Welche Würde?Das Selbstbestimmungsgesetz beeinträchtigt Frauenrechte und gefährdet Jugendliche

Gegen alle Einwände setzt die Ampel-Koalition das Selbstbestimmungsgesetz durch – und beruft sich dabei auf die katholische Kirche. Doch die Positionen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und des Vatikans liegen weit auseinander.

Alina Oehler
© Carsten Schütz

"Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein Gesetz, das die Würde des Menschen stärkt. Und genau das haben auch die Kirchen deutlich gemacht". So äußerte sich Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung unter Verweis auf ein Votum des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Muss der Bundesbeauftragte wissen, dass das ZdK nicht "die Kirche" ist? Auf das jüngste Menschenwürde-Schreiben des Vatikans "Dignitas Infinita" hätte sich Lehmann jedenfalls nicht berufen können. Schon im vergangenen Jahr war deutlich geworden, dass auch der deutsche Katholizismus in der Frage nicht mit einer Stimme spricht. Während eine Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe vor Risiken warnte, begrüßte das ZdK das Gesetz. Und für den "Bund der katholischen deutschen Jugend" (BDKJ) gingen die Pläne noch längst nicht weit genug.

Wo bleibt die staatliche Schutzpflicht?

Was das neue Gesetz ermöglichen soll, bringt auch Teile der feministischen Szene in Rage: Der Vorname und der Geschlechtseintrag können nun beim Standesamt mit einer einfachen Erklärung ohne vorzulegendes Gutachten oder Arztbesuch geändert werden. Und das alle 12 Monate. Ab 14 Jahren sogar ohne die Zustimmung der Eltern – im Konfliktfall entscheidet ein Familiengericht. Umgekehrt sollen Eltern kleiner Kinder über deren Geschlechtseintrag frei entscheiden können. Für die Grünen ist damit das Ende einer "staatlichen Bevormundung" erreicht, ich frage mich: Wo bleibt die staatliche Schutzpflicht?

Wer diese Warnungen, gerade im Blick auf die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, einfach übergeht, dem geht es nicht mehr um gute Lösungen, sondern um das Durchsetzen einer Ideologie.

In anderen Ländern rudert man bei dem Thema bereits zurück. Wie in den Niederlanden, wo kürzlich ein ähnliches Gesetz wieder verworfen wurde. In England ging der "Cass-Report" durch die Presse, der im Blick auf Kinder und Jugendliche deutlich machte, dass die meisten Betroffenen von einer psychologischen Behandlung mehr profitieren als von medikamentösen und hormonellen Eingriffen. Bisher bekamen die jungen Patienten häufig sogenannte Pubertätsblocker. Diese Behandlung hat der britische Nationale Gesundheitsdienst (NHS) jetzt eingestellt. Ähnliches wird aus Finnland, Norwegen, Schweden und Australien berichtet. Wer diese Warnungen, gerade im Blick auf die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, einfach übergeht, dem geht es nicht mehr um gute Lösungen, sondern um das Durchsetzen einer Ideologie.

Man mag einwenden, dass das neue Gesetz gar nichts zu Transitionen, also medizinischen "Geschlechtsangleichungen" sagt. Allerdings hatte einige Wochen vor der Verabschiedung des Gesetzes eine Kommission medizinischer Fachgesellschaften neue Leitlinien zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit "Geschlechtsdysphorie" vorgestellt, die keinerlei Altersgrenzen für Hormonbehandlungen, Brustamputationen und Genital-Operationen mehr vorsehen. Ein Zufall?

Prominente Kinder- und Jugendpsychiater haben im Verlauf der Debatte deutliche Warnungen ausgesprochen.

Wer das Gesetz und die neue Leitlinie kritisiert, zieht sich den Vorwurf zu, Betroffene zu beleidigen, gar als psychisch Kranke anzusehen. Die Zahl der "geschlechtsangleichenden Operationen" hat sich in Deutschland von 2007 bis 2021 mehr als versechsfacht. Aber ist es wirklich der richtige Weg, junge Menschen solchen risikoreichen und nicht reversiblen medizinischen Behandlungen zu unterziehen? Prominente Kinder- und Jugendpsychiater haben im Verlauf der Debatte deutliche Warnungen ausgesprochen. Alexander Korte etwa spricht von einem "Zeitgeistphänomen" und meint, es gebe nur eine "kleine Subgruppe von geschlechtsdysphorischen Jugendlichen, bei denen tatsächlich eine profunde und zeitlich überdauernde Geschlechts­identitätstransposition im Sinne einer Transsexualität vorliegt". Es sei aber schwer, diese zu identifizieren: "Weil wir nicht in die Zukunft blicken können, beziehungsweise weil es keine sicheren Prädiktoren dafür gibt." Die Verwendung von Pubertätsblockern lehnt er ab.

"Dignitas infinita" in der Kritik

Dass manche Feministinnen jetzt zusätzlich von einer historischen Niederlage für Frauen sprechen, muss ebenfalls aufhorchen lassen. Sie sagen: Wenn das biologische Geschlecht derart entwertet wird, macht es kaum mehr Sinn, für Frauenrechte zu kämpfen. Frauenquoten erübrigen sich, Trans-Frauen stechen im Sport biologische aus und Schutzräume für Frauen geraten in Gefahr, wie Beispiele aus anderen Ländern bereits zeigen. Mir als Frau bereitet das Sorge.

Das Vatikan-Papier "Dignitas Infinita" ist dafür kritisiert worden, dass es gegenüber "geschlechtsverändernden Eingriffen" skeptisch ist, sie gar als Gefahr für die "einzigartige Würde des Menschen" ansieht und sie auf die "Behandlung genitaler Anomalien" beschränkt sehen möchte. Gleichzeitig hat sich Papst Franziskus schon öfter mit Transpersonen getroffen und findet ermutigende Worte für sie. Er macht deutlich, dass uns das Evangelium auffordert, alle Menschen willkommen zu heißen – besonders die, die ausgegrenzt und diskriminiert werden.

Andererseits hat er 2016 in "Amoris Laetitia" geschrieben: "Die Schöpfung geht uns voraus und muss als Geschenk empfangen werden. Zugleich sind wir berufen, unser Menschsein zu behüten, und das bedeutet vor allem, es so zu akzeptieren und zu respektieren, wie es erschaffen worden ist." Ein Satz, der in dem Kontext provoziert und den man sich öffentlich kaum auszusprechen traut. Ich würde mir wünschen, mehr Kirchenvertreter hätten auch hierzulande den Mut dazu – zumal es dem entspricht, was der Kinder- und Jugendpsychiater Alexander Korte sagt: Studien würden belegen, dass die meisten Jugendlichen sich später mit ihrem Geburtsgeschlecht aussöhnen.

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