Ijob (Hiob)

Inhalt

Das Ijobbuch erzählt die Geschichte eines Mannes namens Ijob, der von schwerem Leid getroffen wird: Er verliert seinen Besitz, seine Dienerschaft und seine Kinder (1,13–19) und wird schließlich mit Aussatz geschlagen (2,7). Den Hintergrund dieser Schicksalsschläge bildet ein Gespräch im Himmel zwischen Gott und dem Satan (1,6–12; 2,1–6). Ijob wird in der Erzählung als gerecht und gottesfürchtig vorgestellt (1,1–5). Doch der Satan unterstellt, Ijobs Frömmigkeit sei eigennützig: Er diene Gott allein deshalb, weil er persönlich einen Vorteil davon habe (1,9). Um den Vorwurf zu überprüfen, gestattet Gott dem Satan, Ijob schweres Leid zuzufügen. Ijob, der von der Disputation im Himmel nichts weiß, nimmt zunächst sein Leid aus der Hand Gottes ergeben an (1,20–22; 2,9). Schließlich besuchen ihn seine drei Freunde, um ihn zu trösten (2,11–13). Nach einer Zeit siebentägigen Schweigens bricht es aus Ijob heraus: Er klagt und verflucht den Tag seiner Geburt (3). An dieser Klage entzündet sich eine lange Auseinandersetzung zwischen Ijob und seinen drei Freunden (4–31). Ijob beklagt die Sinnlosigkeit seines Leids. Seine Klage steigert sich zur Anklage Gottes. Seine Freunde weisen die Maßlosigkeit seiner Klage zurück. Sie unterbreiten ihm unterschiedliche Deutungsangebote in Bezug auf seine Lage: Er möge das Leid aus der Hand Gottes annehmen; möglicherweise sei es eine Strafe für eine verborgene Schuld; er solle sich mit ganzem Herzen Gott zuwenden. Ijob weist das Ansinnen seiner Freunde zurück. Es kommt zum Zerwürfnis. In zunehmendem Maße wendet sich Ijob klagend und anklagend an Gott. Er fordert ihn zu einer Antwort heraus (31,35–40). Bevor Gott antwortet, ergreift ein vierter Freund, von dem der Leser bisher nichts erfahren hat, das Wort: Elihu (32–37). Er äußert seine Unzufriedenheit mit dem Verlauf des Streitgesprächs und unterbreitet Ijob seinerseits ein theologisch fundiertes Deutungsangebot. Schließlich antwortet in zwei großen Reden Gott, der hier mit seinem Namen JHWH eingeführt wird (38,1–40,2; 40,6–41,26). In seiner Reaktion auf die Gottesreden erklärt Ijob den Streit für beendet (40,3–5). Wonach er so sehr verlangt hat (19,26), wird ihm am Ende zuteil: Gott zu schauen noch vor seinem Tod (42,5). Im abschließenden Epilog tadelt Gott die Freunde (42,7–9). Ijob bringt auf Geheiß Gottes ein von ihnen finanziertes Opfer dar, um sie zu entsühnen. Ijob selbst wird wiederhergestellt (42,10–17): Er erhält seinen Besitz in doppeltem Maße zurück, bekommt erneut sieben Söhne und drei Töchter und stirbt hochbetagt und lebenssatt.

Gliederung und Gedankengang

Das Buch gliedert sich in drei Teile: Prolog (1–2), Dialog (3–42,6) und Epilog (42,7–17). Prolog und Epilog sind in Prosa gehalten und bilden den Rahmen um den in Poesie verfassten Dialogteil. Sieben Tage und sieben Nächte sitzt Ijob mit seinen Freunden auf der Erde. »Keiner redete ein Wort mit ihm, denn sie sahen, dass sein Schmerz sehr groß war.« (2,13) Danach öffnet Ijob sei nen Mund und verflucht den Tag seiner Geburt und die Nacht seiner Empfängnis. In erschütternden, tief in der menschlichen Seele verwurzelten Bildern spricht hier ein zu Tode getroffener Mensch: »Warum starb ich nicht vom Mutterschoß weg, kam ich aus dem Mutterleib und verschied nicht gleich? … Warum schenkt er dem Elenden Licht und Leben denen, die verbittert sind?« (3,1.20) Eine tiefe Todessehnsucht spricht sich in der ersten, großen Klage Ijobs aus. Das geht seinen Freunden zu weit. Sie erheben Einspruch. Es kommt zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Ijob und seinen Freunden. Sie gliedert sich in drei große Redegänge (Kap. 4–28).

Der erste Redegang (Kap. 4–14) kreist um die Frage: Muss Ijob leiden, weil er Schuld auf sich geladen hat? Gleich in seiner ersten Rede greift Elifas, der Wortführer der drei Freunde, diese Frage auf: »Bedenke doch: Wer geht ohne Schuld zugrunde, und wo kommen Redliche um? Wohin ich auch schaue: Die Unrecht pflügen, die Unheil säen, die ernten es auch.« (4,7f) Damit wird ein Grundgedanke alttestamentlicher Weisheitstheologie aufgegriffen: der sogenannte Tun-Ergehen-Zusammenhang. Dieser besagt: Einem Menschen ergeht es so, wie er sich verhält. Wer Gutes tut, dem ergeht es gut, wer Schlechtes tut, dem ergeht es schlecht: »Wer Unrecht tut, hat keinen Bestand, doch die Wurzel der Gerechten sitzt fest.« (Spr 12,3)

Elifas greift in seiner programmatischen Eröffnungsrede einen weiteren Gedanken auf: die Leidenspädagogik Gottes. »Ja, glücklich der Mensch, den Gott zurechtweist, die Zucht des Allmächtigen verwirf nicht! Er fügt zwar Schmerzen zu, doch er verbindet auch, er schlägt, doch seine Hände heilen.« (5,17f) Was Ijob in seinem Leid widerfährt, so Elifas, ist eine Art von Erziehung. Diese kann bisweilen auch schmerzlich sein, letztlich aber bringt sie den Menschen voran. Durch das Leid erlangt er jene Reife, wie die »der Garben, die man einbringt zu ihrer Zeit« (5,26). Was Ijob widerfährt, ist eine Form göttlicher Erziehung, die es anzunehmen gilt. Zwar schlägt Gott, doch seine Schläge wollen weder schaden noch töten, sondern heilen und retten (vgl. Spr 3,11f; Hebr 12,5f). Der Gedanke der Leidenspädagogik Gottes wird im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung vor allem von Elihu, dem vierten Freund, aufgegriffen und entfaltet (Kap. 32–37).

Ijob lässt sich durch all die gut gemeinten Worte seiner Freunde das Klagen nicht verbieten. In seiner Antwort auf Elifas nennt er zum ersten Mal Gott als den für sein Leid Verantwortlichen: »Die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir … die Schrecken Gottes stürmen gegen mich.« (6,4) Damit klingt die ungeheure Spannung an, die ein monotheistisches Bekenntnis auszuhalten hat: Heil und Unheil können nicht auf verschiedene Götter verteilt werden. Ein Gott verwundet, ein anderer heilt – mit einer solchen Rollenverteilung versucht der Polytheismus den vielfältigen und oft widerstrebenden und in Spannung zueinander stehenden menschlichen Erfahrungen gerecht zu werden. Der biblische Monotheismus dagegen bekennt: Derselbe Gott verwundet und verbindet (5,18). »Ich bin es, der tötet und der lebendig macht.« (Dtn/5 Mose 32,29) Jetzt erfährt Ijob diesen Gott, einen »Angreifer- Gott«. Dennoch erwartet er Hilfe von Gott. Doch sein Wunsch klingt paradox: Gott möge ihn töten, »das wäre noch ein Trost für mich« (6,10). Immer wieder kommt für Ijob der Tod als Erlösung in den Blick (vgl. 3,11.21). Er spürt, dass der erlösende Tod nur von Gott gegeben werden kann. Doch dieser Gott weigert sich. Ijob erfährt ihn als grausam, weil er ihn quält, aber nicht tötet.

In Ijobs Worten werden Grundzüge biblischer Anthropologie und Theologie auf den Kopf gestellt. Bittet der Beter in der Not gewöhnlich um die Zuwendung Gottes, so bittet Ijob, Gott möge sich von ihm abwenden. »Herr, wende dich mir zu und errette mich«, bittet der Beter von Psalm 6. »Schau doch her, erhöre mich, Herr, mein Gott«, heißt es in Psalm 13,4. Ijob dagegen: »Wann endlich schaust du weg von mir, willst mich in Ruhe lassen? « (7,19) Ijob erfährt die Nähe Gottes als Bedrohung, ja, als Angriff. Eine Befreiung von diesem Gott würde ihm Erleichterung verschaffen.

Entstehung

Die meisten Exegeten rechnen damit, dass das Ijobbuch in der vorliegenden Gestalt nicht von einem Autor stammt, sondern eine längere Entstehungsgeschichte aufweist. Vereinfachend gesprochen kann man sich an einem dreiphasigen Entstehungsmodell orientieren:

(1) Zum ältesten Bestand dürfte die Rahmenerzählung 1,1–2,10; 42,10–17 gehören. Sie kann als eine in sich geschlossene theologische Lehrerzählung verstanden werden, in Art einer Novelle. In ihr wird ein volkstümlicher Sagenstoff erzählerisch gestaltet, der noch in Ez 14,12–23 greifbar ist: Ein Gerechter namens Ijob wird von schwerem Leid heimgesucht. Er bewährt sich in dieser Situation, indem er das Leid annimmt und den Namen JHWHs preist. JHWH wendet am Ende das Geschick dieses Gerechten.

(2) In einer späteren Phase wurde die Erzählung wahrschein lich aufgesprengt und durch den umfangreichen Dialogteil (2,11– 27,23;29–31;38–42,6) erweitert. Die in der Rahmenerzählung anvisierte Lösung wird problematisiert, Ijob wandelt sich vom Dulder zum Rebell. In dieser Form gehört das Buch zur Auseinandersetzungsliteratur.

(3) Noch einmal später wurden sehr wahrscheinlich die Elihureden eingefügt (32–37). In ihnen wird versucht, aus der Ausweglosigkeit herauszuführen, in der die Auseinandersetzung zwischen Ijob und seinen drei Freunden geendet hatte. Zudem leiten die Elihureden zu den anschließenden Gottesreden über. Wahrscheinlich ist auch das Lied über die Weisheit (28) eine spätere Ergänzung.

Aufgrund seiner kritischen Auseinandersetzung mit traditionellen Wissensgehalten und anderen Büchern der Schrift dürfte das Buch – zumindest in der durch den Dialog erweiterten Gestalt – nicht zu den ältesten Werken israelitischer Weisheitsliteratur zu rechnen sein. Als Entstehungszeit kommt am ehesten der Zeitraum vom 6. bis zum 2. Jahrhundert v. Chr. infrage.

Vom Glauben zum Schauen

In den Gottesreden wird Ijob vom Glauben zum Schauen geführt. Als ein gottesfürchtiger, das heißt: als ein gläubiger Mann wird Ijob zu Beginn der Erzählung vorgestellt (1,1). Zunächst schien es so zu sein, als könne er das schwere Leid, das ihn getroffen hatte, im Glauben bewältigen. Doch als nach einem zweiten satanischen Schlag und nach siebentägigem Schweigen das ganze Ausmaß des Elends zum Vorschein kam und immer tiefer in sein Bewusstsein eindrang, begann sein Glaube zu zerbrechen. Hellsichtig haben das seine Freunde erkannt. Mit einem »Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht« (Hebr 11,1), konnte sich Ijob nicht mehr zufriedengeben. Zu groß war die Not, die ihn getroffen hatte. Mit Gott selbst wollte er in Kontakt kommen und nicht nur mit dem, was über ihn gesagt wird (vgl. 13,1–3). Tatsächlich ist ihm dies gelungen. So ist folgerichtig im Schlussteil der Erzählung (42,7–17) nicht mehr davon die Rede, dass Ijob Gott fürchtet, dass er an Gott glaubt. Er ist den Weg des Glaubens zu Ende gegangen und ein Schauender geworden. In der Erzählung heißt es, dass er noch hundertvierzig Jahre (so) gelebt habe (42,16).

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