Flugscham – eine neue Bewegung?

„Flugscham“ wurde zuerst in Schweden als neues Wort erfunden und ist mittlerweile in etliche Sprachen übertragen worden. Bedeutet weniger zu fliegen ein Zurückdrängen des Weltbürgertums? Wer weiterhin fliegt und dabei für die entstandenen CO2-­Emmissionen eine Kompensation leistet, steht zudem im Verdacht, sich eines billigen Ablasshandels zu bedienen.

Ende letzten Jahres wurde gemeldet, dass die Passagierzahlen für Kurzstreckenflüge in Deutschland deutlich zurückgehen. In Schweden ist das bereits seit längerer Zeit der Fall. Das spricht für ein Umdenken und das finde ich gut. Von Berlin nach München kann ich bequem mit dem Zug fahren und lande zudem nicht weit außerhalb, sondern mitten in der Innenstadt.

Nach meinem Eindruck denken auch viele Menschen mit Blick auf ihre Urlaubsplanung um. Ich muss nicht unbedingt auf die Malediven oder in die Dominikanische Republik. Die Ostsee ist auch sehr schön, wir könnten wandern in Gegenden Europas, in denen wir noch nie waren. Und schwimmen lässt sich auch im Mittelmeer.

Aber machen wir uns nichts vor: Das Fliegen wird nicht abgeschafft. Nicht jede kann wie Greta Thunberg mit einem Privatsegler den Atlantik überqueren. Es wird Konferenzen geben müssen, auf denen Nationen oder Konzerne sich verständigen. Skypekonferenzen sind gut, aber manchmal braucht es Verhandlungen von Angesicht zu Angesicht. Auch für Gemeindepartnerschaften ist es gut, wenn wir uns persönlich begegnen, mal in Deutschland, mal in Äthiopien beispielsweise. Es ist wichtig, dass junge Leute ein freiwilliges soziales Jahr in Brasilien oder Indonesien verbringen, weil solche Erfahrungen prägen, den Horizont erweitern. Und ja, dafür müssen sie fliegen.

Trotzdem finde ich Flugscham gut. Zum einen, weil sie ein Indiz dafür ist, dass die Klimakatastrophe im öffentlichen Bewusstsein angekommen ist. Früher wurde gern damit geprahlt, wohin überall jemand unterwegs war. Heute wird gefragt: War das sinnvoll, war das nötig? Ich habe in einer Talkshow erlebt, wie ein Sänger Bedeutung und Weltläufigkeit unterstreichen wollte, indem er erklärte, in wie vielen Ländern er innerhalb weniger Monate Konzerte gegeben hatte. Als der Moderator das mit dem Satz kommentierte: „Naja, klimatechnisch gesehen war das ja wohl kein so großer Erfolg“, schaute der Sänger völlig irritiert. Diese veränderte Sicht der Dinge war bei ihm offenbar noch nicht angekommen und er wirkte ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Es ist gut, zu überlegen: Muss ich fliegen? Muss es unbedingt so weit weg sein? Ist das sinnvoll?

Zum anderen bringen die Diskussionen hoffentlich eine weitere Veränderung mit sich. Muss Fliegen derart billig sein? Früher war es etwas ganz besonderes, sich einen Flug leisten zu können. Heute bietet Ryanair an, für € 5,62 von Stuttgart nach Malaga zu fliegen, easyjet einen Hin- und Rückflug von Berlin nach Paris für € 55,–. Das kann doch nicht sinnvoll sein. Ich denke, die Belastung der Umwelt durch Emissionen muss sich in den Flugpreisen abbilden. Flugbenzin muss besteuert werden. Technologische Forschung sollte verstärkt werden, damit CO2-neutrales Fliegen möglich wird. Übrigens: Alle, die fliegen, können heute schon ganz privat – oder auch über die Firma bzw. diejenigen, die sie bitten, zu fliegen – die Emissionen ausgleichen etwa bei atmosfair.de oder klima-kollekte.de. Manche kritisieren das als eine Art Ablasshandel mit dem schlechten Gewissen. Ein Forschungsprojekt der Universität Kassel hat gezeigt, dass die so geförderten Projekte deutlich zum Klimaschutz beitragen. Wer also fliegt, kann sich zumindest um Ausgleich bemühen.

€ 876.013 nahm 2018 die Klima-Kollekte, ein CO2­Kompensa­tionsfonds christlicher Kirchen, für die CO2­Kompensation ein. Davon flossen etwa 46 Prozent in die Kompensation von Flug­ reisen. 2011 gegründet, berät die Klima­Kollekte Einzelpersonen, Organisationen und Gemeinden im Hinblick auf das Thema Klima­ schutz. „Vermeiden – Reduzieren – Kompensieren“ ist das Motto. Mit dem eingenommenen Geld wird der Ausbau erneuerbarer Energien finanziert beziehungsweise die Steigerung der Energieeffizienz ge­fördert. Alle Projekte sind den von den Vereinten Nationen definierten Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) verpflichtet. Zu der gemein­nützigen GmbH gehören u.a. das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung (mit Brot für die Welt), das Bischöfliche Hilfs­werk MISEREOR e.V., der Deutsche Caritasverband, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft Heidelberg (FEST). Die Stiftung Warentest bewertete die Klima­ Kollekte 2018 mit „sehr gut“.

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