#6 TätowiermaschineDas surrende Offizium in der Heiligen Stadt

In der Jerusalemer Altstadt werden seit unvordenklicher Zeit Pilgertattoos gestochen. Von den Tätowierern kann die Kirche eine wichtige Lektion lernen.

Wassim Razzouk tätowiert seinen Kunden Tylor Butler in seinem Laden in Jerusalem am 28. Dezember 2017.
© Silke Fries/KNA

Die erste Tätowiermaschine in Jerusalem hatte sein Urgroßvater eingeführt, erzählt mir Wassim Razzouk einmal. Damals schloss er sie an eine Autobatterie an, damit er mit dem Gerät mobil blieb. Ab da ging alles schneller, genauer und hygienischer. Doch was für ein surrendes Offizium vollzieht sich da in der Jerusalemer Altstadt? Die Familie Razzouk tätowiert bekanntlich in sechsundzwanzigster Generation. Sie gehört zur koptischen Minderheit in der Stadt und ihr Repertoire an christlichen Motiven ist bei Pilgerinnen und Pilgern beliebter als Wasser aus dem Jordan, Öl aus der Grabeskirche oder Rosenkränze mit Plastikperlen vom Kiosk. 

Der Glauben verlangt nach Zeichen, Zeichen verlangen nach Gestalt und die Gestaltung bedarf der Instrumente. Heute verwendet der Urenkel Wassim wie viele andere Tätowierer eine Rotationsmaschine, um die schwarze Tinte in die menschliche Haut einzubringen.

In einem Interview sagt mir Wassim Razzouk vor einigen Jahren, bevor er seinen Familienbetrieb zu einer weltweit agierenden Lifestyle-Marke entwickelt hat: "Es ist doch so, denke ich, wenn Christen ins Heilige Land kommen, die heiligen Stätten und Kirchen besuchen, dort beten, ihre Taufe im Jordan erneuern, dann wird auch ihr Glaube erneuert. Sie fühlen sich neu belebt und wie neu geboren in ihrem Glauben. Sie haben dann oft das Gefühl, etwas in ihrer Seele sei berührt worden und dann wollen sie auch eine Tätowierung als ein äußerliches Zeichen auf ihrem Körper dafür, damit ihre Seele auch in einem neuen Zeichen steht." Hier lebt der Tätowierer die höchst produktive christliche Materialkultur (oder christlicher Materialismus?) – ganz ähnlich, wie der italienische Päpste-Schneider und Mode-Designer Filippo Sorcinelli, der unter anderem neben vielen spirituell anregenden Hautpflegeprodukten den wundervollen Duft "Sacristie des arbres" kreiert hat.

Ein Memento für die Begegnung mit Gott

Aber zurück nach Jerusalem. Die christliche Frömmigkeit kennt mannigfaltige Formen, so auch die handtellergroßen Klötzchen aus Olivenholz, in die kleine Motive eingeschnitzt sind – ein heiliger Georg mit Drachen, ein Himmelfahrtchristus, das Jerusalemkreuz. Sie reihen sich ein in einen ganzen Kosmos an Votivgaben, Souvenirs und andere Gegenstände, die das persönliche Gebet unterstützen, wie der Rosenkranz oder das Brevier. Diese aus Olivenholz gefertigte Klötzchen dienen den Tätowierern in Jerusalem, aber auch in Ägypten und Syrien dazu, das Motiv in seinen Umrissen auf die gewünschte Körperstelle aufzudrücken, damit anschließend die Tätowierung durchgeführt werden kann. Manchmal muss es schnell gehen, wenn eine ganze Pilgergruppe vor dem Studio in der St. Georges Street 31 steht und gleich weiter auf die Via Dolorosa möchte.

Die Tätowierung ist die älteste Form der sakralen Kunst. Besonders im bildfreudigen Christentum nehmen Gläubige die Möglichkeit wahr, ihre Begegnung mit Gott in einem Memento festzuhalten. Nun muss die kirchliche Seelsorge ebenso affirmativ zum Körper zurückfinden. Neben der Salbung mit Öl und dem Auflegen von Asche braucht es mehr Momente, die seine Heiligkeit ausdrücklich machen. Von Tätowiererinnen und Tätowierern kann die Kirche den Respekt vor dem Körper erneut lernen. Ein Anfang könnte der Tattoo-Segen sein. Hier ein Vorschlag: "Gott offenbarte sich in Namen und Zeichen. Er erlöste uns eingeboren und gezeichnet. So seist du gesegnet. Amen". Oder am besten Lateinisch: "Deus se nominibus et signis revelavit. Ipse nos redemit natos et insignivit. Sic benedictus sit tibi. Amen."

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