Moche – Vorgänger der InkaLeben, Tod und Macht im alten Peru

1000 Jahre vor den Inka lebten im Norden Perus die Moche. Seinen kulturellen Höhepunkt erlebte das Volk um das Jahr 500. Von den Moche zeugt ein eigen artiges Kunsthandwerk mit meisterhafter Keramik und kostbaren Gegenständen aus Gold, Silber und Kupfer.

Gabelhalsflaschen mit feiner Linienmalerei, auf denen Szenen mit Figuren aus dem mythischen Kosmos der Moche dargestellt werden.
Gabelhalsflaschen mit feiner Linienmalerei, auf denen Szenen mit Figuren aus dem mythischen Kosmos der Moche dargestellt werden.© Archiv Arch. Programm San José de Moro

Zwischen 200 und 900 n. Chr. blühte an der Nordküste Perus eine der am höchsten entwickelten Kulturen der südamerikanischen zentralen Anden: die Moche, eine fremdartige Kultur, die uns immer noch viele Rätsel aufgibt. Das Volk der Moche existierte in einer außerordentlich trockenen und instabilen Umwelt. Angepasst an eine lebensfeindliche Wüstenumgebung entwickelten die hier lebenden Menschen eine beindruckende bildende Kunst. Ihre Kunstfertigkeit brachten sie auf die unterschiedlichste Weise zum Ausdruck: mittels Keramik, Metallobjekten oder durch Wandmalerei. Insbesondere die Keramik der Moche gilt als eine der komplexesten Ausdrucksformen der Kunst im präkolumbianischen Amerika. Ihr Stil zeichnet sich durch zweifarbige Bilddekorationen aus. Rot auf cremefarbenem Grund entstehen vor dem Auge des Betrachters teils dreidimensionale Figuren, teils zweidimensionale Zeichnungen, oft in Form von erzählenden Szenen. Die Keramik der Moche ist reich an Darstellungen hybrider Wesen, in denen sich menschliche und tierische Attribute mischen, sowie an lebendigen Motiven und zahllosen Szenen, in denen mehrere Wesen zu verschiedenen Handlungen zusammenkommen.

Rätselhafte Welt eines rätselhaften Volkes

In der äußerst trockenen Landschaft Nordperus bilden die aus den Anden kommenden Flüsse regelrechte Oasen. Die Moche siedelten in den unteren und mittleren Abschnitten der Küstentäler und errichteten dort ausgedehnte Tempelanlagen aus Lehm, sogenannte Huacas. Diese Huacas sind nicht weniger ungewöhnlich als die oben erwähnten Kunstwerke. Die berühmte Huaca del Sol, mit Abmessungen von 340 m Länge, 160 m Breite und 50 m Höhe ist eines der größten Bauwerke der alten Andenkulturen; die nicht weniger bekannte Huaca de la Luna hat eine Fassade, die mit einem komplexen Programm von Wandmalereien verziert war, deren lebendige Farben zum Erstaunen der Welt bis heute erhalten geblieben sind. Beide Bauwerke sind Teil des Komplexes »Huacas de Moche« im Moche-Tal, eine Gegend, die das Epizentrum der Entwicklung dieser beeindruckenden Gesellschaft bildete.

Die Nordküste Perus mit den vom Volk der Moche besiedelten Tälern und Fundorten.
Die Nordküste Perus mit den vom Volk der Moche besiedelten Tälern und Fundorten. L. Muro Ynoñán, H. Rojas

Am Beginn der wissenschaftlichen Erforschung dieser fremdartigen Kultur zu Anfang des 20. Jh. stehen namhafte Persönlichkeiten wie der deutsche Archäologe Max Uhle, der amerikanische Anthropologe Alfred Kroeber und der peruanische Wissenschaftler Rafael Larco, um nur einige wenige zu nennen. Eine unerwartete Wende nahm die Erforschung der Moche jedoch 1987 mit der Entdeckung der reich ausgestatteten Gräber von Sipán in Huaca Rajada im Lambayeque-Tal. In den Gräbern von Sipán, die von vielen Forschern als die reichsten angesehen werden, die im präkolumbianischen Amerika je entdeckt wurden, hatte man eine Dynastie von Königen bestattet, deren Angehörige dort mit äußerst prächtigem Schmuck aus Gold und Silber beigesetzt worden waren. Diese Gräber, die in einem an die Huaca Rajada angebauten Mausoleum errichtet wurden, enthüllten die Existenz von Familien, die bei den Moche eine Elite bildeten, deren Macht durch Vererbung weitergegeben wurde. Die anschließende Entdeckung weiterer ähnlicher privilegierter Gräber an verschiedenen weiteren Moche-Stätten wie Úcupe, Dos Cabezas und El Brujo bestätigte die Existenz nicht nur eines, sondern mehrerer politischer Verbände, die von Familienclans mit höchstem Status regiert wurden, die eine autonome Kontrolle über ausgedehnte Gebiete in der jeweiligen Region ausübten.

Besiegte Krieger werden entkleidet und als Gefangene zu den Opferplätzen gebracht.
Besiegte Krieger werden entkleidet und als Gefangene zu den Opferplätzen gebracht. PH.PC.001_341-POL 86 4-IV-31. Moche-Archiv, Dumbarton Oaks, Treuhänder der Harvard-Universität, Washington, D.C.

Spätere archäologische Entdeckungen im Tempel von Huaca de Luna haben gezeigt, dass die Macht dieser Familien nicht nur durch die Anhäufung von wirtschaftlichem Reichtum aufrechterhalten wurde, sondern auch durch die Kontrolle der liturgischen Abläufe und rituellen Handlungen, die in den Tempeln durchgeführt wurden und deren zentrale Dreh- und Angelpunkte rituelle Kämpfe zwischen Kriegern, Menschenopfer und die Weihe des Körpers des besiegten Feindes waren.

Generell haben die Ausgrabungen der letzten 40 Jahre an verschiedenen Stätten im ehemaligen Territorium der Moche eine komplexe soziale und politische Organisation mit möglicherweise staatlichem Charakter, ein Netz von Siedlungen mit städtischen Merkmalen, eine autarke Wirtschaft und eine komplexe Religion, die die Grundlage für eine Ideologie der Macht bildete, zutage gefördert. Aber diese Religion und die göttliche Macht, die sie untermauerte, war nicht nur mit der Macht der Lebenden verbunden, sondern vor allem mit der Macht der Toten und der Ahnen. Um die Beziehung zwischen Tod und Macht zu verstehen, müssen wir unsere Aufmerksamkeit in erster Line auf eine besonders gut untersuchte Fundstelle richten: Gemeint ist San José de Moro, ein Platz, der das Hauptthema dieses Artikels sein wird.

Von Göttinnen und Göttern

San José de Moro liegt am nördlichen Rand des Jequetepeque-Tals. Der Jequetepeque ist einer der wasserreichsten Flüsse im Norden Perus, dieses Tal ist dementsprechend von einer weit zurückreichenden Besiedlung und Kulturgeschichte geprägt. Unser Fundplatz liegt in einem Teil dieses Tals, der im Rahmen eines umfangreichen Bewässerungsprojekts um 400 n. Chr. von den Moche in das von ihnen landwirtschaftlich genutzte Areal mit einbezogen wurde. San José de Moro erstreckt sich über eine Ebene von etwa 10 Hektar, auf der sich mittelgroße Lehmbauten, Bestattungsplätze und Bereiche für soziale Zusammenkünfte und religiöse Zeremonien abwechseln.

Mittleres Jequetepeque-Tal: im Hintergrund beginnen die Küstenberge.
Mittleres Jequetepeque-Tal: im Hintergrund beginnen die Küstenberge. J. Burtenshaw

Seit 1991 führen Mitarbeiter der Päpstlichen Katholischen Universität von Peru in Lima (Pontificia Universidad Católica del Perú) im Rahmen eines archäologischen Programms in San José de Moro systematische und intensive Ausgrabungen durch. Der Fundplatz war schon seit fast 1200 Jahren ununterbrochen von Menschen bewohnt worden, als er in der späten Moche- Periode in der Zeit von 650 bis 850 n. Chr. besondere Bedeutung als religiöser Ort, als Zentrum für Orakelsprüche und als Friedhof, der vor allem von den Angehörigen der Elite aus dem Jequetepeque-Tal und den umliegenden Tälern genutzt wurde. Die Umwandlung von San José de Moro in ein bedeutendes religiöses Zentrum könnte auf den Einfluss der Bevölkerung der frühen und mittleren Moche aus dem angrenzenden Zaña-Tal, das 20 km nördlich des Jequetepeque-Tals liegt, zurückzuführen sein, was möglicherweise auch mit Migrationsbewegungen verbunden war.

Besonders bemerkenswert an San José de Moro ist die Entdeckung von Gräbern mächtiger Frauen der Moche, die von den beteiligten Wissenschaftlern als »Moche- Priesterinnen« oder auch »Mythologische Frauen« oder »Mondgöttinnen« bezeichnet werden. Diese ungewöhnlichen Frauen wurden in unterirdischen, mit Nischen und Wandmalereien geschmückten Kammern begraben, die man aus Lehmziegeln erbaute. Ihre Körper legte man in Särge aus Holz oder Schilf, die mit Metallplatten beschlagen waren und an deren Frontseite Totenmasken angebracht waren.

Graffiti von den bemalten Wänden der Huaca La Capilla: Krieger, bereit zum Kampf. Höhe der Figur etwa 10 cm.
Graffiti von den bemalten Wänden der Huaca La Capilla: Krieger, bereit zum Kampf. Höhe der Figur etwa 10 cm. Archiv Arch. Programm San José de Moro

Der Sarg der ersten Priesterin dieser Art, die an der Fundstelle entdeckt wurde, war beispielsweise mit Metallbeschlägen in Form von menschlichen Armen und Beinen verziert, die dem Betrachter des Sargs ein Gefühl von Handlungsfähigkeit und menschlicher Mobilität vermittelten. Den Sarg in einem anderen Grab hatte man mit mehreren Platten in Form einer Priesterin verziert, was auf die Identität der Verstorbenen hinweist, die auf vielfältige Weise in Zusammenhang mit dem bestatteten Körper zum Ausdruck gebracht werden sollte.

Hunderte von prächtigen Gegenständen aus Keramik, vergoldetem Kupfer und Halbedelsteinen begleiteten jede dieser Frauen in ihren jeweiligen Gräbern. Besonders auffällig in diesen Zusammenhängen war jedoch das Vorhandensein von zwei Elementen, die diese Frauen auf ikonografische Weise mit der typischen Figur einer »Moche-Priesterin« verbinden: der Kopfschmuck mit Quasten und der Ritualbecher. Wie in der erzählerischen Ikonografie zu sehen ist, nimmt die »Moche- Priesterin« zusammen mit anderen Göttern an der Opferung von Menschen und anschließend an der Darbietung und dem Verzehr des menschlichen Blutes teil, das von jenen Kriegern stammt, die in den rituellen Kämpfen unterlagen.

Grab der ersten Priesterin von San José de Moro. Die Tote lag in einem Sarg, der vermutlich aus Schilfrohr bestand und mit Kupferplatten in Form menschlicher Gliedmaßen verziert war. Bei der Ausgrabung lagen die Platten unmittelbar auf dem Skelett: Übersicht.
Grab der ersten Priesterin von San José de Moro. Die Tote lag in einem Sarg, der vermutlich aus Schilfrohr bestand und mit Kupferplatten in Form menschlicher Gliedmaßen verziert war. Bei der Ausgrabung lagen die Platten unmittelbar auf dem Skelett: Übersicht. Archiv Arch. Programm San José de Moro
Grab der ersten Priesterin von San José de Moro. Die Tote lag in einem Sarg, der vermutlich aus Schilfrohr bestand und mit Kupferplatten in Form menschlicher Gliedmaßen verziert war. Bei der Ausgrabung lagen die Platten unmittelbar auf dem Skelett: der Befund im Detail.
Grab der ersten Priesterin von San José de Moro. Die Tote lag in einem Sarg, der vermutlich aus Schilfrohr bestand und mit Kupferplatten in Form menschlicher Gliedmaßen verziert war. Bei der Ausgrabung lagen die Platten unmittelbar auf dem Skelett: der Befund im Detail. Archiv Arch. Programm San José de Moro

In San José de Moro wurden mindestens sieben weitere Gräber von solchen Priesterinnen archäologisch untersucht, die einen religiösen Kult um die Gestalt einer genuin weiblichen Göttin offenbaren. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die in diesen Kammern bestatteten Frauen zu ihren Lebzeiten diese Moche-Göttin verkörperten und dass es nicht nur eine, sondern mehrere Priesterinnen waren, die diese Identität erbten und eine religiöse Rolle im Leben, aber auch eine politische Rolle unmittelbar am Fundplatz, im gesamten Tal und im Moche-Gebiet im Allgemeinen ausübten.

Obwohl in den Gräbern der Moche-Elite von San José de Moro die Gestalt der beschriebenen Moche-Göttin überwiegt, wurden bei Ausgrabungen von Gräbern mit männlichen Bestattungen auch Individuen entdeckt, die männliche Gottheiten verkörpern. Dies könnte auf gemeinsame Kräfte und eine Komplementarität zwischen weiblichen und männlichen Moche- Gottheiten sowie den Personen, die sie verkörperten, hindeuten. Die jüngsten Ausgrabungen des Autors in San José de Moro haben jedoch ein noch komplexeres Bild des Todes, der Abstammung und ihrer engen Beziehung zur sakralen monumentalen Landschaft der Stätte ergeben, was im Folgenden beschrieben wird.

Monumentale Landschaften des Todes

Zwischen 2014 und 2017 führte der Autor dieses Artikels archäologische Ausgrabungen in einem Sektor von San José de Moro durch, der sich im westlichen Teil der Stätte befindet und monumentale Baustrukturen umfasst. Unter den insgesamt zehn Huaca-Tempelbauten am Fundplatz wurde insbesondere eine ausgegraben: Huaca La Capilla. Huaca La Capilla besteht aus einer Gruppe übereinander liegender Gebäude, die nacheinander zwischen 650 und 740 n. Chr. erbaut wurden, also zeitgleich mit der Bestattung der zuvor beschriebenen Gräber, die als Bestattungen von Moche- Priesterinnen angesprochen werden.

Eine fotogrammetrische Aufnahme zeigt die ausgedehnten Lehmstrukturen der Huaca La Capilla in San José de Moro.
Eine fotogrammetrische Aufnahme zeigt die ausgedehnten Lehmstrukturen der Huaca La Capilla in San José de Moro. Archiv Arch. Programm San José de Moro

Die sich überlagernden Gebäude der Huaca La Capilla weisen sehr ähnliche architektonische Merkmale auf. Alle Gebäude gruppieren sich um Innenhöfe, die durch Korridore, Durchgänge und Zugangsöffnungen miteinander verbunden sind. In den meisten Fällen sind diese Zugangsöffnungen eng und begrenzt, was darauf hindeutet, dass die Zugänge und Bewegungen in den Räumen stark kontrolliert wurden. Einige Innenhöfe hat man umeine Bühne oder eine zentrale Plattform mit Zugangstreppen angeordnet. Die Bühnen und Plattformen sind in vielen Fällen mit Gips, Wandmalereien oder Hochreliefs in Form von Rauten und Wellen versehen, Motive, die für die bildliche Kunst der Moche typisch sind.

Jeder Bereich der Huaca La Capilla wurde unabhängig voneinander mehrfach renoviert, einschließlich wiederholter Reparatur- und Wartungsarbeiten. So wiesen einige Wände bis zu 15 Schichten von Mörtelausbesserungen und Anstrichen auf. Auf den verzierten Wänden konnten auch zahlreiche Graffiti dokumentiert werden: Offensichtlich hängen diese Graffiti damit zusammen, dass die Räume periodisch profan genutzt wurden, bevor man sie wieder für den kultischen Gebrauch weihte. Wie oft die Innenräume der Huaca La Capilla repariert, übermalt oder neu gestrichen wurden, ist eine Frage, die noch immer diskutiert wird.

Einer der zahllosen Innenhöfe der Huaca La Capilla (E1) mit einer zentralen Bühne oben und dekorativ angeordneten Fenstern in der Seitenwand.
Einer der zahllosen Innenhöfe der Huaca La Capilla (E1) mit einer zentralen Bühne oben und dekorativ angeordneten Fenstern in der Seitenwand. Archiv Arch. Programm San José de Moro

Ein besonders bemerkenswertes Merkmal in der architektonischen Gestaltung der Gebäude der Huaca La Capilla ist ihre numerische Symbolik. So ist beispielsweise das Gebäude A mit 44 Nischen verziert, die in zwei Reihen zu je 22 Nischen angeordnet sind. Der Innenhof E1 hingegen ist mit 19 Fenstern und der Innenhof E2 mit drei Nischen verziert. Die durch diese Bauweise in den Räumen der Huaca La Capilla erzeugte Zahlensymbolik scheint weder zufällig noch willkürlich zu sein. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Nischen und Fenster in den Baustrukturen auf numerische Berechnungen beziehen, die mit der Messung, Kontrolle und Transformation der rituellen Zeit zusammenhängen.

Für die Moche sind Raum und Zeit zwei eng miteinander verflochtene Kategorien; der Raum der Moche ist Ausdruck der Zeit, und die Zeit wiederum ist im Raum verschlüsselt. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Huaca La Capilla und ihre dekorativen Elemente Vorstellungen von einer gewöhnlichen und einer außergewöhnlichen Zeit zum Ausdruck bringen, die die soziale und politische Ordnung innerhalb der Moche-Realität bestimmten. Zahlreiche Anspielungen auf den Mond im ikonografischen Repertoire von San José de Moro deuten darauf hin, dass man sich bei der Einteilung und Messung der Zeit speziell auf den Erdtrabanten stützte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die rituelle Zeit auf dem Friedhof von San José de Muro von einem Mondkalender bestimmt wurde. So könnte die Redundanz der dekorativen Elemente der Huaca La Capilla ein mnemotechnisches Verfahren gewesen sein, um die Zeit des Lebens und des Todes im Auge zu behalten, die vom Umlauf des Mondes und seinen aufeinanderfolgenden Wandlungen bestimmt wurde.

Zeit, Raum, Realität

Bei den Moche war die Zeit der Toten ebenso wichtig wie die Zeit der Lebenden. Es gibt Hinweise darauf, dass bei San José de Moro eine große Nekropole existiert, in der prunkvolle Leichenfeste zu Ehren der Bestattung bestimmter Personen der Moche- Elite des Jequetepeque-Tals und der benachbarten Täler stattfanden. Ikonografische Erzählungen, die auf der einzigartigen Feinstrichkeramik der Moche aus San José de Moro aufgemalt zu finden ist, deuten darauf hin, dass an diesen Festen Hunderte, wenn nicht Tausende von Menschen teilnahmen, dass Gottheiten in Schauspielen dramatisch verkörpert und Schöpfungsmythen inszeniert wurden, und dass rituelle Darbietungen und der Austausch hochsymbolischer Opfergaben stattfanden. Zu den wichtigsten Opfergaben gehörten Muscheln, die anschließend in die Gräber gelegt wurden, um von den Verstorbenen als Tribut für ihren schrittweisen Übergang in das Jenseits verwendet zu werden.

Es gibt auch Hinweise darauf, dass bei den Leichenfesten von San José de Moro die Überreste der einzelnen Verstorbenen einen komplexen Prozess der Vorbereitung und fortschreitenden Umwandlung in den Körper eines Ahnen durchliefen. Wir wissen, dass die Leichen sogar sexuell manipuliert wurden, um ihre Lebenssäfte zu gewinnen, die für spätere Fruchtbarkeits- und Lebenserneuerungsrituale verwendet wurden. In einigen auf Keramik gemalten erzählerischen Szenen werden die toten Körper bei Tanzdarbietungen gezeigt, wie sie sich begleitet von Musikinstrumenten im Rhythmus der perkussiven Klänge schütteln. Anschließend wurden die Leichen auf erhöhte Plattformen gelegt, um sie vorzubereiten, zu schmücken und möglicherweise einzubalsamieren. Zuletzt wurden die Verstorbenen in prunkvolle Särge gelegt und in Leichenzügen über den Friedhof getragen.

Die bisher gefundenen Belege scheinen darauf hinzuweisen, dass die Huaca La Capilla jener heilige Raum war, in dem der Körper physisch und metaphysisch in eine mächtige göttliche Einheit verwandelt wurde. Die Räume mit Nischen und Fenstern sowie die erhöhten Plattformen in den Innenhöfen der Huacas scheinen eine Art räumliches und zeitliches Drehbuch für die Durchführung von Riten und Darbietungen rund um den Körper und seine fortschreitende Manipulation geboten zu haben. Erst nach diesem Prozess wurde der Vorfahr »materiell« in eine Göttin oder einen Gott des Moche-Pantheons verwandelt, um seine Macht zu verewigen und den Status der Gemeinschaft, der er angehörte, zu erhöhen. Erst wenn diese Bedingung erfüllt war, konnte der Ahnengott auf den Begräbnisplätzen von San José de Moro bestattet werden. Nach dem Begräbnis wurde der Ahnengott verehrt und mit großen Begräbnisfesten gefeiert, bei denen seine Macht in Erinnerung gerufen wurde.

Der spektakuläre Charakter der in San José de Moro zelebrierten Totenrituale ermöglicht es, uns einem alternativen und nichtwestlichen Verständnis von Tod, Körper und Unsterblichkeit zu nähern. Gleichzeitig werden aber auch die Mechanismen der Macht, der Vermittlung und der politischen Verhandlungen deutlich, die mit den Todesritualen einhergehen. In einem politisch stark zersplitterten Tal, in dem ständig um Ressourcen gestritten wurde, stellten die überbordenden Rituale in San José de Moro einen Mechanismus des religiösen Zusammenhalts dar, der die Neuverhandlung umstrittener politischer Macht ermöglichte. Die Macht des neu geschaffenen Ahnengottes war ein Mittel für solche Diskurse, denn die Macht dieses heiligen Wesens war das Instrument zur Ermächtigung der eigenen Gemeinschaft. Nach diesen Ritualen wurde die Raum-Zeit der Moche neu erfunden und damit die kosmische Ordnung wiederhergestellt; eine Ordnung, die es den Moche ermöglichte, in einem zutiefst instabilen und verletzlichen Gebiet zu überleben – eine Ordnung, die die Lebenden nur durch die mächtige Kraft des Todes und seine Regenerationsfähigkeit erreichten.

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