Der Gast hatte sich noch nicht vollständig vorgestellt, da gab es schon den ersten Zwischenruf - vier weitere Störaktionen und laut Polizei insgesamt fünf Platzverweise sollten folgen. Vor der Tür: rund 200 Demonstrierende, die unter anderem ein Ende eines „Genozids" im Gazastreifen forderten. Hinter der Tür: der israelische Historiker Uriel Kashi. Und reichlich Polizei und Sicherheitskräfte zum Schutz der Veranstaltung. Auf Einladung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in Bonn sprach Kashi am Montagabend an der Universität zu dem Thema „Zwischen innerer Zerrissenheit und neuen Gefahren: Israels Herausforderungen nach dem 7. Oktober".
Gegen den Vortrag war so stark mobilisiert worden, dass die DIG ihn an einen anderen Ort verlegte - der dann aber doch nicht geheim blieb. Häufig werden als pro-palästinensisch bezeichnete Proteste und Zusammenstöße eher an großen Universitätsstandorten bekannt. Zuletzt an der Columbia University in den USA, aber auch in Berlin und jüngst in Amsterdam. Studierenden-Camps wurden geräumt. Ein solches steht seit etwa einer Woche auch im Bonner Hofgarten.
Am Infostand des „Gaza Solidaritätscamps" kann man Flyer mitnehmen. Eine Forderung an Regierung, Uni und Studierendenvertretung lautet, die Kooperation mit der DIG zu beenden. Diese hatte in der internationalen Debatte um das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA mittelfristig ein Ende der Finanzierung gefordert. Damit werde „maßgeblich zur Aushungerung von Gazas Bevölkerung" beigetragen, heißt es auf dem Flyer.
Krieg gegen die Hamas
Am Montag machte Kashi deutlich, dass Israel keinen Krieg gegen das palästinensische Volk, sondern gegen die Hamas führe - und somit auch keinen Genozid begehe. Die Hamas hatte zuvor Israel angegriffen, Geiseln genommen, Frauen vergewaltigt und rund 1.200 Menschen getötet. Dies werde seitens der Protestierenden ausgeblendet, kritisierte Kashi: „Die israelische Gesellschaft befindet sich in einem kollektiven Trauma."
Zugleich unterstrich er die Notwendigkeit zum Gespräch, denn: „Der Schmerz der palästinensischen Mutter ist genauso groß wie der der israelischen Mutter." Er bot an, mit Studierenden nach dem Vortrag zu reden, was aber niemand angenommen habe, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der 48-Jährige bedauerte, dass Parolen im Hörsaal gerufen worden seien und gar nicht auf seinen Vortrag eingegangen worden sei. „Schade, dass sie kein Interesse hatten an einem Austausch mit jemandem aus der Region." Es sei bei den Protesten einzig darum gegangen, dass er Israeli sei.
In dem Vortrag ging es um den 7. Oktober, das Leid von unschuldigen Zivilisten im Gazastreifen, Proteste gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, an denen Kashi selbst teilnimmt, Regeln von Kriegsführung und geopolitische Fragen. Kashi, der in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem Lehrkräfte weitergebildet hat und dort weiterhin Führungen und Fortbildungen anbietet, forderte eine auf Fakten beruhende, differenzierte Debatte. Und rief Studierende auf zu schauen, was Palästinenserinnen und Palästinensern wirklich helfen könne.
Ins Gespräch kommen
Antisemitismusvorwürfe findet Kashi nicht produktiv, denn so komme man nicht miteinander ins Gespräch. Er setze stattdessen auf Informationen, mit denen man Aggressionen "aufweichen" und nacherzählten Propagandaparolen begegnen könne. Bei der Frage, wann Antisemitismus vorliege und wann legitime Kritik an Israel, verwies Kashi auf die „3D-Regel" von Nathan Sharansky: Antisemitisch ist demnach, wenn es um Doppelstandards, Delegitimierung oder Dämonisierung Israels geht. Wenn also etwa Israel das Existenzrecht abgesprochen oder es als das Böse schlechthin dargestellt wird.
Der Rektor der Bonner Universität, Michael Hoch, sagte, dass das Demonstrationsrecht zwar ein hohes Gut sei, es aber Grenzen gebe. Auch die Hochschule habe an der Veranstaltung festhalten wollen. Die Bonner DIG will sich angesichts der Ereignisse von Montag jedenfalls nicht entmutigen lassen, wie Vize-Vorsitzende Jutta Klaeren betonte.
Von Leticia Witte
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