Evangelische Kirche in Deutschland80 Jahre und ein bisschen leise

Die EKD sollte ihren Geburtstag zu einer dringend nötigen Bestandsaufnahme und der Lösung von Fragen künftiger Strukturen nutzen.

Porträt Benjamin Lassiwe
Benjamin Lassiwe, ständiger Mitarbeiter der Herder Korrespondenz© Ralf Zöllner

Ein bisschen ist es ein vergessenes Jubiläum: Am 31. August 1945, vor 80 Jahren, wurde im hessischen Treysa der erste Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gegründet. Der entstehende Bund lutherischer, reformierter und unierter Kirchen, der erst vor einigen Jahren beschlossen hatte, auch selbst Kirche zu sein, sollte über viele Jahre die junge Bundesrepublik prägen. Die Ostdenkschrift, die Friedensdenkschrift, die Predigten, Stellungnahmen und Vorträge eines Otto Dibelius oder Kurt Scharf, eines Martin Kruse oder Wolfgang Huber zeigten Wirkung in der Gesellschaft.

Heute freilich hat es die EKD schwerer, mit ihren Themen in der Öffentlichkeit vorzukommen. Die Synoden sind oft mit sich selbst beschäftigt. Was der Rat auf seinen Sitzungen treibt, bekommt man außerhalb der Kirchenmauern kaum noch mit. Texte und Grundsatzpapiere verpuffen, und in der Vielfalt der sozialen Medien ist die EKD nur noch ein Player unter vielen. Ähnlich ist es in der Politik: Wenn man derselben Meinung ist, sind die Kirchen – nicht nur die EKD – ein „Nice to have“, auf die man sich gern beruft. Aber dass eine abweichende kirchliche Stellungnahme zu Veränderungen der eigenen Positionen führt, geschieht doch nur noch selten. Dazu kommen die eigenen, strukturellen Probleme: Deutschlandweit verlieren die Kirchen Mitglieder, deutschlandweit macht man sich Gedanken über die Zukunft von Gebäude und Personal. Gegenläufige Trends sind nicht in Sicht.

Zuletzt fragte deswegen die kurhessische Bischöfin Beate Hofmann, ob es überhaupt noch 20 Landeskirchen braucht. Beantworten konnte sie die Frage nicht. Denn – auch wenn die Synode der EKD einst einen Zukunftsausschuss eingerichtet hat – eines fehlt in der Evangelischen Kirche in Deutschland schon lange: Eine grundlegende Evaluation des Ist-Zustands. Wie effektiv ist das föderale System des deutschen Protestantismus eigentlich noch? Welchen Sinn machen ein Kirchenamt in Hannover, eine Synode und ein Rat? Welche Rolle sollen künftig Landeskirchen, Bischofssprengel und Kirchenkreise spielen? Wurden solche Fragen untersucht, waren es meist EKD-eigene oder der EKD hochverbundene Einrichtungen, die sich damit beschäftigt haben. Und oft ist es dann nur eine Ebene, die von einer anderen Ebene in den Fokus genommen wird. Und alle Beteiligten haben ihre spezifischen Partikularinteressen, die sie irgendwie versuchen, in die Untersuchungen hineinzubringen.

Vielleicht wäre der Geburtstag der EKD einmal ein Anlass, sich den Luxus einer externen Bestandsaufnahme durch eine säkulare, nicht von der Kirche finanzierte oder mit ihr für gewöhnlich kooperierende wissenschaftlichen Einrichtung zu gönnen. Sie sollte einfach einmal alles in Frage stellen – vom Amt der Ratsvorsitzenden über Synode, Kirchenamt der EKD und Landeskirchen bis hinab zum kleinsten Kirchenkreis. Denn auch die EKD wird in den nächsten Jahren klären müssen, was es für die Existenz evangelischer Kirche in Deutschland eigentlich wirklich braucht. Sind es große, mehrere Bundesländer umfassende Landeskirchen? Oder liegt das Heil nicht eher in der Kleinheit der Strukturen und der Nähe zu den Menschen vor Ort? Am Ende einer solchen Untersuchung kann dann auch die EKD stehen, als einzige wirklich nötige Ebene von Kirche in Deutschland. Oder ihre Abschaffung als eigentlich überdimensionierter Wasserkopf, wer weiß das schon.

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