe haben einen ganz anderen Stand, ein anderes Volumen. So eine Entscheidung wird natürlich nicht von jetzt auf gleich gefällt. Wir haben sehr viele Informationen zusammengetragen, viel recherchiert, natürlich auch Gemälde angeschaut und haben mit Francesco Bonomo, einem römischen Professor für Liturgiewissenschaft, zusammengearbeitet.

Fiktive Gegenwart

Leven: Nun handelt es sich um einen Film, der in einer fiktiven Gegenwart spielt. Wie navigiert man zwischen historischen und gegenwärtigen Vorbildern?

Christl: Die Kirche ist ja eine Welt, die Gestern und Heute vereint. Es sind in dem Sinne ohnehin keine "zeitgenössischen Gewänder", sondern Gewänder, die ihren Ursprung im alten Rom haben und sich seitdem weiterentwickelt haben. Manche dieser Entwicklungen gefallen mir persönlich übrigens nicht – etwa die Tatsache, dass die Kardinäle heute alle individuelle Rochetts tragen. Das ist kein schönes Bild. Es verrät außerdem sofort, ob der Träger aus einer wohlhabenden oder einer ärmeren Diözese stammt. Das erkenne ich unter anderem an der Qualität der Spitzen und der Stickereien. Ich lehne mich damit vielleicht weit aus dem Fenster, aber ich glaube nicht, dass das richtig ist.

Leven: Filme und Serien über den Vatikan und den Papst sind ja so etwas wie ein eigenes Genre. Wenn man sich auf so eine Aufgabe vorbereitet, schaut man sich dann diese Dinge an?

Christl: Natürlich habe ich alles gesehen, was mit dem Thema auch nur im weitesten Sinne zu tun hat. Nicht so sehr zu Recherchezwecken, sondern um mich selbst irgendwie in diese Welt einzustimmen, die in Berlin, wo ich arbeite, sehr weit weg ist. Und natürlich auch, um zu sehen, wie es die Kollegen gemacht haben. Wir haben auch in dem Glauben begonnen, dass wir uns einfach an die Originale halten. Aber wir sind irgendwann an einen Punkt gekommen, wo wir gesagt haben: Das machen wir nicht. Das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber wenn ich solche Veränderungen vornehme, brauche ich für mich eine Art Erlaubnis. Dafür spielte eine Sache eine wichtige Rolle: Ich habe gelesen, dass der große spanische Designer Cristóbal Balenciaga als Kind Messdiener war, seinen Glauben auch gelebt hat und sich bei seinen Designs von katholischen Gewändern hat inspirieren lassen. Bei meinem ersten Rom-Besuch haben wir dann zeitgenössische Originale ausgeliehen, bei Gammarelli und allen gängigen Schneidern Stoffmuster gekauft. Ich war mit dem Regisseur des Films, Edward Berger und seinem Kameramann zusammen, und wir haben die Stoffmuster angesehen, wir haben bestimmt zehn Minuten lang diese Farbe auf uns wirken lassen. An diesem Tag fiel die Entscheidung, ein anderes Rot zu verwenden. Wir haben dann aus zehn Farbtönen drei Favoriten herausgesucht und sie an mehreren Orginalschauplätzen des Films getestet. So ist die Entscheidung gefällt worden.

"Für Ralph Fiennes, der im Film den Kardinal Thomas Lawrence spielt, war es schwer. Er hatte viele eigene Kontakte in Rom und war der Überzeugung, dass wir uns genau an die Vorlage halten sollten. Tatsächlich hatte ihn ein echter römischer Kardinal seine Chorkleidung anprobieren lassen."

Leven: Was hielten die Schauspieler davon?

Christl: Für Ralph Fiennes, der im Film den Kardinal Thomas Lawrence spielt, war es schwer. Er hatte viele eigene Kontakte in Rom und war der Überzeugung, dass wir uns genau an die Vorlage halten sollten. Tatsächlich hatte ihn ein echter römischer Kardinal seine Chorkleidung anprobieren lassen. Vom Original wegzugehen, war ein Schritt, bei dem wir Ralph Fiennes begleiten mussten.

Was bedeutet das alles?

Leven: Sie arbeiten gerade an einem Buch über religiöse Kleidung. Worum geht es Ihnen dabei?

Christl: Ich möchte den Status Quo abbilden. Es ist eine lange Reise. Der Fotograf Gerald von Foris und ich fotografieren Mönche und Nonnen, Priester, Bischöfe, Kardinäle und so weiter in ihrem jeweiligen Gewand, im Heute und Jetzt. Jeder von ihnen beantwortet auch einen Fragebogen. Gleichzeitig soll es auch ein informatives Buch werden: Wie heißen die einzelnen Kleidungsstücke und warum werden sie getragen? Was bedeutet zum Beispiel der Schleier einer Nonne? Dann geht es auch um die Menschen, die kirchliche Kleidungsstücke und Insignien herstellen: Weber, Goldschmiede, Schumacher, Hutmacher und so weiter.

"Wenn es um religiöse Kleidung geht, gibt es keine umfassende Literatur, anders als das beispielsweise bei Militäruniformen der Fall ist. Deswegen habe ich mich jetzt selbst daran gemacht."

Leven: Sind Sie durch die Arbeit an "Konklave" darauf gekommen, dieses Projekt in Angriff zu nehmen?

Christl: Nein, ich interessiere mich schon dafür, seit ich mit Terrence Malick an dem Film "Ein verborgenes Leben" über den seligen Franz Jägerstätter gearbeitet habe, in dem ja auch ein Bischof, Priester, Messdiener und so weiter zu sehen sind. Damals habe ich gemerkt, dass ich im Prinzip keine Ahnung über die Symbolik habe. Über diese Arbeit ist bei mir ein großes Interesse an dem Thema erwacht. Bei den Recherchen für "Konklave" stand ich dann wieder vor dem gleichen Problem: Wenn es um religiöse Kleidung geht, gibt es keine umfassende Literatur, anders als das beispielsweise bei Militäruniformen der Fall ist. Deswegen habe ich mich jetzt selbst daran gemacht. Ich hoffe, dass ich in zwei Jahren fertig bin. Es ist übrigens immer noch nicht so leicht, Menschen zu finden, die bereit sind, an dem Buch mitzuwirken. Man braucht immer jemanden, der einem die Türen öffnet. In Rom habe ich mittlerweile ganz solide Hilfe, in Deutschland ist es noch schwieriger.

Starke Bilder beim Requiem für Franziskus

Leven: Wie haben Sie die Trauerfeier für Papst Franziskus erlebt?

Christl: Es waren so starke Bilder, die mir sehr nahe gegangen sind. Ich glaube, es gibt niemanden, den das nicht berührt. Ich habe sehr viele Nachrichten bekommen an dem Tag.

Leven: Sprechen wir über ein Detail. Bei der Übertragung des Leichnams des Papstes von der Casa Santa Marta in den Petersdom einige Tage zuvor trug Kardinal Kevin Farrell einen prächtigen rot-goldenen Chormantel und zwei Diakone passende Dalmatiken. Im Franziskus-Pontifikat waren solche historischen Gewänder, obwohl natürlich reichlich vorhanden, im Vatikan selten zu sehen. Wie deutet man so etwas?

Christl: Theoretisch könnte man sagen, der Kardinal will damit etwas Neues einläuten. Vielleicht war es aber auch einfach Zufall. Ich kenne römische Schneider, die die moderneren Gewänder für eine Verrohung halten. Andere begrüßen den schlichteren Stil.

Leven: Bei der Trauerfeier trug der amerikanische Präsident Donald Trump einen dunkelblauen Anzug mit einer dunkelblauen Krawatte. Das wurde von einigen als Bruch mit dem Protokoll interpretiert, obwohl auch andere Teilnehmer dunkelblaue Anzüge trugen.

Christl: Was mich daran am meisten geärgert hat, war, dass die Medien sich so sehr damit beschäftigt haben. Wenn hinter der Wahl die Absicht stand, hervorzustechen, dann ist die Rechnung jedenfalls aufgegangen.

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