Der letzte Linke?Franziskus folgte keinem Parteiprogramm, sondern dem Evangelium

In der ZEIT hat Giovanni di Lorenzo die Frage gestellt, ob Papst Franziskus der letzte Linke sei. In Zeiten, wo in den USA die disruptive Politik von Donald Trump und in Russland die Expansionsgelüste Wladimir Putins die Verhältnisse bestimmen, kann man diese Frage durchaus stellen. Doch sind politische Kategorien geeignet, ein Pontifikat zu beurteilen?

Papst Franziskus
© Vatican Media/Romano Siciliani/KNA

Lässt sich Franziskus als Sympathisant linker politischer Ideen porträtieren? Leicht lassen sich Kontrapunkte setzen: Franziskus hat sich klar gegen Abtreibung ausgesprochen und für den unbedingten Schutz des menschlichen Lebens am Anfang und am Ende votiert. Immer wieder hat er Abtreibungsärzte einmal als "Auftragsmörder" bezeichnet (zuletzt auf dem Rückflug von seiner Belgien-Reise am 30. September 2024, wodurch er eine "diplomatische Krise" auslöste). Bei aller pastoralen Sensibilität für Homosexuelle hat er sich geweigert, gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit der sakramental geschlossenen Ehe zwischen Mann und Frau gleichzustellen. Der spontane Segen, den Fiducia supplicans ermöglicht hat, gilt den Personen, nicht ihrer Verbindung. Franziskus wollte eine Verwechslung mit der Ehe in jedem Fall ausschließen. Auch hat er die Komplementarität der Geschlechter in Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehrtradition verteidigt, der gezielten Umkodierung der Geschlechterchoreografie stand er reserviert gegenüber, ja er hat von einem "weltweiten Krieg" gesprochen, "die Geschlechterunterschiede auszulöschen", das sei "gegen den natürlichen Plan Gottes" (Ansprache an die Bischöfe Polens vom 27. Juni 2016). Seine Betonung der besonderen Würde der Frau verband er mit einer Hervorhebung von weiblicher Empathie und der "Mutterschaft als Gabe Gottes" (Amoris Laetitia, 173), das hat Feministinnen auf die Palme gebracht.

Diese Positionen sind in der politischen Nomenklatur nicht links. In Deutschland wären sie noch unter Helmut Kohl als CDU-nah eingestuft worden. Dem Vorschlag einer deutschen Moraltheologin, die Kirche solle ihre Ablehnung der Abtreibung überdenken, da sie hier in die Nähe der AfD gerate, hätte bei Franziskus, der sich mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gut verstanden hat, Stirnrunzeln provoziert. Die advokative Solidarität mit den Stimmlosen hätte er nicht zur Disposition gestellt.

Universale Geschwisterlichkeit

War Papst Franziskus deshalb also "rechts"? Nein. So kompromisslos er in Familien-, Geschlechter- und Lebensschutzfragen war, so "offen" war er auf anderen gesellschaftspolitischen Gebieten, dem Einsatz für Arme, Gefangene und Migranten. Giovanni Di Lorenzo, der in der ZEIT das einzige deutschsprachige Interview mit Papst Franziskus geführt hat, erinnert mit Recht an seinen ersten Besuch auf der Insel Lampedusa, wo er die "Globalisierung der Gleichgültigkeit" angeprangert hat. Seine Migrationspolitik der offenen Arme hat ihr Fundament in seiner Theologie der universalen Geschwisterlichkeit. Diese hat Franziskus zuletzt noch einmal gegen den amerikanischen Vizepräsidenten J.D. Vance geltend gebracht, der unter Rückgriff auf das Konzept des "Ordo Amoris" für eine gestufte Solidarität und damit eine restriktivere Migrationspolitik eintritt.

Auch hat Franziskus in der Enzyklika Laudato Sí das ökologische Bewusstsein geschärft und angesichts der dramatischen Folgen des Klimawandels die "Sorge um das gemeinsame Haus der Erde" zum Ausdruck gebracht. Dabei hat er sich auf die Schöpfungsspiritualität des Poverello aus Assisi bezogen. Schließlich sind seine Dialog-Offerten gegenüber dem Islam bemerkenswert gewesen. In der Erklärung von Abu Dhabi (2019) hat er gemeinsam mit dem Groß-Imam der Al-Azhar-Universität ein öffentliches Bekenntnis zu Frieden, Toleranz und interreligiöser Geschwisterlichkeit abgelegt. Also ist Franziskus doch "links"?

Giovanni di Lorenzo sagt selbst darauf, dass die politischen Kategorien von rechts und links nur begrenzt geeignet sind, ein Pontifikat zu beurteilen. Zugleich vertritt er aber die These, dass Papst Franziskus in migrationspolitischen und ökologischen Fragen "der letzte Linke" auf der politischen Weltbühne gewesen sei. Doch der Maßstab für den Nachfolger Petri ist nicht ein politisches Programm oder gar das Kommunistische Manifest, sondern das Evangelium und die Prinzipien der katholischen Soziallehre.

Wer Franziskus als Linken deklariert, bringt ihn gegen die Rechten in Stellung – und umgekehrt. Als Advokat des Friedens und der Gerechtigkeit aber muss Franziskus überparteilich agieren. Auch in der Kirche muss der Papst Lagerbildungen überwinden, hat als Oberhaupt der katholischen Kirche die Aufgabe, für alle zu sprechen.

Die Friedensdiplomatie des Heiligen Stuhls, die sich oft anstößig lange weigert, einen Aggressor als solchen zu bezeichnen, um Kommunikationskanäle offenzuhalten, orientiert sich an friedensethischen Grundsätzen, nicht als linker Politik. Genauso speist sich der Einsatz für Arme, Gefangene und Migranten aus theologisch-spirituellen Quellen.

Wer Franziskus als Linken deklariert, bringt ihn gegen die Rechten in Stellung – und umgekehrt. Als Advokat des Friedens und der Gerechtigkeit aber muss Franziskus überparteilich agieren. Auch in der Kirche muss der Papst Lagerbildungen überwinden, hat als Oberhaupt der katholischen Kirche die Aufgabe, für alle zu sprechen.

In dem von ihm angestoßenen Modell einer synodalen Kirche wollte Franziskus daher strittige Fragen gemeinsam angehen und schwelende Konflikte im Lichte des Wortes Gottes einvernehmlich lösen. Eine synodale Kultur des Zuhörens, die den Punkt in der Meinung des anderen aufnimmt, hatte die Absicht, simplifizierende Schablonen und die damit verbundenen Polarisierungsdynamiken in der Kirche zu überwinden. Wird diese Absicht aber nicht konterkariert, wenn man Papst Franziskus als den letzten Linken auf der politischen Weltbühne feiert?

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