Die dreigruppige Einrichtung, die ich leite, liegt in Birkenau im hessischen Odenwald. Derzeit sind wir in einer Containeranlage untergebracht, haben uns dort aber inzwischen einen Wohlfühlort geschaffen. Schon immer war mir der gute Kontakt zu den Kindern, ihren Eltern und den Teammitgliedern enorm wichtig. Ein Grundgedanke meiner Leitungstätigkeit, den ich auch dem Team vermitteln möchte, lautet: „Wer eine offene Haltung leben will, öffnet auch im Alltag seine Türen.“ Davon wird die Pädagogik unserer Einrichtung maßgeblich bestimmt. Die offene Bürotür ist daher weit mehr als eine symbolische Geste: Sie schafft Begegnung und Transparenz, stärkt das Vertrauensverhältnis zu den Kindern, ihren Eltern und den Teammitgliedern. Der Anspruch, allen Beteiligten als Ansprechpartnerin zur Verfügung zu stehen, ist Ausdruck meines Rollenverständnisses als Leitung. Dass meine Tür ausnahmslos allen offensteht, ist mir sehr wichtig. Denn die Haltung der Leitung wirkt sich nicht zuletzt auf die Gestaltung des Miteinanders im Kita-Alltag aus.
Praxisbeispiel
„Stefan, was ist los? Du siehst wütend aus.“ Stefan steht an der Tür und schaut seiner Mutter nach. Eine Antwort bekomme ich erst einmal nicht. Aber mein Angebot, ins Büro mitzukommen, nimmt er an. Dort frage ich ihn, ob er mir den Grund für seine Wut verraten möchte. Kurz antwortet er, dass er heute gar nicht im Kindergarten sein will. Auf meine Bitte, mir zu zeigen, wie viel Wut in ihm steckt, und mal so fest wie möglich aufzustampfen, reagiert er umgehend. Ungläubig schaue ich ihn an und frage, ob das schon alles war. Das ginge doch bestimmt noch viel fester, oder? Wieder stampft er auf, aber diesmal deutlich heftiger. „Kannst du das auch mit dem anderen Fuß?“, frage ich ihn. Da stampft er so fest auf, dass der Boden kurz vibriert. Sein Blick ist sichtlich irritiert, aber ich reagiere begeistert. „Das war aber wirklich fest! Wow, da ist ja so viel Wut in dir, dass sogar der Boden wackelt.“ Stefan lacht. „Und wo geht die Wut jetzt hin?“, frage ich ihn, „verschwindet die jetzt im Boden?“ Er lacht: „Nein, die ist zum Fenster raus. Die fliegt jetzt zu einem anderen Kindergarten.“ Wir lachen beide laut los und ich frage ihn, was er nun machen möchte, wo doch die Wut weg ist. Stefan grinst: „Ich geh’ spielen!“
Nähe und Distanz brauchen Balance
Lassen sich Emotionen und menschliche Nähe immer konsequent von professionellem Handeln trennen? Beruflich arbeiten wir mit klaren Aufgabenbereichen und einem pädagogischen Auftrag. Aber den gemeinsamen Erfolg machen im Grunde erst die zwischenmenschlichen Beziehungen aus. Zugleich signalisieren klare Grenzen an vielen Stellen im Alltag, wo Privates hinter unserem Arbeitsauftrag zurückstehen muss. Professionelle Distanz bedeutet, reflektiert zu entscheiden, wo persönliche Themen im beruflichen Kontext ihren Platz haben und wo nicht. Eine gute Balance zwischen Nähe und Distanz ist mir als Leitung wichtig, damit sich Team und Kinder zwar gut aufgehoben fühlen, aber persönliche Befindlichkeiten auch nicht dauernd unsere Alltagsstrukturen belasten.
Offene Türen stehen für eine Haltung
Auf die Leitung als Ansprechpartnerin kommen Kinder, Eltern und Teammitglieder mit ihren Anliegen und Fragen zu und sollen sich damit jederzeit willkommen fühlen. Meine offene Tür ist Ausdruck für eine Haltung der Zugänglichkeit und des Interesses an den Menschen in der Einrichtung. Zugleich kann ich so die Geschehnisse im Kita-Alltag mit erleben und aktiv mitgestalten. Auf diese Weise gelingt es mir, präsent zu sein, ohne jederzeit ins Gruppengeschehen eingebunden zu sein. Durch die offene Tür meines Büros bekomme ich Stimmungslagen mit, Erwachsene und Kinder schauen herein, denn der Weg zu mir ist nicht durch Hürden verstellt.
Früher war kaum Offenheit gefragt
Mich haben in der Vergangenheit ganz andere Erfahrungen geprägt. Früher hielten Leitungskräfte ihre Türen meist geschlossen, was mich immer verunsicherte: Passt es jetzt und darf ich stören? Ist mein Anliegen wirklich wichtig? Oft habe ich mich nicht getraut, an der Bürotür zu klopfen. Denn nicht selten war die Reaktion abweisend. Da brauchte es dann besonderen Mut, sich mit seinem Anliegen trotzdem an die Leitung zu wenden. Probleme oder Fragen wurden schnell abgehandelt und was blieb, war das Gefühl, gestört zu haben. Deshalb wollte ich es in meiner Leitungstätigkeit von Anfang an anders machen. Noch gut erinnere ich mich, wie sehr es mich als Erzieherin frustrierte, Hilfe zu brauchen, aber mich nicht ins Leitungsbüro zu trauen. Nur warum? Weil mir damals die klare Ansage fehlte, wann ich kommen durfte und wann nicht – also Transparenz und eine Willkommenskultur.
Mein Büro ist ein Ort der Begegnung
Statt als abgeschotteten Raum betrachte ich mein Büro als lebendigen Teil unseres Kinderhauses. Gern kommen die Kinder vorbei, schauen nach mir und fühlen sich willkommen. Sie malen, spielen oder lesen im Büro und nutzen es, um mit mir ins Gespräch zu kommen. Manchmal beschweren sie sich über andere Kinder oder über das, was sie sonst noch ärgert. In solchen Gesprächen erfahre ich jede Menge von ihnen. Sie erzählen mir von zu Hause oder von ihren Erlebnissen im Kita-Alltag. In manchen Fällen kann ich unterstützend intervenieren. Kinder in ihren Themen zu begleiten und sie zu bestärken, sich für ihre Belange einzusetzen, ist mir ein Herzensanliegen. Kürzlich hat sich bei mir ein Kind über ein anderes Kind beschwert. Ich fragte nach, ob wir mal gemeinsam sprechen wollen. In meinem Büro herrscht meist eine persönlichere Atmosphäre als im Gruppenraum – schon allein wegen der Lautstärke. So entstehen oft intensive Gespräche, weil sich die Kinder ganz ohne Ablenkung auf ihr Anliegen konzentrieren können. Dann sitzen wir am Tisch und nehmen uns Zeit. Besonders beliebt ist auch die Plüscheule Eulalia, die stets bereit liegt. Für die Kinder ist sie ein Anziehungspunkt und motiviert sie, bei mir zu spielen. Eulalia bekam ihren festen Platz in meinem Büro, nachdem sie in einem Morgenkreis eingeführt worden war. Seitdem wird sie von den Kindern regelmäßig besucht. Dadurch entsteht eine Atmosphäre, in der sich die Kinder ernst genommen fühlen und gleichzeitig mitbekommen, was ich als Leitung so alles zu tun habe.
Praxisbeispiel
Einmal klopfte eine Gruppe von Kindern vorsichtig an und fragte: „Dürfen wir reinkommen?“ Natürlich durften sie. Während ich Dokumente scannte, sahen sie mir neugierig zu, stellten Fragen zum Computer und wollten wissen, was ich da mache. Ich erklärte es ihnen, überließ ihnen auch mal die Maus, ermunterte sie, den einen oder anderen Knopf zu drücken, und führte ihnen vor, wie ein Dokument digitalisiert wird. Die Kinder waren begeistert und stolz, Teil der Aufgabe zu sein. Diese Begegnung mag nach außen hin vielleicht unspektakulär erscheinen, hatte aber eine große Wirkung. Ich hatte ihre Neugier erkannt und konnte sie einbinden. Mit den Kindern Spaß im Büro zu haben, ist der optimale Ausgangspunkt für ein vertrauensvolles Miteinander.
Der Kontakt zu Kindern ist für mich eine Kraftquelle. Das Erleben mit Kindern bringt Leichtigkeit in meinen Alltag und Abwechslung von meinen Aufgaben am Computer, in Elterngesprächen, bei Teamanliegen, in Verwaltung, Organisation und angesichts pädagogischer Herausforderungen an meine Rolle. Auch wenn ich von der pädagogischen Arbeit mit Kindern freigestellt bin, sieht meine Praxis anders aus. Das liegt vor allem an meiner Einstellung. Denn die Arbeit mit den Kindern ermöglicht mir Einblicke in ihr Erleben und ihre Bedürfnisse. Dieses Wissen fließt in meine Leitungstätigkeit ein und hilft mir, sinnvolle Entscheidungen für die Kita zu treffen. Vieles würde mir entgehen, wenn ich mich nicht dafür interessierte, was die Kinder zu sagen haben und wie sie unsere internen Abläufe erleben. Nur so kann sich unsere Einrichtung angemessen weiterentwickeln.
Konsequente Offenheit kommt allen zugute. Um ein Gleichgewicht zwischen Professionalität und Menschlichkeit zu schaffen, kann die offene Tür zur Leitung ein erster Wegweiser sein. Mir ist es wichtig, sichtbar und ansprechbar zu sein und mich in den Kita-Alltag einzubringen. Das trägt zu einer Atmosphäre des Vertrauens und der Transparenz bei, die zur Beteiligung einlädt. Mit der praktizierten Offenheit pflegen wir zugleich unsere Willkommenskultur, in der sich alle Beteiligten gehört, gesehen und wohl fühlen.