Rezensionen: Theologie & Kirche

Graf, Karl / Spirig-Huber, Theres: Mit Charme gewinnen, kämpfend vorangehen. Teresa von Ávila und Ignatius von Loyola über Herkunft, Geschlecht und Spiritualität (Ignatianische Impulse 87). Würzburg: echter 2020. 112 S. Gb. 9,90.

Achtmal stand Ignatius vor der Inquisition, dreimal immerhin Teresa von Ávila. Ging ein Verfahren schief, konnte das Folter oder den Tod bedeuten. Ignatius, ein Mann aus adeligem Haus und mit höfischer Bildung stand ganz anders da, als die aus einer Conversos-Familie stammende Teresa ohne limpieza de sangre, der das lehrende und caritative Apostolat als Frau versagt blieb und die wegen ihrer geistlichen Erfahrungen zusätzlich die Gefahr lebensgefährlicher Verleumdungen zu befürchten hatte. Die Ordensgründungen der beiden waren vielen Anfeindungen ausgesetzt. Ignatius konnte sich vielfach durch seine Klugheit retten. Teresa waren in der Öffentlichkeit die Hände gebunden: Sie war noch viel mehr auf ihren Beichtvater und schlaue Fürsprecher angewiesen. Ihre Lebenszeiten haben sich zwar überschnitten (Ignatius von Loyola 1491-1556; Teresa von Ávila 1515-1582), sie kannten sich aber weder persönlich, noch waren sie mit ihren Schriften in Kontakt gekommen.

Nun lässt eine Publikation aus den „Ignatianischen Impulsen“ aufhorchen. Hier wird ein fiktives Gespräch der beiden Persönlichkeiten der spanischen Mystik vorgestellt, die inzwischen einen weltgeschichtlichen Rang eingenommen haben. Das Unternehmen klingt etwas schräg und man ist gespannt, ob man das Büchlein schnell als spirituellen Kitsch zur Seite räumen wird. Doch die Überraschung ist groß, das Konzept der Autorin und des Autors geht auf. Und nicht nur das, es gelingt ihnen, nicht nur ein neues Licht auf die beiden historischen Figuren zu werfen, sondern die Präsentationsform holt Inhalt und Form in die Gegenwart.

Die Zeit der Gegenreformation war von harten Auseinandersetzungen um die theologische Wahrheit gekennzeichnet. Rechthaberei und Diffamierung der Differenzen als Häresie galten als selbstverständlich. Die Jesuiten blieben dabei keine geschichtliche Randerscheinung der Streitbarkeit. Umso bemerkenswerter ist die Perspektive des Büchleins, einen anderen Akzent als hermeneutischen Schlüssel für das Gespräch zwischen Teresa und Ignatius zu wählen, der zurecht unter die Ignatianischen Impulse eingereiht ist. Gespeist aus dem dankbaren Tagesrückblick der „Geistlichen Übungen“, dem „Examen“ oder dem „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“, üben sich die Autorin und der Autor im genauen Zuhören und Hinhören auf die Stimme des fiktiven Gegenübers. Teresa und Ignatius werden in keiner theologischen Fehde vorgeführt, sie werden aber auch nicht über einen gleichen Leisten geschoren.

Das Bemerkenswerteste dieses Büchleins ist die Wissensform, mit der die Differenzen zur Sprache kommen: im Modus des Nachfragens, des Verstehens, der biografischen Kontextualisierung und Wertschätzung, und nicht in bisherigen Weisen des Be- und Verurteilens, des Besserwissens und der Belehrung. Spirig-Huber und Graf, die seit Jahrzehnten als Coaches, geistliche Begleiter und Exerzitienleiter wirken, wiederholen nicht bloß hinlänglich bekannte neutrale historische Beobachtungen, sondern sie machen Differenzen fruchtbar.

Die ersten zwei Drittel des Büchleins widmen sich in 14 Stationen dem gegenseitigen Vorstellen der jeweiligen Biografien, entlang der Differenzen von Frau und Mann, von Adel und Bürgertum, und entlang der Schnittlinien von Krisen und Brüchen, der Freundschaft zu Jesus und dem Suchen seines Willens, des Blicks auf das Leid und den leidenden Christus, der Neuanfänge eines spirituellen Lebens in Gemeinschaft, und schließlich des eigenen Sterbens.

Der zweite, kürzere Teil vertieft Schwerpunkte ihrer Mystik. Die Klarheit der Gesprächsführung leidet etwas durch die komprimierte Darstellung, kann aber dank des biografischen Teils im Auge behalten werden. Im Zuge der Neuentdeckung der christlichen Mystik erfreuen sich Teresa von Ávila und Ignatius von Loyola einer verbreiteten Bekanntheit. So aber hat man über sie noch nicht gelesen.

Die Autoren haben ein Experiment gewagt, das gelungen ist: sich und die Leserschaft an die Hand der beiden heiligen Menschen nehmen zu lassen und zudem eine theologische Wissensform zu versuchen, die einem inquisitorischen Habitus der Denkverbote und Diffamierungen die Stirn bietet und der Theologie Möglichkeiten neuer Sprachformen aufzeigt. Dafür braucht es den Mut zu einer demütigen Theologie, die anstatt der Bedeutsamkeitsrhetorik folgend in die Schule des „Gebetes der liebenden Aufmerksamkeit“ geht.

Ulrich Winkler

 

Zulehner, Paul: Wandlung. Religionen und Kirchen inmitten kultureller Transformation. Ostfildern: Grünewald 2020. 400 S. Kt. 32,–.

Das Buch präsentiert Ergebnisse aus fünfzig Jahren religions- und kirchensoziologischer Umfragen zur Situation in Österreich, die aber durchaus über die Alpenrepublik hinaus Interesse verdienen. Das Land hat im deutschsprachigen Raum in seiner konfessionellen Prägung (Dominanz der katholischen Kirche) ein Eigenprofil und spiegelt gleichzeitig Trends wieder, die auch für die Bundesrepublik wie für die Schweiz in religiös-kirchlicher Hinsicht gelten.  Der Band beschäftigt sich im ersten Teil mit der jüngsten Studie zu Religion im Leben der Österreicherinnen und Österreicher und bietet im zweiten Teil einen Längsschnitt der  Entwicklung seit 1970. Paul M. Zulehner, inzwischen emeritierter Wiener Pastoraltheologe, war an allen jeweils im Abstand eines Jahrzehnts durchgeführten Untersuchungen maßgeblich beteiligt.

Die österreichische Bevölkerung habe sich im letzten halben Jahrhundert in weltanschaulicher Hinsicht zunehmend „verbuntet“, so der Einleitungssatz von Zulehner: Tatsächlich ist der Prozentsatz der Katholiken inzwischen auf 58 Prozent zurückgegangen und haben Orthodoxe und Muslime mit jeweils acht Prozent die Protestanten (drei Prozent)  als „klassische“ Minderheit deutlich überholt.  Der  Prozentsatz der „Kirchlichen“ beträgt insgesamt nur noch 18 Prozent (1970 waren es noch 45 Prozent), während der Anteil der „Säkularen“ jetzt 34 Prozent ausmacht (vor fünfzig Jahren 12 Prozent). Von den 2020 befragten  Muslimen  in Österreich lassen sich im übrigen 53 Prozent als „Gläubige“ und 47 Prozent als „Säkulare“ einordnen. Islam und Christentum, so Zulehners Auswertung für Österreich, die vermutlich auch auf deutsche Verhältnisse zutrifft, ließen sich nicht einfach gegenüberstellen.

Derzeit gelinge es den christlichen Kirchen kaum, „der breiten Bevölkerung den Schatz der überlieferten Gratifikationen zu erschließen und sie zur häufigeren Teilnahme an gottesdienlichen Veranstaltungen zu gewinnen“ und so mit ihr im regen Austausch zu bleiben. Schon heute zeige sich, dass die „kirchlich Gebundenen wegsterben und keine jungen Mitglieder mit austauschbereiter Kirchlichkeit nachwachsen“. Zulehner kommt zu dem Schluss, die innere Gestalt der Religiosität sowie die Vielfalt der Bezogenheit an den Lehren und Feiern einer Religionsgemeinschaft würden sich weiter wandeln, ohne zu verschwinden. Der Ausblick ist vorsichtig offen: Niemand könne angesichts der turbulenten Weltentwicklung absehen, ob die in den psychischen Untergrund abgesunkenen religiösen Fragen der Menschen wiederauftauchen, sich neu stellen und nach Antwort verlangen würden. Es gibt gerade für die katholische Kirche nicht nur in Österreich angesichts dieses Befunds genügend Anlass, selbstkritisch über die Bücher zu gehen. 

Ulrich Ruh

 

Neuner, Peter: Der lange Schatten des I. Vatikanums. Wie das Konzil die Kirche noch heute blockiert. Freiburg: Herder 2019. 239 S. Gb. 28,–.

Es gibt Konzilien, die in Kirchengeschichte und Dogmatik eher stiefmütterlich behandelt werden – mag es daran liegen, dass man sie für überholt hält oder dass man sie lieber einer damnatio memoriae anheimfallen lassen würde. Das I. Vatikanum (1869-1870) mit seinen beiden Papstdogmen über den Jurisdiktionsprimat und die Unfehlbarkeit gehört für viele sicherlich dazu. Anlässlich des 150. Jahrestages seines übereilten Abschlusses geht der emeritierte Münchner Dogmatiker Peter Neuner den Hintergründen und Kontexten seiner Einberufung durch Pius IX. nach, bevor er ausführlich auf das Konzil selbst mit seiner dogmatischen Konstitution Dei Filius und der Konstitution Pastor aeternus, die beide Papstdogmen enthält, eingeht. Der Verf. zeichnet ein knappes, aber gerechtes Bild des Konzils und seiner Protagonisten. Er lässt die persönlichen Beweggründe und (kirchen-)politischen Intentionen nicht außer Acht. Er möchte das ursprüngliche Anliegen der Konzilsväter herausarbeiten: Was genau wollten sie als Dogma der Kirche definieren? Was ist der Inhalt des Unfehlbarkeitsdogmas? Worin liegen seine Grenzen?

Die Spannungen und Auseinandersetzungen wirken auch nach dem Abschluss des Konzils nach. Sie lassen sich nicht in einen uniformen und uniformierten Katholizismus aufheben, der sich der Moderne wie ein monolithischer Block entgegenstellen würde. Innerkirchliche Debatten um dogmengeschichtliche und philosophische Fragestellungen, die trotz Kulturkampf nicht abbrechen, und philosophische Fragestellungen um die Jahrhundertwende trotz Kulturkampf legen davon beredt Zeugnis ab – erinnert sei etwa an den Modernismusstreit. Das Ringen um die ewige Wahrheit und ihre Verkündigung in die jeweilige Gegenwart hinein gehören eben zum Wesen der Kirche und zur Aufgabe einer akademischen Theologie. Dies hat Rückwirkungen auf die Priesterausbildung und auf die Entstehung des CIC von 1917 als kirchlichem Gesetzbuch zur Folge.

Neuner gelingt es, die komplexen Themen für den nichtfachkundigen, aber interessierten Leser anschaulich zu machen, besonders dann, wenn er die Rezeption des I. Vatikanums auf dem von Johannes XXIII. einberufenen II. Vatikanischen Konzil untersucht. Hier sieht er Momente einer engen, ja enggeführten Rezeption in der Nota explicativa praevia, die die Sicht der Kirchenkonstitution auf Papst und Bischofskollegium nochmals – und durchaus spannungsvoll! – an die Definition der Unfehlbarkeit und des Jurisdiktionsprimats rückbindet. Eine Spannung, die in den folgenden Jahren und Jahrzehnten für die theologische Forschung und Lehre wie auch für das Leben der Kirche nicht nur produktiv sein wird, sondern eben auch verdunkelnd und verunklarend, ja zuweilen auch lähmend – etwa in Fragen der Empfängnisverhütung oder in Lehrstreitigkeiten wie die Causa Küng oder im Blick auf die Theologie der Befreiung: der Schatten des I. Vatikanums eben. Neuner bleibt aber in seiner Untersuchung nicht in den 1990er-Jahren stehen, sondern versteht die Pontifikate Johannes Pauls II. und Benedikts XVI. als eine Einheit. Sein Augenmerk gilt dabei vor allem den gegenwärtigen Problemstellungen und Kontroversen wie dem Missbrauchsskandal und seinen ekklesiologischen Implikationen oder denen um die Freiheit der Freiheitstheologie.

Neuners Buch ist ein Plädoyer für eine Kirche und für eine Theologie, die sich kritisch, durchaus auch selbstkritisch mit dem langen Schatten des I. Vatikanums auseinandersetzen und so ihre Weite und Tiefe wiedererlangen, auch im Gespräch mit ihren ökumenischen Partnern – ein Herzensanliegen des Autors, das das Buch wie ein Leitmotiv durchzieht. Darin liegt auch seine Stärke.

Niccolo Steiner SJ

 

Homolka, Walter: Der Jude Jesus – eine Heimholung. Freiburg: Herder 2020. 256 S. Gb. 22,–.

Das Buch beginnt mit Bildern der Ausstellung des Jerusalemer Israel-Museums von 2018, „Jesus in Israeli Art“, in der sich, so Homolka, die Künstler „fast schockierend freimütig christlicher Motive bedienen“ (17). Programmatisch für das ganze Buch zeigen diese Bilder einen völlig neuen, freien und unbelasteten Blick jüdischer Künstler auf die Person Jesu.

Es folgt eine fundierte Darstellung der Thematik, die Jan-Heiner Tück dem Buch als Geleitwort mitgibt und in der er zentrale Aspekte des Themas anspricht: Er spannt den Bogen von der schrecklichen gegenseitigen „Verketzerung“, vom kirchlichen Antijudaismus zum Antisemitismus bis zur heutigen vorsichtigen Annäherung. Er schreibt über die unüberbrückbare Spannung zwischen christlicher und heutiger jüdischer Jesusforschung und dem Kerygma der Kirche. Der Glaube Jesu auf der einen, der Glaube an Jesus auf der anderen Seite. Nach kurzer Skizzierung der drei großen Konzilien Nizäa, Ephesus und Chalcedon endet er mit dem hochinteressanten und relativ neuen Ansatz, vertreten unter anderem vom jüdischen Theologen Wyschogrod, dass die christliche Lehre der Inkarnation nicht unbedingt im Widerspruch zu jüdischem Denken stehen muss.   

Walter Homolka, Rabbiner und Professor für jüdische Religionsphilosophie, legt eine gründliche, ausführliche und hervorragende Recherche dar: von der Antike bis heute, von den Quellen für das Leben Jesu über das Mittelalter, die Aufklärung und hin zum akademischen Streit in Berlin im 19. Jahrhundert. Ein wichtiges Kapitel widmet er der jüdischen Leben-Jesu Forschung in der Moderne. Auch die Archäologie streift er. „The Third Quest“, die heutige dritte Phase der Leben-Jesu-Forschung stellt er in den Mittelpunkt: Jesus war Jude, und dies war kein „kultureller Zufall“, sondern ist „Teil der christlichen Heilsgeschichte“ (205). Die Schoa hat den Blickwinkel sowohl auf jüdischer als auch auf christlicher Seite stark beeinflusst. Die größte jüdische Gemeinschaft außerhalb Israels lebt heute in den Vereinigten Staaten, und Homolka vermutet, dass der Begriff „Heimholung“ ursprünglich von dort kommt. Ein Kapitel widmet er Joseph Ratzinger; er spart nicht mit Kritik daran, dass Ratzinger die unsägliche Karfreitagsfürbitte wieder in die alte Liturgie aufgenommen habe und dass für ihn weiterhin das Judentum letztlich nur die Vorstufe zum Christentum sei.

Wenn auch zentrale Aussagen wie die über die Trinität, vor allem aber die über Jesus als den gekommenen Messias weiterhin trennend im Raum stehen, so ist heute ein offener, für beide Seiten fruchtbarer Dialog die Regel. Jesus ist gleichzeitig der Trennende wie auch der Einende. Die Juden sind Gottes „Augapfel“, „Wahrheit steht neben Wahrheit und Glaube neben Glaube“ (zit. Heinz-Günther Schöttler, 225). Das Buch hat mich sehr beeindruckt und mir wichtige neue Aspekte eröffnet. Für alle, die am christlich-jüdischen Dialog interessiert sind, ein absolutes Muss.

Annette Ganter-Maslard

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

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