Bischofswort „Gemeinsam Kirche sein“Die Pastoral von der Taufe her erneuern

50 Jahre nach dem Konzil haben die deutschen Bischöfe ein gemeinsames Wort „zur Erneuerung der Pastoral“ verfasst. Mit ihrem einstimmig verabschiedeten Schreiben wollen sie sich der „Not vieler Menschen mit und in der Kirche“ (11) stellen. Inspiriert von den immer noch nicht voll rezipierten Konzilstexten zum Selbstverständnis der Kirche will „Gemeinsam Kirche sein“ Orientierung geben und Zuversicht vermitteln. Das tut not. Denn gerade bei kirchlich Verbundenen und Engagierten wachsen Überforderung und Resignation. Und oft müssen sie im beruflichen und privaten Alltag auch den immensen Vertrauensverlust ausbaden. „Wie, da bist du noch dabei?“, hat schon mancher zu hören bekommen.

Die Pastoral vor Ort braucht Bestärkung und ermutigende Ausblicke. Ohne den Anspruch „alle Probleme zu lösen“ möchten die Bischöfe Perspektiven und „Wachstumsrichtungen“ (55) aufzeigen: Im Vertrauen auf Gott und die vielfältigen Gaben der Gläubigen wollen ihre „Impulse“ zu neuen Wegen „verlocken“ (51). – „Wir sind zu einem gemeinsamen Pilgerweg eingeladen“, merkte ein Hauptamtlicher nach der Lektüre des Schreibens an und fügte hinzu: „So etwas war vor Jahren noch nicht zu erwarten.“

Einladung zu einer (Wieder-) Entdeckungsreise

Der Umbruch der letzten Jahrzehnte habe wichtige Lernprozesse angestoßen, heißt es gleich zu Beginn: „Vermutlich braucht es die gegenwärtigen kirchlichen Mangelerfahrungen, um die zentrale Wahrheit wieder zu entdecken: Jeder Christ ist aufgrund von Taufe und Firmung berufen, das Heilige in seinem eigenen Leben immer weiter zu entfalten und eben dadurch Welt und Kirche im Geiste Jesu Christi mitzugestalten. Diese Bedeutung und Verantwortung jedes einzelnen Christen gilt auch unabhängig von der Zahl der Priester und des hauptberuflichen Personals in der Kirche.“(15)
Ansprechende Worte, die aber sicher auch auf einige Skepsis stoßen werden: Wie ernst ist das Gesagte gemeint oder soll eher von der tatsächlichen Situation abgelenkt werden? Die Tendenz geht vielerorts gerade nicht in Richtung Umlernen und Aufbruch zu neuen Ufern. „Retten, was zu retten ist“, ist oft die Devise. Demgegenüber ruft „Gemeinsam Kirche sein“ auf, „sich auf einen Prozess der Umkehr einzulassen“ – auf eine Erneuerung, die „nur durch eine neue Hinwendung zu Jesus Christus und in der Begegnung mit ihm geschehen“ (11) kann.
Schon vor Jahren mahnte P. M. Zulehner (S. 132), Kirchenentwicklung von Gott her zu denken. Die pastorale Leitfrage könne nicht heißen: „Wie geht es mit unserer Kirche weiter?“, sondern: „Wie geht Er, unser Gott, mit Seinem Volk weiter?“ Auch den Bischöfen geht es um einen derartigen Perspektivwechsel, um einen neuen Blick auf die Grundlagen und Eckpunkte der Pastoral, auf jene Praxis von Kirchesein, die „das Konzil eröffnet hat“ (11).

Ursprung und Quelle: die Begegnung mit Jesus Christus

„Jesus Christus – und nicht die Kirche als solche – ist das Licht der Völker. Wer jedoch Jesus begegnet, der wird von seinem Evangelium so erfüllt, dass er hinausgehen muss zu den Menschen, um von dem zu erzählen, was in ihm selbst brennt“ (10). Schon nach wenigen Zeilen wird punktgenau die Quelle, das Ziel, der Lebensnerv und der eigentliche Motor der Kirche beschrieben. Vielleicht denkt mancher an die erste Enzyklika von Papst Benedikt, der prägnant formulierte: „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt“ (Deus caritas est, 1).
Der (Rück-)Verweis auf den gottgeschenkten Ursprung allen kirchlichen Lebens zieht sich wie ein roter Faden durch das lesenswerte Schreiben. Die Bischöfe sehen darin einen wirksamen Schutz gegen falschen Aktionismus wie gegen lähmende Resignation: „Diese Sicht von Kirche stellt eine enorme Entlastung und eine große Chance dar. Wir können die Kirche nicht machen und wir müssen die Kirche nicht retten“ (11).
Worauf es ankommt, ist eine „wachsende Orientierung an der Person Jesu Christi“ (16). Von Ihm „ergriffen und erleuchtet“, muss sich die Kirche „immer wieder erneuern lassen und zu den Menschen gehen“ (10). Das gilt auch im Blick auf die vielfältigen Charismen. Diese von Gott geschenkten Gaben und Befähigungen entzünden sich an der „Begegnung mit Jesus Christus und seinem Evangelium“ (20). Der geweihte Priester steht dabei im Dienst der je eigenen, persönlichen Gottesbeziehung, damit alle Getauften immer tiefer Christus selbst erkennen und in ihre gemeinsame priesterliche Berufung hineinfinden.“ (37)

Das Geschenk der Taufe und die Berufung zur Heiligkeit

Die Taufe, ihre Größe und ekklesiologische Bedeutung wurde in den letzten Jahren immer mehr entdeckt und herausgestellt. Dieses grundlegende Sakrament erweckt in jedem Getauften die ein für alle Mal geschenkte Verbundenheit mit Christus und die Teilhabe am Leben des dreifaltigen Gottes. Das begründet sowohl die einzigartige, unzerstörbare Würde jedes Einzelnen wie „eine fundamentale Gemeinschaft und Gemeinsamkeit aller Getauften“ (13).
Zugleich ist die Taufe „hingeordnet auf das Apostolat“. Die jedem Getauften innewohnende Gegenwart Jesu Christi ruft und befähigt, Gottes Zuwendung und Nähe in Wort und Tat zu bezeugen. Ja, die Bereitschaft, sich aus christlicher Sendung zu engagieren, lässt erkennen, inwieweit das Evangelium tatsächlich „einen Menschen ergriffen hat“ (14).
Aus der fundamentalen Gleichheit aller Getauften ergibt sich auch die vom Konzil stark betonte Berufung aller zur Heiligkeit. Eine Perspektive, die nicht selten missverstanden wird und auf mancherlei „Befremden und innere Widerstände“ stößt. Leider. Denn dem Konzil ging es bei dieser Vision um die „Korrektur einer einseitigen Sicht von Kirche, in der das Streben nach … einem gottförmigen Leben scheinbar den Ordensleuten und Priestern vorbehalten war.“ (14) Ausdrücklich und mehrfach betont „Lumen Gentium“ die Berufung aller Getauften zur Heiligkeit.
Schon aus dem darin liegenden Anspruch ergibt sich, dass die – vielfach als Säugling empfangene – Taufe nichts Fertiges und Abgeschlossenes sein kann. Die geschenkte Gottverbundenheit bedarf „einer dynamischen Entfaltung im Leben des Getauften“. Persönlich und miteinander sind wir immer wieder zu Buße und Erneuerung gerufen, um das in der Taufe ein für alle Mal Zugesagte „täglich aufs Neue“ zu realisieren. Ausdrücklich wird in diesem Zusammenhang die Bedeutung der immer wieder zu praktizierenden Erneuerung des Taufversprechens hervorgehoben. (14)

Das gemeinsame Priestertum aller Getauften und die von Gott geschenkten Charismen

Zur Wiederentdeckung der einzigartigen Bedeutung der Taufe gehört auch ein vertieftes Verstehen und Ernstnehmen des ebenfalls sakramental grundgelegten „gemeinsamen Priestertums aller Getauften“. Die Kirche ist gerade „nicht eine institutionell fassbare Kirche der Priester und Hauptberuflichen, die dann die Getauften für weitere Aufgaben heranziehen“. Vielmehr haben alle Getauften „Anteil am Priestertum Christi“ und am „gemeinsamen Priestertum des ganzen Gottesvolkes“. Jeder Getaufte nimmt an der sakramental begründeten Sendung der ganzen Kirche teil. Alle Glieder der Kirche sind gerufen und befähigt, in Wort, Tat und Gebet die Nähe, Zuwendung und Hingabe Jesu Christi zu vergegenwärtigen, zu bezeugen und mit zu vollziehen. Diese „priesterliche Würde aller Getauften“ – so die Bischöfe – „kann nicht gesteigert werden“ (34).
Und was ist dann mit dem Weihepriestertum? „Gemeinsam Kirche sein“ beschreibt gut verständlich das Miteinander und Zueinander der beiden unterschiedlichen Weisen der Teilhabe an dem einen und einzigen Priestertum Jesu Christi. Die nicht ganz leichten Texte des Konzils (LG 10) erläuternd, wird besonders der Dienstcharakters des Weihepriestertums hervorgehoben: „Der Priester hat die vornehme Aufgabe, das Priestertum aller Gläubigen zur Entfaltung zu bringen. … Die dem Priester mit der Weihe verliehene geistliche Vollmacht ist eine Vollmacht zum Dienst an den Gläubigen.“ (39)
Ganz auf dieser Linie und untrennbar damit verbunden ist der Auftrag der Kirche, die ihr von Gott geschenkten Charismen zu fördern. Denn die Getauften und ihre Charismen sind der eigentliche Reichtum der Kirche. Deshalb gehört es zu den zentralen pastoralen Aufgaben, die Charismen zu entdecken, sie zu fördern und miteinander und füreinander vor allem in der Evangelisierung fruchtbar werden zu lassen.
Natürlich ist gerade da Leitung gefragt. Die Bischöfe klammern die schon lange im Raum stehenden Fragen nach der angemessenen Gestaltung von Leitung nicht aus. Doch liegt ihnen der rechte Blickwinkel am Herzen: Aus dem Verständnis des „dienenden Zueinanders der verschiedenen Dienste und Charismen in dem einen Leib der Kirche wird es möglich, konkrete Fragen und Herausforderungen kirchlichen Lebens neu zu bedenken.“ So gilt es, „die Beziehungen zwischen allen Gliedern des Gottesvolkes jenseits der Machtlogik von Oben und Unten zu fassen“. Es geht „in der Kirche nicht um ein Mehr an Macht und Kompetenz, sondern um die Ermöglichung der Vollwirklichkeit der Taufwürde“ (36). Hier gibt es – so die Bischöfe – noch viele ungelöste Fragen. Doch „die Kirche ringt um ein angemessenes Verständnis von Leitung“ (54).

Partizipation: Ausdruck eines erneuerten christlichen Selbstbewusstseins

Wie ein pastoraler Leitstern liegt seit einigen Jahren der Wunsch nach Partizipation, die Vision einer „partizipativen Kirche“ in der Luft. Das Schreiben unterstreicht die Bedeutung dieses Anliegens: „Ein deutliches Zeichen für den Wandel, den wir als Kirche erleben, ist der vielfache Wunsch der Gläubigen, das Leben der Kirche – stärker als dies in der Vergangenheit gegeben war – mit zu gestalten und mit zu entscheiden.“ Die Bischöfe deuten dies als Zeichen für „ein erneuertes christliches Selbstbewusstsein, dass alle Getauften berufen sind, Kirche zu sein und sich verantwortlich an ihrer Sendung zu beteiligen“. Mit Verweis auf „Lumen Gentium“ wird die theologisch-geistliche Begründung dieses Selbstbewusstseins benannt: die wiederentdeckte Wirklichkeit, „dass alle Christen zum Volk Gottes gehören und zur Heiligkeit berufen sind“ (13).
Die Teilhabe an Jesus Christus, das in der Taufe grundgelegte Hineingenommen- Sein in die Gemeinschaft mit dem Dreifaltigen Gott ist genau genommen die Ur- Partizipation: „Die Berufung aller zur Heiligkeit hat ihren Grund in der Einwurzelung der Kirche in Christus als dem Ursakrament.“ (16) Partizipation wird damit aber nicht in einen Raum der persönlichen Frömmigkeit und Innerlichkeit gedrängt – im Gegenteil: Sammlung und Sendung gehören untrennbar zusammen. Partizipation ist Verwirklichung und Ausdruck der persönlichen Verwurzelung des Getauften in Jesus Christus. Diese bedarf freilich der Förderung: „Priester, Diakone, Pastoralreferentinnen und Gemeindereferenten arbeiten dann professionell, wenn sie die Partizipation vieler fördern.“ (40) Ausdrücklich wird davon gesprochen, dass es in der (Großraum-)„Pfarrei neueren Typs“ (50) „neue Formen der Beteiligung und der Verantwortung“ (53) mit entsprechender Beauftragung geben muss und wird.

Unterwegs zu einer neuen Gestalt von Kirche

Auch wenn hier nicht alle Themen des Schreibens benannt bzw. angemessen kommentiert werden konnten, dürfte klar geworden sein: Die Bischöfe laden die pastoral Engagierten und Verantwortlichen zu einer Entdeckungsreise, zu einem geistlich-pastoralen Pilgerweg ein. Mit einer neuen Entschlossenheit möchten sie sich an der vom Konzil vorgestellten Vision von Kirche orientieren. „Gemeinsam Kirche sein“ ermutigt, jene oft nur unzureichend bekannten und bedachten Schätze in den Blick zu nehmen und mit Leben zu füllen, die Gott Seinem Volk als Stärkung und Orientierung mit auf den Weg gegeben hat. Der Aufbruch zu solchen (katechumenalen) „Pilgerwegen“ ist für das Wachsen und Erfahren einer „Kirche, in der die Gegenwart Christi erlebt wird – und so Glaubenswachstum möglich ist“, unverzichtbar (Hennecke).
Entscheidende Wegmarken dieser Reise sind Vertrauen, Taufe und Umkehr. Die Bischöfe möchten Vertrauen wagen und Vertrauen schenken: Wagen im Blick auf die neuen Wege, die Gott uns nach ihrer Überzeugung führt. Schenken im Blick auf die Kraft und Dynamik, die in den Getauften und deren Charismen liegen. Das Beschreiten dieser Wege erfordert, weniger den eigenen, selbstgemachten Vorstellungen zu trauen, weniger auf die Kraft von Institution, Tradition und Autorität zu bauen, als vielmehr und vor allem nach Gottes Wegweisung, nach Seiner Vision von Kirche Ausschau zu halten und auf die Kraft Seiner Gegenwart und Begleitung zu bauen. Letztlich geht es um die Frage, ob Gott uns in dem vielfältig zu spürenden Mangel (11) nicht ruft, neue Wege zu wagen. Zur Nagelprobe könnte schnell der Umgang mit der Säuglingstaufe werden. Deren Praxis entspricht oft nicht der hier beschriebenen Bedeutung der Taufe.
„Die Kirche verändert sich“ (12). Viel von dem hier Gesagten liegt schon länger in der Luft. Klarer als andernorts werden die theologischen Grundlagen herausgestellt. Von besonderer Bedeutung aber ist, dass diese Perspektiven nun als gemeinsames Papier der Bischöfe vorliegen. Zwar ist das Ringen um einen von allen getragenen Kompromiss hier und da zu spüren. Der Aufruf zu einem entschiedenen Bewusstseinswandel und Richtungswechsel ist jedoch unmissverständlich: von einer Bedarfs- zu einer Ressourcenorientierung (19), von einer volkskirchlichen Versorgungskirche zu einer Kirche, deren Glieder sich ihrer Würde und Sendung als Getaufte bewusst werden. Und in dem Maß, wie Christen sich zum Volk Gottes zugehörig wissen, erhält Evangelisierung ein Gesicht, wird der Schatz des Glaubens mit anderen geteilt, wird in Menschen die Sehnsucht nach einer vertrauten Beziehung zu Gott neu geweckt und belebt.

Verlockende Perspektiven – doch wie soll das geschehen?

Ausdrücklich bitten die Bischöfe, dass ihre Impulse „aufgegriffen, besprochen und umgesetzt werden“ (56). Gelingen wird dies nicht ohne eine erneuerte Bereitschaft, „dem Willen Gottes … die oberste Priorität einzuräumen und sich auf … Reifungsprozesse im Glauben einzulassen“ (18). Dazu braucht es inspirierende Bilder von Kirche (31) sowie Gruppen und Gemeinden, die bereit sind, sich wie Kundschafter auf einen geistlichpastoralen Pilgerweg einzulassen, die zunächst selbst ermutigende Glaubenserfahrungen machen, die als „Christen Christus neu entdecken“ (Hennecke) und die dann ihre Erfahrungen und Perspektiven einladend mit anderen teilen.
Sollen diese Wachstumsperspektiven nicht bald wieder in der Versenkung verschwinden, braucht es mehr Angebote und Räume, um „miteinander Hörende zu werden und die Erfahrung von Kirchewerden zu ermöglichen. Erst aus dieser Haltung heraus können Pastoralpläne und neue Ideen entwickelt und fruchtbar werden.“ (54) Die Bischöfe benennen hier eine wichtige Schrittfolge. Und sie werden hoffentlich auch konkrete Angebote – erste Schritte – zum Aufgreifen und Umsetzen der Impulse fördern, damit der anstehende Prozess einer Erneuerung des Kircheseins in Fahrt kommen kann.

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