Nie wieder Krieg

„Nie wieder Krieg!“ Mit diesem Satz bin ich aufgewachsen, habe ihn zeitlebens sozusagen als politische „Präambel“ der Überlebenden und auch der „Nachgeborenen“ gehört.
Seit meiner Kindheit bin ich bei Siegesmeldungen misstrauisch. Die Ufa-Wochenschauen mit ihren Helden-Legenden zogen mich als Kind in Bann, machten mich aber nie glücklich. Ich hatte nie Freude an Goliaths Tod oder am Untergang des ägyptischen Heeres. Ich habe mich immer gefreut, wenn Leben möglich wurde im Land der Unterdrücker, hätte mich aber keinem Tanz anschließen mögen um das Feld der Geschlagenen und Gestürzten. Bis heute mag ich keinem Tyrannen und keinem Übeltäter Gottes Gnade ausschlagen. Noch mitten in der Siegesmeldung verliert für mich der geschlagene Große jeden Schrecken und wird zum Opfer. Und vielen meiner Mitchristen wird das genauso gehen.
Vielleicht wirft man mir vor, ich würde die Versöhnung aller predigen und Gott als gerechten Richter verleugnen. Ja, auch das mit Gott als dem Richter, der die Bösen in die Verdammnis schickt, habe ich nie nachvollziehen können. Wie könnte ich Freude daran haben, wenn einem anderen der Himmel verschlossen bleibt? Armer David, du hast doch selbst einen Goliath in dir, spürst du das nicht?
Ich kenne die Bibel. Ich kenne das Lied der Maria: „Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.“ Ich kenne die Genugtuung des Psalmbeters über den Tod des Gottlosen und über die Vernichtung des Rachgierigen. Aber dieser Gott ist mir von Kindheit an fremd gewesen. Warum sollte sich Gott gerade über meine Fehler und nicht über das bizarre Elend Goliaths erbarmen?
Mir ist jeder nah, der weint über das Elend seines Feindes, hätte er – weiß Gott – vielleicht doch eines Tages sein Freund sein können.
Ich wünschte, Goliath könnte Revision einlegen, oder die Sonne und die Luft stünden still über dem Schlachtfeld, und David legte den Stein wieder weg, und Saul schwiege, die Fernsehbilder würden ausgeblendet und es gäbe eine Auszeit. Ich wünschte, es gäbe einen anderen, einen dritten Weg. Lange vor dem Mann aus Nazareth und lange nach dem Mann aus Nazareth. Der hat das auch anders gesehen. Er ist den dritten Weg gegangen. Den einzig überzeugenden: Er hat sich dazwischengestellt.
Siegesmeldungen haben mich noch nie überzeugt. Nur diese eine, die auch erst kam, als alles scheinbar zu spät war. Und manchmal sage ich sie mir dreimal, fünfmal, zehnmal am Tag vor, gegen alle Vernunft: „Er ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“

Ich bin in Pforzheim in die Schule gegangen. Wir haben nach der Schule in Trümmern gespielt, uns in Bombentrichtern versteckt, Abenteuer gesucht.
Die zerstörte Schlosskirche, die Ruinen am Rand des Schulwegs, die Kellergewölbe und die Mauerreste waren unser Versteck. Gelegentlich fanden wir Scherben von Tassen und Krügen, den Rest eines Stuhles, einmal fand ich ein Döschen mit bunten Glassteinen.
Im Februar 1945 hatte ein alliierter Bombenangriff auf die Gold- und Schmuckstadt Pforzheim innerhalb von 15 Minuten die ganze Stadt zerstört. Ein Drittel der Bevölkerung war tot. 20.000 Menschen nach 15 Minuten militärischer Präzisionsarbeit. Wer das erlebt hat, der spürt: Krieg darf um Gottes willen nicht mehr sein.
In seltener Einigkeit haben Vertreter aller christlichen Konfessionen, Katholiken und Protestanten, Orthodoxe und Methodisten, die Stimme erhoben gegen einen Krieg. Die Argumente waren deutlich, hörbar, verständlich: Krieg ist keine Lösung, Krieg ist Unrecht. Es gibt keinen gerechten Krieg. Hört endlich auf, mit Krieg zu drohen oder „Krieg zu machen“.
Christa Wolfs Kassandra sagt: „Wenn ihr aufhören könnt zu siegen, kann diese Stadt bestehen bleiben.“

Die Angreifer trugen polnische Uniformen, sie machten eine Ansage auf Polnisch, doch tatsächlich gehörten sie zur Schutzstaffel des „Führers“, zur SS. In der Nacht vom 31. August auf den 1. September 1939 besetzen die Männer vom Sicherheitsdienst der SS einen Radiosender in der deutschen Stadt Gleiwitz unweit der polnischen Grenze. So täuschten sie einen Angriff polnischer Aufständischer auf das „Großdeutsche Reich“ vor und schufen den Kriegsgrund, auf den Adolf Hitler schon gewartet hatte.
Vor Generälen hatte er angekündigt, einen Anlass zum Angriff zu schaffen. Und am Morgen des 1. September 1939 verkündete Hitler in einer Rede in der Kroll-Oper, wo das Parlament tagte: „Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!“

Wir gedenken am 1. September des Kriegsbeginns vor 80 Jahren.
Ich habe drei erfahrene Kollegen gebeten, für die PASTORAL­BLÄTTER zu diesem Anlass einen Alternativ­gottesdienst beizutragen.

Ob Handelskrieg, neue Rüstungsspirale, ob Waffenexporte in Kriegsgebiete oder „Festung“ Europa – als ich dieses Editorial schreibe, tönt es aus dem Weißen Haus: „Sollte Teheran den Kampf suchen, wäre dies ,das offizielle Ende des Iran‘.“ Mit Verlaub, Mr. President: Nein!
Es hat sich nichts geändert seit 1945:
Hört auf, siegen zu wollen! Nie wieder Krieg!

Gerhard Engelsberger

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