Jacques Sommet - Widerstandskämpfer und Theologe

Die Nachrichten über den am 23. Oktober 2012 verstorbenen französischen Theologen Jacques Sommet SJ erwähnten fast alle beiläufig, dass er knapp zwei Monate vor seinem hundertsten Geburtstag gestorben sei. Was in vielen Nachrufen auffiel, war aber nicht diese Meldung, sondern die Tatsache, dass sie die lange Lebenszeit des Verstorbenen mit den Worten résistant und intellectuel engagé zusammenfassten. Es wurde nicht nur seine ein ganzes Jahr lang dauernde Lagerhaft im Konzentrationslager in Erinnerung gerufen (Jacques Sommet war im Mai 1944 von Compiègne aus als politischer Gefangener in das KZ Dachau deportiert worden). Ebenso erwähnt wurden seine lebenslange Mitarbeit in der "amicale des anciens de Dachau" und seine Stellungnahme von 1987 zum Prozess gegen Klaus Barbie, den ehemaligen Gestapo-Chef von Lyon. Damals forderte er für den lange gesuchten Kriegsverbrecher einen Prozess und erinnerte gleichzeitig daran, dass der französischen Gesellschaft die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Besatzung und der Kollaboration vieler ihrer Bürger noch bevorstehe.

Wenn Jacques Sommet sich selber als résistant bezeichnete und von der Haltung der résistance sprach, hatte er immer die Freiheit der Entscheidung des Einzelnen und die Übernahme von Verantwortung durch den Einzelnen im Blick. Dafür prägte er die Formel "reflektierter Widerstand" (résistance sensée), um darauf hinzuweisen, dass für ihn jeder Widerstand ein Moment der Reflexion in sich schließt und ohne sie nicht zu denken ist.

In Lyon am 30. Dezember 1912 geboren, wuchs Jacques Sommet in der durch die Seidenstoff-Verarbeitung reich gewordenen, durch die Wirtschaftskrise der 30-er Jahre aber schwer getroffenen Stadt auf. Nach seinem Eintritt 1934 in den Jesuitenorden, musste er das 1938 auf Jersey begonnene Philosophiestudium unterbrechen, weil er als Reserveoffizier zum Aktivdienst eingezogen wurde: 1938 im Umfeld der internationalen Spannungen vor dem Münchner Abkommen und 1939 nach dem Angriff des Deutschen Reiches auf Polen. Nach der Kapitulation Frankreichs konnte er 1940 aus einem Gefangenenlager fliehen und das ordensinterne Philosophiestudium fortsetzen. 1942 begann er an der Sorbonne und an der "École libre des Sciences politiques" in Paris ein Studium der politischen Wissenschaften.

Aus dieser Zeit datiert ein Brief an Henri de Lubac SJ (1896-1991). Er schreibt diesem, dass ihm die Arbeit als Gruppenleiter bei den Pfadfindern den Anstoss gab, sich der Theologie zuzuwenden: "In diesem Zusammenhang begann ich über die eigentlichen menschlichen Probleme nachzudenken, indem ich von zwei bzw. drei Grundfragen ausging: das menschliche Handeln, die menschliche Gesellschaft, die religiöse Frage. […] Alle meine kritische intellektuelle Arbeit, die ich so streng wie möglich durchgeführt habe, reagiert auf die Herausforderungen durch die Geschichte, durch eine Geschichte, die gleichzeitig sich als Offenbarung erweist."

Während seiner Studien in Paris kam Jacques Sommet mit mehreren Formen des Widerstandes gegen das nationalsozialistische Regime in Berührung. Er arbeitete in einem Netzwerk der Resistance mit, das für Juden und gefährdete Franzosen die Flucht durch das französische Territorium an die spanische Grenze organisierte. Ausserdem half er bei der Suche nach Mitbürgern, die von der Gestapo festgenommen worden waren und seitdem als verschollen galten. Und er war Mitglied einer Gruppe, die abgeschossene britische und amerikanische Piloten, die von der Wehrmacht nicht entdeckt wurden, an die Kanalküste brachte, wo diese nachts von U-Booten übernommen und nach England gebracht wurden.

Zu diesem direkten Engagement in der Resistance gehörte für Jacques Sommet untrennbar die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. So war er Mitglied einer Studentengruppe, welche für die Verteilung und Verbreitung der Zeitschrift "Témoignage chrétien" in Paris sorgten. Von Pierre Chaillet SJ in Lyon gegründet, verband diese Zeitschrift den politischen und religiösen Widerstand gegen den Faschismus mit Neuansätzen in der pastoralen Arbeit und in der Theologie. In diesem Umfeld lernte Sommet auch die Theologieprofessoren Gaston Fessard SJ und Yves de Montcheuil SJ kennen. So kam er früh in Kontakt mit jenen theologischen und kirchlichen Aufbrüchen der 30-er Jahre. Diese Erfahrungen prägten seine Arbeiten nach seiner Befreiung aus Dachau, in denen er für die ordensinterne Ausbildung verantwortlich war und gleichzeitig als akademischer Lehrer mehrere Generationen seiner Mitbrüder prägte.

Für Jacques Sommet endete das direkte wie das intellektuelle Engagement für die Resistance mit seiner Verhaftung im Frühjahr 1944. Das Fluchthelfer-Netz für Spanien flog schon im Sommer 1943 auf, aber die Gestapo konnte ihn erst 1944 aufspüren; er wurde festgenommen, verhört und schließlich nach Dachau deportiert.

Wenige Wochen nach der Befreiung von Dachau veröffentlichte Jacques Sommet in der Zeitschrift "Études" einen Bericht über die Zeit seiner Deportation. Diesen Text hat er 1976 noch einmal veröffentlicht und auf ihn 1977 noch zwei weitere Beschreibungen seines Aufenthaltes im KZ Dachau folgen lassen. Alle drei Berichte sind lakonisch, diskret und gleichzeitig voll dichter Beschreibungen von Vorgängen, Lokalitäten und Personengruppen. So zeigt er das Lager als eine Organisation, in der Zwangsarbeit von SS und SA als Mittel zur Vernichtung von Menschen eingesetzt wurde: Man kalkulierte den Tod von Menschen ein, denn diese zählen nur solange, wie sie durch ihre Leistungen noch einen Gewinn erbringen konnten.

Unter den Bedingungen dieser Logik leben zu müssen, bringt es mit sich, dass es bei jeder einzelnen Handlung um Leben oder Tod geht. In seinen Beiträgen über Dachau schildert Jacques Sommet eine Vielzahl solcher Situationen und berichtet, wie Menschen sich ihrer Freiheit bewusst wurden und Verantwortung zu übernehmen bereit waren. Davon lässt sich auch heute noch lernen.

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