Praxisbezogene AnmerkungenMultireligiöse Schulgottesdienste

Seit gut zehn Jahren hat sich an einigen, längst nicht an allen Schulen, die Gewohnheit eingebürgert, dass die muslimischen Kinder in die gottesdienstlichen Feiern mit einbezogen werden. Sie müssen nicht mehr eigens beaufsichtigt (oder gar heimgeschickt) werden. Doch die Art und Weise der Gestaltung und die theologische wie schulische Verantwortung dieser Feiern ist nicht von Anfang an klar gewesen. Kein Zweifel, mittlerweile sind Chancen wie Gefahren dieser Feiern erkannt worden: Hier sollen die Ursprünge dieser Feiern, ihre Gestaltungsmöglichkeiten und ihre Grenzen kritisch bedacht werden.

Bereits vor zwanzig Jahren hat Papst Johannes Paul II. Vertreter der großen Religionen (darunter Buddhisten und Hindus) sowie Autoritäten der orthodoxen Kirche und auch afrikanischer Naturreligionen in die Franziskusstadt Assisi eingeladen (1986). Nach Fasten und Gebetsgottesdiensten an verschiedenen Orten in der Stadt kamen alle Vertreter der Weltreligionen in der Sterbekirche Portiuncula des Franziskus im Halbkreis und auf gleicher Höhe mit Johannes Paul II. zusammen. In dieser ersten multire- ligiösen Feier wurden verschiedene Gebete, Rezitationen und Schriftlesungen nacheinander vorgetragen. Es folgten symbolische Gesten wie der Friedensgruß und die gemeinsame Unterzeichnung einer Friedenserklärung. Der Sinn der multireligiösen Feier lag darin begründet, der Welt nach einem schwerwiegenden Ereignis ein Zeichen des Friedens zu geben, miteinander Solidarität angesichts dieser Ereignisse zu bekunden und das Friedenspotential der Religionen zu bezeugen. Nach dem Krieg auf dem Balkan (1993) und nach den terroristischen Akten vom 11. September (2001) hat der Papst multireligiöse Feiern wiederholt. 

Johannes Paul II. begründete das Modell Assisi mit der Zusammengehörigkeit aller Geschöpfe und dem göttlichen Ebenbildcharakter eines jeden Menschen. Er sprach mit der konziliaren Pastoralkonstitution Gaudium et Spes (1-3) von der „Menschheitsfamilie", die als Schicksalsfamilie zusammengehöre. 

Multireligiöse Feiern nach Unglücken und in Schulen 

Multireligiöse Feiern gab es dann mit großer Selbstverständlichkeit nach Unglücksfällen, bei denen Angehörige verschiedener Religionen Unfallopfer waren oder gar den Tod gefunden hatten. Das miteinander erlebte Schicksal schweißte die Betroffenen und Hinterbliebenen zusammen, so dass das Bedürfnis entstand, das grauenhafte Ereignis auch gemeinsam in einer Feier zu bedenken und zu verarbeiten. Hierbei empfahl es sich, die Angehörigen der verschiedenen Religionen nicht auszuschließen, sondern gleichberechtigt zum Zuge kommen zu lassen, oft auch im Verbund mit staatlichen Autoritäten. Es wurde gebetet vor den Särgen der Verstorbenen, Fürbitten gesprochen, Texte rezitiert oder gesungen und symbolische Abschiedsrituale vollzogen. Solche multireligiösen Feiern wurden von den Betroffenen als große Hilfe erfahren. Sie bringen die Solidarität der Hinterbliebenen zum Ausdruck und verweisen auf einen tieferen, nicht machbaren religiösen Sinn des Lebens. 

In den Schulen sind multireligiöse Feiern etwa zu Beginn oder am Ende des Schuljahres üblich, bei außerordentlichen Anlässen (zum Beispiel Jubiläen) oder anderen Begebenheiten. Die Motivation zu multireligiösen Feiern liegt im Bedürfnis junger Menschen, das in der Schule erfahrene und miteinander geteilte Leben auch in gemeinsamen Feiern zum Ausdruck zu bringen. Wenn das Schuljahr beginnt, wenn es zu Ende geht, wenn ein besonderer Anlass ansteht oder ein Unglück geschehen ist, entsteht oft eine innere Bereitschaft nach Bewältigung im Ritual. Dadurch ergibt sich die Chance, an den geistlichen Reichtümern anderer Religionen (und Konfessionen) teilzuhaben - mit den Worten der Evangelischen Kirche von Westfalen: 

„In einer gemeinsamen Feier liegt die Chance, Frieden, Toleranz und Versöhnung einzuüben und gleichzeitig zum Ausdruck zu bringen, dass es Menschen verschiedener religiöser Prägungen sind, die sich täglich begegnen und den Lebensraum Schule miteinander teilen." (Evangelische Kirche von Westfalen, Multireligiöse Feiern, Bielefeld 2004, S. 12.) 

Bedenken gegen multireligiöse Feiern 

Während Kardinal Joachim Meisner keine Bedenken gegen multireligiöse Feiern Erwachsener äußerte, verwahrte er sich gegen multireligiöse Schulfeiern in seinem Bistum. Als Hauptargument gegen solche Feiern nannte er „Verwirrung" im Bewusstsein der Kinder, die noch nicht genügend im eigenen Glauben sozialisiert seien. Hinzu kam seine Befürchtung, katholische Gottesdienste würden dadurch an den Rand gedrängt oder gar aufgegeben. 

Es ist zuzustimmen, dass eine einseitige Praxis von nur mehr exklusiv multireligiösen Feiern in der Tat der religiösen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen nicht förderlich wäre. Es wäre dann keine Möglichkeit mehr gegeben, in der Schule durch eine konfessionelle Feier im eigenen Glauben heranzuwachsen und eine gewisse Beheimatung und Identität zu erfahren. Eine solch einseitige Praxis mit nur mehr multireligiösen Gottesdiensten käme wohl einer Verarmung der heute variantenreichen Schulkultur gleich. 

Regeln für multireligiöse Feiern 

Die verantwortlichen Religionsgemeinschaften, auch die deutsche Bischofskonferenz, haben mittlerweile Regeln aufgestellt, die für multireligiöse Feiern zu beachten sind, nicht zuletzt um etwaige Missverständnisse abzuwehren: 

a) Es geht nicht um interreligiöse Feiern mit gemeinsam gesprochenen Gebetstexten, weil diese zwar schon an den einen und selben Gott gerichtet sind und weil Juden, Christen und Muslime den einen und selben Gott anbeten; nur sind die theologischen Konzepte dieses Gottes in den Religionen verschieden. Freilich, die „abrahamitischen Religionen" sind bekanntlich alle drei monotheistische Religionen, doch bekennt das Christentum den einen Gott als dreieinen oder dreifaltigen Gott. 

b) Nacheinander folgende Texte oder Gebete, während die anderen aufmerksam zuhören! Diese zweite Richtlinie zielt auf sukzessives Vortragen von Gebeten und Fürbitten, von Rezitationen und Gesängen aus den jeweiligen religiösen Traditionen. Würde gemeinsam gebetet und gesungen, bestünde die SCHWERPUNKTTHEMA 7 Gefahr einer Vermischung unterschiedlicher Glaubensbekenntnisse. 

c) Multireligiöse Gottesdienste sollen gründlich vorbereitet werden. Dazu gehört ein Sich-Kennenlernen der Angehörigen der verschiedenen Religionen und die Einigung auf ein Thema sowie die Absprache der verschiedenen Beiträge wie auch des Ortes. Der Sinn der Feier ist ein Zeugnisgeben vom eigenen Glauben, aber keine Vereinnahmung und kein Proselytismus. 

d) Sinnvoll ist auch der Bezug zu einem Thema, auf das hin eine multireligiöse Feier formuliert wird, um das die Vertreter der Religionen ihre Gedanken und Elemente gestalten können. Folgende Gestaltungselemente können in multireligiösen Feiern verwendet werden: 
Lieder 
Lesungen aus Heiligen Schriften 
Gebete und Fürbitten 
Meditationen 
Gesänge 
Ansprache 
Symbolische Gesten 
Künstlerische (zum Beispiel musikalische) Elemente 

Es versteht sich von selbst, dass es sich inhaltlich und strukturell um Wort-Gottes-Feiern, nicht um katholische Eucharistiefeiern handelt und diese niemals in Konkurrenz zu den religionsspezifischen Gottesdiensten auftreten. Schülerinnen und Schüler brauchen zudem einführende Erläuterungen zum Sinn solcher Feiern. Werden diese dargelegten Regeln beachtet und eine „multireligiöse Feier" nicht mit einer „interreligiösen Feier" verwechselt, können solche Gottesdienste zu einem bereichernden, sinnvollen und horizonterweiternden Erlebnis werden. Erfahrungsberichte bescheinigen multireligiösen Schulgottesdiensten jedenfalls ein gutes Zeugnis. 

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