Das Urteil ist schonungslos: Sie sei ein Symptom für Einfallslosigkeit und die mit ihr verbundene argumentative Vorgehensweise reiße eigentlich niemanden vom Hocker. Gemeint ist die Vorsilbe „Post-“, mit der Dieter Thomä, emeritierter Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen, im gleichnamigen Buch abrechnet und zugleich den Versuch unternimmt, das „Erfolgsmodell“ der Postismen, die er diverse Diskurse in Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften bestimmen sieht, nachzuzeichnen. Ihren Aufstieg verdanken sie in seiner Lesart nämlich „nicht nur den Einzelleistungen irgendwelcher Denkschulen“, sondern sie profitierten „maßgeblich von der Anziehungskraft der Vorsilbe Post-“.
Dabei, und das ist eine der grundlegenden Kritiken des Autors, teilten Vertreter ebendieser Vorsilbe die Welt entzwei in getrennte Bereiche mit auseinanderklaffenden Lesarten, in „X und Post-X“. Es gehe eben nicht um die Verbindung von Gegenwart und Zukunft durch eine Wachstums- oder Fortschrittsgeschichte, stattdessen wollten Postismen „ihrer Zeit voraus sein, indem sie sich in eine Nachzeit versetzen“, konstatiert Thomä.
Er verdeutlicht seine Thesen an „den großen Drei“ – Posthistoire („Das Ende der Geschichte hat viel mit falschen Hoffnungen, also auch mit falschen Enttäuschungen zu tun“), Postmoderne („In ihrer schwächsten, plattesten Version taugt die Postmoderne tatsächlich als Trump-Vorbereitung“) und Postkolonialismus („Die Welt heute wird dazu verdonnert, Nachwelt des Kolonialismus zu sein. Es kommt damit zu einer Einengung der Gegenwart.“) –, die sich unter anderem deswegen für eine genauere Betrachtung eigneten, weil sie über eine einzelne wissenschaftliche Disziplin hinausgehen und tatsächlich Einfluss etwa auf politische Prozesse nehmen können.
Das dem Leser einige geistesgeschichtliche Vorkenntnisse abverlangende Buch weckt zugleich durch seinen Duktus die Lust am Lesen – und zur Debatte. Denn streitbar sind Thomäs Ausführungen durchaus, Gegenrede von Vertretern der verschiedenen Postismen und darüber hinaus darf erwartet werden. Lesens- und bedenkenswert ist das jüngste Werk des Philosophen allemal. Annika Schmitz