Kinder brauchen Liturgie, in ihrer Feier berührt sie der HimmelLiturgie in der Schule

Die Schulentwicklung geht seit Jahren von Projektlernen und Projektentwicklung aus. Umso erstaunlicher ist es, dass die Vernetzung von Liturgieprojekten im Religionsunterricht und aus dem Religionsunterricht heraus mit dem sonntäglichen Gottesdienst kaum praktiziert wird.

In den Kindergärten ist diese Praxis üblicher. Erntedank, Muttertag und andere in den Kindergärten vorkommenden Projektthemen werden in den sonntäglichen Gottesdiensten gefeiert. Dies ist nicht einfach eine „Aufführung" dessen, was im Kindergarten wochenlang erarbeitet wird. Die Gestaltung muss so sein, dass es zu einer eigenständigen Feier kommt, die allerdings mit den Überlegungen in dem jeweiligen Projekt der letzten Wochen zu tun haben soll. 

Kinder brauchen Liturgie

Über die alltäglichen Schubladen hinaus eröffnet sich in Schulgottesdiensten eine tiefe Gemeinsamkeit: Wir alle können uns auf Gott ausrichten, zu ihm beten und werden damit auf Gott hin als Bezugspunkt ausgerichtet und entsprechend „erlöst" aus der Fixierung auf Immanenz. Liturgie ist „Unterbrechung des Üblichen": Wir Menschen sind mehr als Lehrer und Schüler: Vor Gott einmalig und radikal geliebt. Für eine „Schulkultur" ist eine alltagstaugliche und vor allem entwicklungspsychologisch erschlossene Liturgie von großer Bedeutung. 

Liturgie in multikulturellem Umfeld 

Aber es sind ja auch Schüler anderer Religionen in den Schulen … Selbstverständlich ist die Ausgangslage konkret zu beachten. Die Bundesrepublik Deutschland allerdings ermöglicht im öffentlichen Raum die Ausübung von Religion und damit auch die Feier von Gottesdiensten. Wie der schulorganisatorische Rahmen aussieht, ist vor Ort zu entscheiden. In der Regel sind Gottesdienste am Schuljahresanfang, zu Weihnachten, vor Ostern und am Schuljahresende bei entsprechend sensibler, aber auch entschiedener Vorbereitung möglich. Muslimische Schülerinnen und Schüler sind bei einem solchen Gottesdienst, der in der Regel auf dem Schulgelände stattfindet, eingeladen. Sie dürfen aber nicht „übermächtigt" werden, die christlichen Gebete mitzusprechen. Die Diskussion über multireligiöse Gottesdienste ist noch nicht zu Ende. Was jetzt schon sicher ist: Der Status der „Gastfreundschaft" ist bei solchen Gottesdiensten die seriöseste Möglichkeit. Analoges Beispiel ist das gemeinsame Friedensgebet von Papst Johannes Paul II. in Assisi, bei dem auch nicht alle Religionen dasselbe Gebet zu Gott gesprochen haben. Aber sie zeigen Respekt voreinander in ihrer Gebetspraxis. 

Umgekehrt kann es auch sinnvoll sein, dass christliche Kinder als Gäste bei einem muslimischen Gottesdienst dabei sind, den es zukünftig auch in Schulen geben wird. 

Meine eigene Erfahrung: Liturgien zu Anlässen im Kirchenjahr mit der eigenen Klasse zu entwickeln und diese gemeinsam als „Projekt" im Religionsunterricht zu entwickeln und aus dem Religionsunterricht heraus zu feiern, ist die unkomplizierteste Möglichkeit, Kindern die liturgische Dimension des christlichen Weges zu erschließen, ihnen dadurch zu ermöglichen, sich diese Dimension kindgemäß in gemeinsamer Vorbereitung, gemeinsamen Ideen, selbst zu erschließen. 

Erwerb liturgischer Kompetenz 

Die theologischen Dimensionen des christlichen Weges - Martyria, Diakonia und Liturgia - sind als Strukturprinzip für den Kompetenzerwerb und die Themen im Religionsunterricht zugrunde zu legen. Die liturgische Kompetenzerweiterung von Kindern und Jugendlichen ist vielfach aus dem Blick geraten, dabei ist diese bildungstheoretisch für das Verständnis des christlichen Weges und seine Handlungsorientierung unerlässlich. Liturgische Kompetenz für Kinder und Jugendliche ist zu differenzieren: 

  • Die Wurzeln und die Bedeutung von liturgischen Handlungen und Strukturen kennen und verstehen.
  • Beten, Singen, Rituale, körperliche Ausdrucksformen als „Durchkreuzung des Üblichen" verstehen und als „Horizonterweiterung" praktizieren.
  • Beten und Feiern als Berührung mit Gott verstehen.
  • Selbst Gottesdienste vorbereiten und mitfeiern können.

Mit den Familien Gottesdienst feiern? 

In der Grundschule mit den Familien Gottesdienste feiern? Regional verschieden zeichnen sich erstaunliche Möglichkeiten ab. In einem großen Dorf kommen am Mittwochmorgen, wenn die Grundschule ihren wöchentlichen Schulgottesdienst feiert, mehr Erwachsene - Eltern, Großeltern, Bekannte, aber auch Gemeindemitglieder, die keine Kinder mehr in der Schule haben - als am Sonntag. Dies kann mit der fundierten und interessant gestalteten Vorbereitung dieses Gottesdienstes zu tun haben, aber auch damit, dass die Religionslehrerinnen und -lehrer dieser Schule ihren „Schulgottesdienst" bewusst auch für die Familien und für die Gemeinde geöffnet haben. Dieser Schulgottesdienst findet in der Kirche statt. Die Kinder anderer Konfessionen und Religionen können dabei sein oder auch nicht. In diesem Dorf gibt es auch einen evangelischen Schulgottesdienst. Dass die Familien bei einem solchen Konzept mitfeiern, ist für Kinder als Glaubenszeugnis eine besondere Erfahrung. Den Familien tut diese Gottesdiensterfahrung ebenfalls gut. In Familiensituationen, in denen beide Eltern berufstätig sind, fällt diese Möglichkeit allerdings weg. Hier wäre wiederum punktuell im Kirchenjahr nach einem zeitgenauen Ort von Schulgottesdienst zu fragen (Schuljahresbeginn, Weihnachten, Ostern, Schuljahresende). In anderen Bereichen ist dies deswegen unvorstellbar, weil der Anteil von katholischen Kindern in Diaspora-Gebieten sehr gering ist. Umso mehr ist dann ein ökumenisch gestalteter Schulgottesdienst nötig und anzustreben. In der Sekundarstufe I und II ist eine solche Vernetzung mit den Familien in der Regel nicht mehr möglich und auch nicht mehr so wichtig. Die Jugendlichen sollen in dieser Phase selbst - Schritt für Schritt abgelöst von der Religiosität ihrer Eltern - liturgische Erfahrungen machen und reflektieren. 

Schulgottesdienste im Klassenzimmer? 

Vom Alltag abgehobene liturgische Feiern sind auch aus liturgiewissenschaftlichen Gesichtspunkten kritisch zu hinterfragen. Allein schon der Bußakt zu Beginn der eucharistischen Feier zeigt, dass wir uns mit unserer ganzen Existenz im Alltag öffnen und von Gott das Erbarmen zusprechen lassen. Und das nicht für ein Leben und eine Existenz, die wir gar nicht gelebt haben und leben. 

Dass Religionslehrerinnen und Religionslehrer im öffentlichen Raum schulischer Bildung - das Grundgesetz ermöglicht ausdrücklich freie Religionsausübung (GG, Art. 4) - auch Gottesdienst feiern dürfen, ist unumstritten. Allerdings sind qualitativ Atmosphäre, Partizipation und Rituale zu reflektieren. Gottesdienste im Klassenzimmer zwischen Kreidestaub, Schulranzen, nach Mathematik und vor Sport sind zwar ein besonderer theologischer Ort (locus theologicus), aber ein alltagstauglicher Ort liturgischer Kommunikation: Meditationsgottesdienste, Wortgottesdienste, Musik, längere Bibeltexte, Farben. Kinder und Jugendliche sind dabei „Träger und Trägerinnen der Liturgie" in ihrer konkreten Lebenswelt, realisieren Sinnstiftung für sich und andere. 

Das Lernprinzip „Learning by doing" gilt auch für eine orientierte liturgische Bildung speziell: Man kann Filme und Bilder über Beten, etwa in Taizé, anschauen und diskutieren, einen entscheidenden religionspädagogischen Schritt weiter geht man, wenn Taizélieder im Klassenzimmer gesungen, selbst Gebete formuliert und zum Schweigen angeleitet werden. 

Wer Schülerinnen und Schülern die Beziehung mit Gott eröffnen möchte, wird sie anregen, Gott konkret zu verehren. Wenn wir dankbar sind, geben wir für das göttliche Wohlwollen, für die Güte und Zuwendung Gottes eine Antwort von innen heraus. „Verehrung" ist darauf ausgerichtet, den Eigenwert und die Größe Gottes aus sich heraus in den Mittelpunkt zu stellen. Gott wird von mir als „der für mich bedeutsame Andere" verehrt. Verehrung hat damit zu tun, dass ich für mich selber kläre, welchen Wert und Rang ich Gott gebe und wie wichtig ich das alltägliche, gesellschaftliche, oft sehr vorläufige und oberflächliche Gerangel einstufe im Blick auf den, von dem ich komme und auf den ich hingehe. Nicht umsonst haben die Religionen, die an den einen Gott glauben, wie das Judentum, das Christentum und der Islam, zumindest theoretisch darauf geachtet, nicht irgendwelche Scheingötter, Vergötzungen von Geld, Macht oder Sexualität mit Gott zu verwechseln und als Gott zu verehren. 

Echte Verehrung stuft Gott als unbedingt anerkennenswert ein. Ein Glaubender kann also, indem er Gott anbetet, auch sein eigenes ICH erweitern. In dieser staunenden und bewundernden Verbundenheit öffnen wir Menschen uns auf das bzw. den hin, der unserem Leben letztlich tragenden Sinn gibt und es auch in den Zusammenbrüchen unserer Existenz trägt und auffängt. Wenn wir gemeinsam mit Schülern Gott verehren, dann lernen sie zuvor, der Wahrheit die Ehre zu geben: dass er verehrungswürdiger ist als die bewunderten Eltern oder irgendeine faszinierende Erscheinung in der Natur. 

Für Schüler ist es wichtig, dass sie Gottesdienste mitfeiern. So erleben die Heranwachsenden, dass die Religion und der Glauben nicht nur reine Privatsache sind, sondern dass in einer Gemeinschaft der Glaube gefeiert wird. Ideal ist es, wenn es in der Schule Gottesdienste gibt, die es den Schülern ermöglichen, altersge mäß und in ihrer Schulgemeinschaft zu feiern. Denn im ursprünglichen Sinne ist Liturgie auch das „Spiel vor Gott" (Karl Rahner). Gerade jüngere Schülerinnen und Schüler spielen gerne. Sie spielen sich in die Welt und in die Gottesbeziehung hinein und erleben neue religiöse Bedeutungen ihres Lebens. Es entsteht eine Tiefendimension ihrer Existenz, wenn Gesten und Erfahrungen des Alltags spielerisch oder schweigend gedeutet werden. Oft spielen gerade im Schülergottesdienst diese Elemente eine wichtige Rolle.

Es gibt viele Gestaltungsformen, die möglich sind: von der Umsetzung des Evangeliums durch eine Spielgruppe mit Tüchern, Symbolen, einem kleinen Theater, bis hin zu eigenen Fürbitten, wobei sich alle um den Altar herum versammeln. Oder: Beim Vaterunser kann eine Menschenkette gebildet werden, indem sich alle an die Hand nehmen. 

Warum haben wir nicht gebetet? 

Vor einiger Zeit unterrichtete ich für acht Wochen in einer gewerblichen Schule eine Klasse von Metzgerlehrlingen und Fleischereifachverkäuferinnen den Kompetenzbereich „Zehn Gebote". Jede Religionsstunde begann ich mit einer Musikmeditation: Überlasst euch dieser Musik, atmet tief aus und ein und sagt - wenn ihr wollt und könnt - Gott direkt, was ihr zu ihm sagen wollt, was euch belastet im Betrieb, in der Schule, im Freundeskreis, in der Partnerbeziehung. Wenn ihr Gott nichts sagen wollt, hört einfach die Klänge dieser Musik. 

Ungefähr in der Mitte des achtwöchigen Unterrichtprojektes musste ich den Unterricht ohne Musikmeditation beginnen, weil ich keinen CD-Player hatte. Am Ende der Stunde kam die halbe Klasse zu mir ans Pult: „Warum haben wir heute nicht gebetet?" Eine Schülerbotschaft, die nachdenklich machen müsste.

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