Sieben Thesen zur „missionarischen Pastoral“ Zur Renaissance eines fast vergessenen Begriffs:

Nachdem der Begriff der Mission lange Zeit aus dem theologischen Wortschatz verschwunden schien, erlebte er in den vergangenen Jahren eine Renaissance und fand auch Einzug in die Pastoraltheologie. Heute gilt Mission wieder als Wesenszug der Kirche. Ottmar Fuchs skizziert sieben Thesen zur „missionarischen Pastoral".

Was ist Pastoral? 

Das Zweite Vatikanum hat ein umfassendes Verständnis von Pastoral: Nach der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes" beinhaltet das pastorale Handeln nicht nur die Erfahrungen und die Tätigkeiten der Hauptamtlichen, sondern versteht alle getauften und gefirmten Gläubigen als Basis der Pastoral der Kirche. Aber nicht nur der Personenkreis der Pastoral erweitert sich, sondern auch der Inhalt: pastorales Handeln beinhaltet nicht nur Verkündigung und Gottesdienst, sondern auch alle Bereiche der Nächstenliebe und der Diakonie. 

Diese inhaltliche Erweiterung der Pastoral kann sich in authentischer Weise auf den Pastor bonus, auf den „guten Hirten" Jesus Christus selbst beziehen, der immer beides verbunden hat, das Wort und die Tat, die Verkündigung des Glaubens an einen erlösenden und liebenden Gott genauso wie die Darstellung dieses Glaubens im heilenden und versöhnenden Umgang mit den Menschen. 

Mission zur Pastoral 

Zu einer solchen Pastoral, wie sie der Pastor bonus vorlebt, sind auch diejenigen ausgesandt (vgl. Lk 10,1- 9), die diese Botschaft genauso, nämlich in Wort und Tat, weitertragen. Der Missionsauftrag bezieht sich also auf das, was beim Pastor bonus selbst die Pastoral ausmacht. Dazu ist Jesus Christus in die Welt gekommen, um uns diese Art von Pastoral darzustellen und zu ermöglichen. 

Innerhalb der gesamten Pastoral kann man dann sehr wohl unterscheiden zwischen einer Mission zur Pastoral im engeren Sinn (nämlich zugunsten des Glaubens) und zu einer Mission zur Diakonie und Caritas, wenn man dabei nicht vergisst, dass sich beide gegenseitig benötigen und erschließen, nicht immer gleichzeitig und von den Situationen der Menschen und Institutionen her in unterschiedlicher Weise dringend, aber doch prinzipiell im Horizont des je anderen Teils der Pastoral. 

Dabei handelt es sich nicht nur um eine Mission zur Pastoral in Glaube und Diakonie, sondern auch um eine in sich missionarische Glaubensverkündung und um eine in sich missionarische Diakonie, weil das Missionsvorzeichen auch innerhalb des Bereichs des Glaubens wie auch der Diakonie eine ganz bestimmte Dynamik bewirkt: es ist die Dynamik der andauernden Bedarfs und der Nichtabschließbarkeit der frohen Botschaft in Wort und Tat in dieser Welt. Das „bis an die Enden der Welt" bringt diese Dynamik zum Ausdruck, in ihrer Spannung zwischen faktischer Unmöglichkeit und prinzipieller Notwendigkeit (vgl. Mk 16,15). 

Nicht nur Mission als Missionsauftrag, sondern auch als Missionsruhe

Man könnte das Ganze als großes Überforderungsprogramm missverstehen, wenn man dabei die Spannung aus dem Blick verliert: es gibt nicht nur den Auftrag zur pastoralen Verkündigung und Diakonie, sondern auch den Auftrag, darin zur Ruhe zu kommen: Den Ausgesandten sagt Jesus: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus." (Mk 6,31). Jesus selbst hat genau diese Spannung immer wieder vorgelebt: er sorgt sich um die Menschen, um ihr Gottvertrauen genauso wie um ihre Heilungen und Versöhnungen. Aber dies kann ihn nicht abhalten, wochenlang in die Wüste zu gehen, in die Einsamkeit und Stille, um dort zur Ruhe zu kommen und sich seiner eigenen Beziehung zu seinem Vater wieder inne zu werden. 

Dies ist eine eigenartige Verbindung von Zeitnotstand und Zeitwohlstand, von Missionsauftrag und Missionsruhe, wobei allerdings der Missionsbegriff beides umfasst, die Tätigkeit und die Ruhe. Dieser Aspekt der Entlastung ist Jesus auch in anderen Zusammenhängen sehr wichtig: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen." (Mt 11, 28, vgl. auch Mt 6,25). Beides benötigt sich gegenseitig: damit die Pastoral nicht in selbstzerstörerischem Aktivismus erstickt und ihre Wurzeln in der Gnade Gottes verliert, damit aber auch umgekehrt die Pastoral sich nicht in Trägheit zur Ruhe setzt und das Erreichte, das doch immer Vorletztes ist, als Letztes betrachtet.

Alle menschliche Mission wurzelt in der Selbstmission Gottes 

Von Gnade war bereits die Rede. In der Mission zur Missionsruhe (was die Mission durch Menschen anbelangt) kommt sie zur besonderen Erfahrung und verhindert darin jede Gewalttätigkeit gegenüber sich selbst wie auch gegenüber den andern. Wofür gibt diese „Ruhe" Raum? Für die Wahr-Nehmung jenes Gottes, den Jesus verkündigt, und der im Christusgeschehen schon alles getan hat und der in Christus am Ende der Zeiten selbst das Reich Gottes „bis an die Enden der Welt" herstellen wird. Noch bevor Menschen missionarisch handeln, hat Gott schon missionarisch gehandelt. Hier kommt in den Blick, dass diese Mission Gottes, zu der er sich in Jesus Christus hineinbegeben hat, allem voran geht, dass der Pastus bonus immer zuerst eine Gabe und erst in dieser Gabe Aufgabe ist. Bevor wir uns um das Reich Gottes sorgen, hat er sich längst darum gesorgt, und zwar in einer vollkommenen Weise, auch wenn diese Vollkommenheit erst eschatologisch offenbar werden wird (vgl. Mt 6, 25). 

Gott hat uns in Christus zuerst geliebt, als Sünder und Sünderinnen, noch bevor wir uns verändert haben. Und er liebt alle Menschen in dieser Weise, noch bevor sie sich verändert haben (vgl. 1 Joh 4, 10). Uns ist der Glaube geschenkt, dass alle Menschen von Gott unbedingt geliebt sind, noch bevor sie etwas getan haben, als Schuldig-Gewordene, als religiös Gleichgültige, als Nichtchristen und Nichtchristinnen, als Atheisten und Atheistinnen. Der Glaube ist nicht die Bedingung der Liebe Gottes, sondern die Auskunft darüber, dass alle Menschen bedingungslos von Gott geliebt sind, damit sie sich verändern können. Wir Gläubige sind von Gott nicht mehr geliebt als andere Menschen. Gottes Liebe ist nicht teilbar. 

Der Unterschied ist aber der, dass wir im Glauben von diesem Gott authentisch wissen, dass er alle Menschen liebt und retten will. Wir dürfen dies vor allem in den Feiern der Sakramente erleben. Denn es ist ein großer Unterschied, ob mich jemand liebt, und ich weiß in Worten und Zeichen davon und kann mein Leben entsprechend gestalten, oder ob mich jemand liebt, und ich weiß nichts davon. Die Mission besteht darin, allen Menschen in Wort und in der eigenen Existenz genau diese frohe Botschaft zu verkünden: dass sie von Gott geliebt sind, und immer zuerst einmal ohne Wenn-Dann und ohne Wenn und Aber. Dafür steht - und dies vor allem im Paulus-Jahr - eine konsequente Auslegung der Rechtfertigungstheologie des Apostels Paulus. 

Erlösung von Eroberungsphantasien 

Nach einer zum Teil blutigen Christentumsgeschichte im letzten Jahrtausend steht uns jetzt eine neue Missionsgeschichte bevor: nämlich Gott ohne Wenn-Dann-Drohungen als das unendliche Geheimnis der unbedingten Liebe Gottes zu verkünden, so sehr, dass darin Unendlichkeit und Unbedingtheit sich gegenseitig ins Unerschöpfliche steigern: semper maior, immer größer als wir sie uns vorstellen können. Wie weit die Menschen dann auf diesen Glauben aufmerksam werden, sich in ihn hineinbegeben und von diesem Bewusstwerden, von Gott in dieser Weise geliebt zu sein, ihr Leben gestalten, liegt nicht in unserer Macht, sondern in der Kraft des Geistes Gottes selbst. Dieses Nicht-im-Griff-haben-Können und -Müssen dessen, was die pastorale Mission bewirkt, entlastet uns selbst vor Gotteskomplexen und bewahrt die Anderen vor Zwangsstrategien jeder Art. 

Viele Menschen, nicht zuletzt auch viele Gläubige, unterstellen dem christlichen Glauben nach wie vor die fundamentalistische Einstellung zwischen innen und außen als die Unterscheidung zwischen Heil und Unheil, zwischen Glaube und Vernichtung. Der eigene Glaube ist dann die Bedingungsleistung dafür, dass man dem Heil Gottes zugehört. Auch interreligiös wird sich das Christentum diesbezüglich auf eine alternative Mission im dritten Jahrtausend einlassen und darin ihre eigene Identität profilieren: nämlich dass es solche Bedingungen für die Liebe Gottes nicht gibt, dass Gott darin zu mikrig gedacht wird, nämlich nicht mehr in der Verbindung von Liebe und Gott und darin von Liebe und Unendlichkeit. Genau das wird zur entscheidenden Unterscheidung zwischen Mission und Mission werden: ob der christliche Glaube selbst der in allen Religionen lauernden Versuchung nachgibt, das, was ihm von Gott her geschenkt ist, offen oder ganz sublim in einem „Wenn-Dann- Gefüge" in seine Verfügungsgewalt zu bringen, am schlimmsten dann, wenn in dieser Verfügung auch verfügt wird, dass Gott mit den Nichtdazugehörigen nichts zu tun habe. 

Dies ist auch eine Auseinandersetzung innerhalb des Christentums selbst, wo insbesondere dessen fundamentalistische Anteile mit wieder verschärften Ausgrenzungen und Höllendrohungen insbesondere in den Vereinigten Staaten, aber auch zunehmend in Lateinamerika und Europa zahlenmäßig explodieren. Es ist halt zu verführerisch, eine immer mehr komplexere und pluralere Welt derart in ein Schwarz-weiß-Korsett zu bringen und diese auch noch mit einem dafür zurechtgestutzten ungöttlichen Gott, also einem Götzen, zu begründen. 

Mission in endzeitlicher Hoffnung

Benedikt XVI. macht in seiner Enzyklika „Spe salvi" (Rom 2007) unmissverständlich deutlich, dass sich die Möglichkeit der Hölle eben nicht auf Glaube oder Unglaube bezieht, sondern auf den Gegensatz zwischen gut und böse. Er spricht von „Menschen, die dem Hass gelebt und die Liebe in sich zertreten haben. Dies ist ein furchtbarer Gedanke, aber manche Gestalten gerade unserer Geschichte lassen in erschreckender Weise solche Profile erkennen. Nichts mehr wäre zu heilen an solchen Menschen, die Zerstörung des Guten unwiderruflich: Das ist es, was mit dem Wort Hölle bezeichnet wird." (Nr. 45). 

Die Reaktion des kommenden Richters auf die Menschen wird also nicht primär festgemacht am Glauben, sondern an dem, was auch Jesu Weltgerichtsrede in Mt 25 verdeutlicht: nämlich wie solidarisch beziehungsweise zerstörerisch Menschen gelebt und gehandelt haben: „Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben…" (Mt 25, 34). Und dann ist es immer noch eine Frage, ob nicht in der Konfrontation solcher abgrundtief böser Menschen mit Gottes unendlicher Versöhnung letztere nochmals stärker sein kann als deren Bosheit. Entsprechende Hoffnung ist uns erlaubt, im Griff einer „Lehre" haben wir sie nicht! 

Ohne Gnade keine Mission 

Vor aller Mission, die den Gläubigen aufgetragen ist, steht die Mission, deren schenkender Verursacher Gott selbst ist. In der Gottesverkündigung Jesu Christi kommt diese Vorgabe als allem vorausgehende und alles vollendende Gnade Gottes zum Vorschein, bedingungslos geschenkt und darin alles an Hingabe ermöglichend, sowohl im Bereich der Aktivität wie auch im Bereich der Ruhe, wobei letztere den Raum für die ausdrückliche Aufnahme der Mission Gottes, seiner Gnade also, eröffnet. 

Den Gläubigen ist die Gnade der Offenbarung im Pastor bonus (mit allen anderen Offenbarungsschriften der Bibel) gegeben. Diese im Gottessohn sich ereignende Mission Gottes für die Welt geschieht in Wort und Tat. Der Glaube selbst thematisiert in sich genau diesen Zusammenhang von Gabe und Aufgabe, von Zuspruch und Anspruch, von Gnade und ihrer geschichtlichen Erfahrung. Diese Gabe wird zur Aufgabe in einer doppelten Weise, nämlich davon zu verkünden und diese Verkündigung im Leben der Kirche darzustellen. Und genau dies mündet wiederum in das, was die Kirche erfahrungs- und tätigkeitsmäßig ausmacht, nämlich in ihre eigene pastorale Sendung. Auf diesem Hintergrund ist die Mission für die Gläubigen nicht ein von außen kommendes „Muss" und damit in der Kirche nicht immer nur unter der Perspektive des „Wir müssen…" zu verhandeln. Mission ist etwas, was aus dem innersten Bereich der Pastoral Gottes uns selbst gegenüber herausdrängt, aus der Erfahrung der Liebe Gottes in Verkündigung, in den Sakramenten und im Glauben der Kirche und so von der Gnade Gottes her ihre Dynamik erhält. 

Ohne die inhaltliche und spirituelle Verbindung und Verwurzelung der Mission in der bedingungslosen Gnade Gottes wird sie zum Machwerk der Menschen, ihrer Bedingungen, Ausgrenzungen und gegenseitigen Überforderungen. So geht es bei der Mission nicht um eine militante Neuerfassung verlorener Gebiete: denn alle Gebiete und alle Menschen sind bereits von Gottes Liebe erfasst. Auf dieser Basis geht es dann allerdings um die wichtige Aufgabe, den Menschen davon ein tiefes Bewusstsein zu schenken, so dass sie ihr Leben aus dieser Liebe Gottes heraus gestalten können, wo immer sie in anderen Bereichen und Religionen sind und bleiben, oder dass sie, wenn der Geist Gottes es ermöglicht, sich dem Bereich der Kirche nähern. Nicht die Kirche, sondern die Liebe ist das Ziel, auch für die Kirche. 

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