Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad

Das Liedchen, das schon die jetzige Großeltern-Generation in ihrer Kindheit gesungen und zigfach weitergedichtet hat, löst in einer zeitgemäßen Umschreibung einen öffentlichen Skandal aus. Sind die Alten wirklich so humorlos?

„Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ – ich fand das Lied als Kind schon toll und lustig. Ich habe es mit meinen Kindern gesungen. Und ich habe eine schöne Bilderbuchversion, die ich gern mit meinen Enkeln singe. Sie lachen dabei.

Dann stellte Ende letzten Jahres der Westdeutsche Rundfunk eine umgedichtete Version online, die vom eigenen Kinderchor aufgeführt wurde. Der Text lautete: „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad, Motorrad, Motorrad. Das sind 1000 Liter Super jeden Monat. Meine Oma ist ne alte Umweltsau!“ Ich musste echt darüber lachen. Da wurden Omas auf die Schippe genommen. Auch in der letzten Strophe: „Meine Oma fliegt nicht mehr, sie ist geläutert, geläutert, geläutert. Stattdessen macht sie jetzt zehnmal im Jahr ne Kreuzfahrt, meine Oma ist doch keine Umweltsau!“ Recht haben sie, die Kinder, dachte ich. Fünf Millionen Deutsche machen jedes Jahr eine Kreuzfahrt, obwohl wir wissen, dass das die Art zu reisen ist, die die Umwelt am heftigsten belastet.

Aber: Es folgte ein gigantischer Shitstorm! Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet erklärte, die „Grenzen des Stils und des Respekts gegenüber Älteren“ seien überschritten. Der WDR nahm den Clip aus dem Netz, der Intendant Tom Buhrow entschuldigte sich für das Video öffentlich. Ehrlich gesagt, finde ich das humorlos. Wer sich das Video anschaut, sieht die Gesichter der Kinder, die das einfach lustig finden. Ich erlebe das auch bei meinen Enkeln. Wenn ich mal sage: „Der ist ja echt ein Dullie“, lacht sich der eine schlapp. Oder wenn bei der Krachmacherstraße der Vater sagt, Lotta sei „stur wie eine alte Ziege“. Mal was Freches sagen, ist doch erlaubt.

Warum darf das nicht formuliert werden, dass wir Alten wirklich diejenigen sind, die allzu sorglos gelebt haben? Ich habe mich immer bemüht, umweltbewusst zu leben. Aber ich bin auch geflogen, hatte bis auf wenige Jahre ein Auto. Und ja, viele haben jahrelang nicht darauf geachtet, wie Tiere gehalten werden, sondern ob Fleisch billig ist.

Heißt „Respekt vor den Alten“, dass es keinerlei Kritik geben darf? Und ist so ein Lied nicht einfach auch hintergründig ironisch? Könnte es nicht einfach als Satire durchgehen? Aber vor allem Rechtsextreme sind offenbar völlig humorlos. Sie demonstrierten in Köln gegen das Video, Morddrohungen wurden an den Sender verschickt.

Entstanden war das Lied im Zusammenhang mit der Fridays for Future-Bewegung.

In einer Sendung von WDR 5 am 9. November 2019 wurde es in diesem Zusammenhang vorgestellt und es gab keinerlei Reaktionen. Als es nach Weihnachten auf WDR 2 noch einmal gesendet und auf Facebook gepostet wurde, wurde durch sehr wenige Nutzer ein gewaltiger Shitstorm ausgelöst. Im Nachhinein wurde klar, dass er künstlich hergestellt worden war. Nicht treue Hörerinnen und Hörer haben sich da zu Wort gemeldet, sondern eine gezielte Kampagne gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk war lanciert worden.

Die Omas und Opas, die ich kenne, können über sich selbst lachen. So humorlos sollte niemand sein, dass er oder sie eine kleine lustige und zugleich freche Wahrheit nicht erträgt!

Der Volksmund schert sich bekanntermaßen nicht um Urheberrechte: Vermutlich ist der beliebte Gassenhauer bereits in den 1930er Jahren aus zwei Schlagern entstanden, dem Refrain des Rheinländers „Wir versaufen unsrer Oma ihr klein Häuschen“ von Robert Steidl, der wiederum die Melodie dem Lied „Die Holzauktion“ (um 1890) von Franz Meißner entlehnte. Der Text zeigt deutliche Verwandtschaft mit dem Foxtrott „Meine Oma fährt Motorrad, ohne Bremse, ohne Hupe, ohne Licht“ (1928) von Ernst Albert und Erwin Bolt.

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