# 35 SchopfDie Religion ist eine haarige Angelegenheit

Welche Tonsur ist die richtige? Erkundungen über Kirche und Haartracht zwischen Frühmittelalter und Moderne.

Tonsur
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Die Religion ist eine haarige Angelegenheit – geworden. Besonders im Westen ist sie uns nicht mehr geheuer. Undurchsichtig und schwer beherrschbar, wie ein Medusenhaupt scheint uns alles, was nur einen leisen Anhauch des Religiösen besitzt. Ekelerregend und abstoßend, wie das Haar in der Suppe. Gelegentlich verschleiert. Oft mehr Toupet als lockiger Schopf.

Religion, das ist dünnes, schlohweißes, schütteres oder längst ausgefallenes Haar. Religion, das ist, wie auf einer Glatze Locken drehen, könnte man in Anlehnung an Karl Kraus behaupten.

Ersatzhaar für kahle Häupter

Zugleich wird besonders in den letzten fünfundzwanzig Jahren die Rückkehr der Religion vielerorts beschworen: Sie gewinne die Häupter der säkularen Metropolen dieser Welt neu, einer Haarverpflanzung gleich, die das Antlitz jugendlich – weniger verblüht – und zuversichtlich stimmt.

Zauderer hingegen wählen vielleicht nicht sofort eine Haartransplantation, sondern setzen sich nur hin und wieder eine Perücke auf, um sich den Anschein zu geben – ihr Haupt sei nicht kahl oder grau. Die Religion in der Moderne droht zum Accessoire oder zum Ersatzhaar zu verkümmern. Kostspielig simuliert sie auf unseren Köpfen eine vollere Lebendigkeit, die uns abhandengekommen zu sein scheint, während das noch vorhandene Haar nachverdichtet oder mit Extensions üppiger gemacht wird.

Am-Schopf-packen: Die Politik von Judith und Salome

Ist meine Haarpracht ein politisches oder ein ästhetisches Statement? Manche moralisieren die Frisuren. Meist sind es die Einfallslosen. Damit meine ich nicht einmal das lilagefärbte Achselhaar. Ich meine nicht den punkigen Vokuhila. Eher meine ich die einfallslose, ungefärbte, naturgraue Biederkeit derer, die Styles gegeneinander ausspielen: Praktische Kurzhaarschnitte, abgeschminkt und stumpf, jene, die Perücken nur in Verbindung mit der Onkologie zulassen – karitativ quasi. Bei anderen kommt diese Rückkehr der Religion wie ein ausrasierter Scheitel daher, streng, formbewusst, aber leider oft von Schuppen geplagt. Oder sind es jene mit den Betonfrisuren, diesen zwanghaft statischen Volumenarchitekturen der hohlen Kopfform?

Cristofano Allori (1577–1621): Judith mit dem Haupt des Holofernes
Cristofano Allori (1577–1621): Judith mit dem Haupt des Holofernes gemeinfrei/Wikimedia Commons

Wer packt dich am Schopf? Man denke an die alttestamentliche Judith, die gerade von den Assyrern belagert wird. Ist es Judith, die das Haupt des Holofernes am Schopf dem Betrachter hinhält? Sie hat ihn getötet und die Hebräer befreit. Oder ist es Salome am Hof des Herodes, die das Haupt von Johannes dem Täufer am Schopf hält und gerade auf eine Silberschale hinlegt? Sie hat ihn hinmorden lassen, weil er göttliche Gerechtigkeit vor weltlicher Macht betonte. Man sieht: Am Schopf packen ist nicht gleich am Schopf packen.

In meinen Recherchen zur religiösen Kapillarkunst, zum Haareschneiden und dem Frisieren, bin ich auf eine ganze Kirchengeschichte des Körperhaars gestoßen. Eine Story vom benediktinischen Chronisten des Nordens gebe ich wieder: Beda Venerabilis (ca. 672–735). Er berichtet vom Wandel der Kirche in Northumbria während des Frühmittelalters. Clanmäßig organisiert, bildeten Klöster die wichtigsten Institutionen, die das Evangelium im frühen Engelland ausgebildet hatte. Längst war die römische Kolonialisierung Britanniens verblasst. Diese Klöster entsandten ihre Missionare quer durch das bewaldete Europa.

Wie soll dein Haar sein?

Doch schon kam von Rom eine Abordnung des Heiligen Vaters herangaloppiert, um die Mönchlein zu visitieren und auf der Synode von Whitby die monastische Organisation der Kirche durch episkopale Strukturen zu ersetzen. Beda Venerabilis ist Zeuge dieser bitteren Kämpfe zwischen monastischer und episkopaler Tradition. Was ist besser? Die zurückgezogene, kontemplative Gemeinschaft, die perfekt in ihre Landschaft eingelassen ist, wo das Stundenbuch eine tiefe und innige Spiritualität gebiert? Oder sollte es anders sein: Eine episkopale Kirche mit Hauptstadt und Territorium, eine Kirche wie ein Landkreis, darin alles behördlich geordnet ist?

Die Geistlichen in Whitby jedenfalls, so berichtet Beda, stritten sich furchtbar in dieser Sache – nicht direkt, aber bezüglich der Anschauung. Eine Frage der Fraktionen lautete: Welche Tonsur ist besser? Braucht es die monastische Tonsur, wie ein Delta dreieckig, fächerartig vom Nacken zur Stirn hin geschnitten, oder ist die kreisrunde episkopale Tonsur, wie sie in Rom üblich war, vorzuziehen? Wie soll dein Haar sein: rund oder eckig?

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