Na, könnt ihr das Wort Diversität noch hören? Oder klingt es langsam so ausgehöhlt und abgenutzt wie „Partizipation“ oder das Insektenhotel der Vorschulkinder von 2019?
Manche Kitas feiern Diversität wie Weihnachten: einmal im Jahr, bunt in Regenbogenfarben dekoriert (lasst das bloß in Berlin niemanden hören!), mit Liedern in fünf Sprachen, einem Couscous-Büfett und einem großen Poster, auf dem „Wir sind alle gleich und doch verschieden“ steht. Ein schöner Anlass. Ein warmes Gefühl. Und am Montag danach ist alles wieder wie vorher.
Vielfalt ist das neue „Kinder müssen mehr draußen spielen“. Alle nicken, aber kaum jemand fragt: Wie fühlt sich das eigentlich für das einzelne Kind wirklich an? Wo liegt der feine Unterschied im Alltag?
Stattdessen präsentieren wir stolz unsere Hautfarben-Buntstifte, kaufen drei Kinderbücher mit Rollstühlen – ach hier und dieses mit zwei Papas! – und klopfen uns selbst auf die Schulter, wie weltoffen wir doch sind.
Nur: Vielfalt beginnt nicht in der Bilderbuchecke. Sie beginnt dort, wo es wehtut. Zum Beispiel, wenn Eltern ihre Kinder acht Stunden am Tag betreuen lassen müssen und im Team dann gemurmelt wird: „Na ja, da fehlt halt die Bindung zu Hause.“ Oder wenn wir die innere Augenbraue hochziehen, weil Aleyda als Highlight vom Wochenende „Happy Meal und Paw-Patrol-Marathon“ aufzählt. „Die sollten auch mal mehr mit ihren Kindern unternehmen.“
Solche Sätze sind bequem. Aber sie sind auch übergriffg. Und ja, keine Sorge. Ich habe sie auch schon gesagt oder mindestens gedacht. Sie zeigen, wie schnell wir urteilen, wenn Lebensrealitäten nicht zu unserem Idealbild passen. Wirklich gelebte Vielfalt heißt: Ich höre auf, Menschen zu bewerten, deren Entscheidungen ich nicht kenne. Ich frage nicht, warum eine Mutter ihr Kind so „früh“ bringt, sondern überlege, wie ich dieses Kind heute gut begleite. Ich erzähle Aleydas Vater nicht, wie wichtig Ausflüge in die Natur für seine Tochter sind. Das wird er wissen und er wird seine Gründe haben.
Echte Vielfalt zwingt uns, Denkmuster zu hinterfragen. Warum erwarten wir von Kindern, dass sie sich an „unsere“ Regeln halten – und reflektieren stattdessen nicht mal unsere Strukturen? Wenn wir wissen, dass die Vorschulkinder uns ab März durch die Decke gehen, warum haben wir dann nicht längst die Trink aschen und Schnitzmesser gepackt und gehen direkt um 8 Uhr in den Wald zum Budenbauen?
Vielfalt heißt nicht, dass alle alles dürfen. Aber es heißt, dass wir bereit sind, unser „normal“ immer wieder infrage zu stellen. Also ja – bitte weiter Hautfarben-Stifte, Bücher mit queeren Eltern und Kinderlieder in Türkisch. Aber eben nicht nur. Denn echte Vielfalt ist eine tägliche Entscheidung.
Und eine kleine Notiz am Rande: Neulich gab es bei uns zum Frühstück Donuts und Bacon. Und meine Tochter wird das ganz sicher stolz im Morgenkreis erzählen.