Martin Luther King Memorial

Auf den Tag genau 48 Jahre nach dem "Marsch nach Washington", bei dem Martin Luther King Jr. (1929-1968) seine berühmt gewordene Rede "Ich habe einen Traum" hielt, hätte das neue "Martin Luther King Jr. Memorial" in Washington der Öffentlichkeit übergeben werden sollen. Doch der Hurrikan Irene und die durch ihn ausgelöste Sturmwarnung erzwangen am 28. August 2011 eine Verschiebung. Am 16. Oktober wurde die Eröffnungsfeier nachgeholt, bei der auch Präsident Barack Obama eine Ansprache hielt.

In der Luftlinie auf halber Strecke zwischen dem "Thomas Jefferson Memorial" und dem "Abraham Lincoln Memorial" am "Tidal Basin" gelegen, ragt das neue Denkmal durch seine Lage aus der Fülle von Monumenten an der "Mall" in Washington heraus. Mit seiner Nähe zu den Gedenkstätten für die beiden bedeutenden amerikanischen Präsidenten weist es auch auf einen Konflikt hin, der die amerikanische Gesellschaft bis heute prägt: Thomas Jefferson war nicht nur Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung mit ihrem Grundsatz von der Gleichheit aller Menschen, sondern auch Sklavenbesitzer. Erst während der Amtszeit von Abraham Lincoln erhielten alle Sklaven ihre Freiheit.

Von der ersten Anregung zum Bau des Memorials, die 1984 von Angehörigen der akademischen Verbindung "Alpha Phi Alpha" ausging und deren Mitglied auch Martin Luther King war, bis zu dessen Vollendung vergingen 27 Jahre, in denen um das Konzept und seine Durchführung kontrovers diskutiert wurde. Die Debatte zeigte, wie unterschiedlich bis heute in der amerikanischen Öffentlichkeit - trotz eines nationalen Konsenses über seine Bedeutung für die Bürgerrechtsbewegung - Leben und Werk Martin Luther Kings beurteilt werden.

Der von den Initiatoren akzeptierte Gestaltungsvorschlag der "ROMA Design Group" (San Francisco) ließ sich von einem Satz aus Kings "Marsch nach Washington"-Rede inspirieren, wo er seinen Traum von der Gleichheit aller Menschen als einen solchen charakterisierte, mit dem sich "aus dem Berg der Verzweiflung ein Stein der Hoffnung schlagen" läßt. So steht am Haupteingang des Monuments ein fast zehn Meter hoher Granitfels, durch den ein Durchgang geschlagen wurde. Durchquert man diesen Engpaß, so stößt man auf einen Block aus demselben Gestein, der genau in die Lücke des Granitfelsens paßt. Aus seiner Frontseite ragt eine zu drei Viertel herausgemeißelte Gestalt Martin Luther Kings heraus. Den Granitblock umgibt ein halbkreisförmiger Wall, auf dessen Wänden 14 Zitate aus Reden Kings eingraviert sind. Zusätzlich findet sich auf der rechten Längsseite des Sockels der Dreiviertel-Figur der Satz Kings über den aus dem Berg der Verzweiflung geschlagenen Stein der Hoffnung, während auf der linken Seite sich eine Paraphrase aus einer seiner Predigten findet: "Ich war ein Tambourmajor für Gerechtigkeit, Frieden und Rechtschaffenheit." Des weiteren ist der Park mit 182 Kirschbäumen bepflanzt, die normalerweise im April, dem Monat der Ermordung Kings, in Blüte stehen. Dieses Arrangement von Texten und einem abzuschreitenden Weg sowie die Einbettung in den jahreszeitlichen Wechsel erlauben jedem Besucher eine individuelle Konfrontation mit der Person Martin Luther Kings.

Bezogen sich viele Kritiker des Memorials auf die Auswahl der Zitate Kings oder auf die monumentale Wirkung der vom chinesischen Künstler Lei Yixin geschaffenen Skulptur, so traf die afroamerikanische Schriftstellerin Maya Angelou einen entscheidenden Punkt, als sie die Paraphrase vom "Tambourmajor" als eine Verzeichnung der Person Martin Luther Kings kritisierte. In der Tat ist in der Formulierung, die sich auf dem Sockel findet, die entscheidende Pointe aus der Predigt vom 8. Februar 1968 in der Ebenezer Baptist Church (Atlanta, Georgia) nicht mehr erkennbar.

In dieser Ansprache nahm er den eigenen Beerdigungsgottesdienst vorweg und bat die Zuhörer, in dieser Situation nicht über das zu sprechen, was er in seinem Leben geleistet und erreicht hat. Vielmehr sollte er als einer erinnert werden, der bereit war, sein Leben als Dienst für die anderen zu verstehen: "Wenn ihr sagen wollt, daß ich ein Tambourmajor gewesen bin, so sagt, ich sei ein Tambourmajor der Gerechtigkeit gewesen. Sagt, ich sei ein Tambourmajor des Friedens gewesen. Sagt, ich sei ein Tambourmajor der Rechtschaffenheit gewesen. Alles andere zählt nicht. Ich will keine Reichtümer noch kostbare Gegenstände hinterlassen. Ich möchte ein engagiertes Leben hinterlassen. Das ist alles, von dem ich will, daß es gesagt wird."

Eine Aufnahme dieser Predigt, die unter der Überschrift "The Drum Major Instinct" zu seinen bedeutendsten Ansprachen zählt, wurde während des Trauergottesdienstes für Martin Luther King am 9. April 1968 abgespielt. Aus der Bitte Kings, wie er von den Menschen erinnert werden möchte, macht die Paraphrase auf dem Sockel eine Selbstaussage und schreibt ihm damit eine Position zu, die er nie in Anspruch genommen hatte. In Anspruch nahm er den guten Willen seiner Zuhörer und Mitstreiter im Engagement für die Gleichheit aller Menschen.

Dieses Thema griff Barack Obama in seiner Ansprache vom 16. Oktober 2011 auf. Er wies darauf hin, daß es eine Mißachtung Martin Luther Kings sei, wenn man das Denkmal als einen bloßen Hinweis auf seine Erfolge in der Bürgerrechtsbewegung verstehen würde. Vielmehr sei es seine Absicht gewesen, daß die Menschen auch um seine Niederlagen und seine Zweifel wissen: "Er wollte, daß wir um seine Schwächen wissen, denn alle von uns haben Schwächen. Weil Dr. King ein Mensch aus Fleisch und Blut war und nicht eine Gestalt aus Stein, kann er uns inspirieren. Seine Geschichte, sein Leben sagen uns, daß Veränderungen möglich sind, wenn ihr nicht aufgebt. Er gab nicht auf, wie lange auch etwas dauern konnte." Mit dieser Rede gab der amerikanische Präsident eine inspirierende Deutung von Martin Luther Kings Formulierung aus seiner Washingtoner Rede über den "Berg der Verzweiflung", aus dem sich ein "Stein der Hoffnung schlagen läßt".

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