Philemonbrief

Der Philemonbrief (Phlm) zählt zu den unbestritten echten Paulusbriefen. Paulus und Timotheus schreiben an Philemon, Aphia (Philemons Frau?) und Archippus, der in Kolossä einen »Dienst versieht« (Kol 4,17). Auch Onesimus (Phlm 11f.15f) gehört zur dortigen Gemeinde (Kol 4,9). Die vielfachen Bezüge zu Kolossä legen diese kleinasiatische Stadt als Bestimmungsort des Briefes nahe. Abfassungsort und -zeitraum lassen sich jedoch nur aus Hinweisen erschließen. Paulus schreibt den Brief aus der Gefangenschaft (Phlm 1.9f.13.22f). Der Apostel sendet Onesimus zu Philemon, seinem Herrn, in der Hoffnung, ihn als Gehilfen zurückzubekommen (Phlm 12–14). Nimmt man den Plan des Apostels hinzu, nach seiner Freilassung die Adressaten bald besuchen zu wollen (Phlm 22), liegt eine nicht allzu große Entfernung zwischen dem Ort der Gefangenschaft des Apostels und dem der Adressaten nahe. Damit scheiden die weiter entfernten Städte Rom (Apg 28,16–31) und Cäsarea (Apg 23,23–26,32) aus. Es bleibt Ephesus als wahrscheinlicher Abfassungsort. Die Gefangenschaft dort wird zwar nirgends im Neuen Testament ausdrücklich erwähnt, aber sie kann vermutet werden (vgl. 1 Kor 15,32; 2 Kor 1,8f; 11,23f). Nach Apg 19 (vgl. 1 Kor 16,8) hatte Paulus über mehrere Jahre in der Hauptstadt der römischen Provinz Asien gewirkt. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, die Abfassungszeit des Phlm zwischen 53 und 57 n. Chr. anzunehmen.

Der Phlm ist der kürzeste aller Paulusbriefe; er enthält sämtliche für den Apostel typischen Stilmerkmale: Auf das Präskript, den Briefeingang (Phlm 1–3; vgl. Röm 1,1ff; 1 Kor 1,1ff; 1 Thess 1,1ff), folgt das Proömium mit Danksagung und Fürbitte (Phlm 4–7; vgl. Röm 1,8–15; 1 Kor 1,4–9; 1 Thess 1,2–10). Der Brief wird abgeschlossen mit Vertrauensbezeugung (V. 21f), Grüßen (V. 23f) und Segenswunsch (V. 25). Der Hauptteil umfasst die Verse 8–20: In ihm hält Paulus Fürsprache für den Sklaven Onesimus (ein weitverbreiteter Sklavenname, denn griechisch steht onésimos für »nützlich«), der durch Paulus zum christlichen Glauben gefunden hat (V. 10). Paulus, der »geistliche Vater«, nennt Onesimus einen »geliebten Bruder« (V. 16; vgl. Kol 4,9), der ihm in der Gefangenschaft so treue Dienste geleistet hat, dass er ihn am liebsten behalten würde (V. 13). Für allen materiellen Schaden, der Philemon durch den Sklaven entstanden war, will der Apostel geradestehen (V. 19). Insgeheim – so klingt es an (V. 13.21) – hofft Paulus darauf, dass Philemon den Onesimus wieder zu ihm zurückschickt.

Der Phlm ist ein Empfehlungsbrief und damit wohl der persönlichste aller Paulusbriefe. Aber er stellt nicht nur Philemon, sondern die ganze Hausgemeinde vor die Entscheidung, ob Onesimus als »Gemeindegesandter« seine durch Christus gewonnene Freiheit zusammen mit Paulus in den Dienst des Evangeliums stellen darf. Der Phlm ist die Nagelprobe des von Paulus verkündeten Grund satzes: »In Christus … ist nicht Sklave noch Freier … denn ihr seid allesamt ›einer‹ in Christus Jesus« (Gal 3,27f; vgl. 1 Kor 12,13; aber auch Kol 3,22–4,1; 1 Tim 6,1f; 1 Kor 7,20f). Zwar fordert der Apostel nicht prinzipiell die Abschaffung des Sklaventums, doch legt er eine Spur in dieser Richtung: Die Verbundenheit in der Liebe Christi verändert das Verhältnis Herr – Sklave von innen her. So illustriert der Phlm, welche sozialen Auswirkungen der christliche Glaube auf die Gesellschaft haben kann.

Christian Rose

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