Wie schafft man 400 Filme in zehn Tagen?Sie müssen jetzt entscheiden

Ich will doch nichts verpassen! Dieser Gedanke ist wenig zielführend - weder bei der Berlinale, noch im richtigen Leben.

Eins steht fest: Für entscheidungsschwache Leute ist die Berlinale nichts. Denn meistens laufen gleich mehrere interessante Filme gleichzeitig. Anders wären ja auch 400 Werke in zehn Festivaltagen kaum unterzubringen. Wie aber geht man mit dieser Fülle um?

Den Takt gibt natürlich der Wettbewerb vor, das Rennen um die „Bären“, die Königsdisziplin. In der Regel bekommen die Jury und wir Journalisten die Gelegenheit, drei Wettbewerbsfilme am Tag zu sehen: einen gleich um 9 Uhr, einen um die Mittagszeit, einen am Nachmittag. Jeweils schließt sich eine Pressekonferenz mit Regisseur, Schauspielern und Produzent an. Allein mit diesem Reigen wäre der Tag also schon gut ausgefüllt.

Was aber, wenn man noch andere Filme sehen will? Das ist natürlich unbedingt zu empfehlen! Denn wer will sich schon mit der extremst ab- und ausgewogenen Wettbewerbsauswahl zufriedengeben? Dann kann man zum Beispiel auf den Abend oder in die Nacht ausweichen – sofern man noch aufnahmefähig ist (und keinen Blog-Beitrag verfassen muss). Oder aber man lässt bewusst eine Lücke bei den Wettbewerbsfilmen und sieht sich anderweitig um.

Ich hatte heute für 9 Uhr die Wahl zwischen zwei Filmen zu einem ähnlichen Thema. Im Wettbewerb lief der deutsche Beitrag „Der Boden unter den Füßen“ von Marie Kreutzer. Das ist, so stand es im Programmheft, eine Charakterstudie, die „zeigt, dass es manchmal nur ein schmaler Grat ist, der die Gegensätze Ordnung und Chaos, Aufstieg und Abstieg voneinander trennt“. Parallel wurde in der experimentelleren „Panorama“-Sektion der Film „All my loving“ gezeigt, ebenfalls eine deutsche Produktion (Regie: Edward Berger). Das Werk erzählt nacheinander von drei Geschwistern, die älter geworden sind. Früher hätte man gesagt: sie kommen gerade in die Midlife-Krise. Der Text im Programmheft beschrieb es so: „Intensive Charakterstudien, die das Bild einer unsicheren Generation in einer sich rasant verändernden Welt umreißen.“

Zweimal also nahezu dasselbe Thema, aus demselben Land. Im einen Fall vielleicht etwas opulenter umgesetzt, als wirkliches „Big Picture“; im anderen Fall eher als Fernsehspiel. Ich habe mich heute für die „kleinere“ Variante entschieden. Dabei hatte ich einen Literaturprofessor im Ohr, der mir einmal sagte: Wer einer Epoche wirklich nahekommen will, darf nicht nur die Meisterwerke sehen, sondern muss auch die Dinge wahrnehmen, die ein bisschen jenseits davon liegen.

Mit meiner Wahl heute bin ich ganz zufrieden. Obwohl, man weiß ja nie – zumindest nicht in diesem Leben -, wie es gewesen wäre, wenn ich mich anders entschieden hätte. Womöglich habe ich ja den großartigsten Film aller Zeiten verpasst? Zumindest den Bären-Gewinner? Kann schon sein.

Das ist aber nicht halb so brisant wie die Ausweitung dieser Frage auf ein ganzes Leben. Interessanterweise hatten alle Filme, die ich heute gesehen habe, genau dies zum Thema. Durch meine Entscheidungen bin ich der, der ich eben bin. Aber wie „zufällig“ beziehungsweise wie „bewusst“ waren diese Entscheidungen? Großes Kino!

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