Kardinal Müller bedauert Fehlen deutscher Bischöfe bei SeligsprechungPropaganda oder Zeugnis?

In Polen ist die Familie Ulma seliggesprochen worden. Doch es gab aus der Kirche auch Kritik an Einzelheiten der Seligsprechungsfeier.

Kircheninnenraum
© Pixabay

Unter großer landesweiter Anteilnahme hat Kurienkardinal Marcello Semeraro in Polen die Seligsprechungsmesse für die Familie Ulma gefeiert. Das katholische polnische Ehepaar Jozef und Wiktoria Ulma hatte im Zweiten Weltkriegs Juden in ihren Bauernhof vor den deutschen Besatzern versteckt und wurde dafür von den Nazis erschossen, ebenso ihre sieben Kinder. An der Seligsprechungszeremonie im Heimatdorf der Familie, Markowa im Südosten Polens, nahmen am 10. September etwa 32.000 Gläubige, 1.200 Priester und 80 Bischöfe teil.

Die Familie Ulma steht in Polen als Symbol für die Hilfe für Juden und des Märtyrertums während der deutschen Besatzung. Nichtsdestotrotz gab es aus der Kirche auch Kritik an Einzelheiten der Seligsprechungsfeier. Der Krakauer Priester Tadeusz Isakowicz-Zaleski von der armenisch-katholischen Kirche sagte der Tageszeitung "Rzeczpospolita": "Die aktuelle Regierung setzt alles daran, jede kirchliche Zeremonie zu politisieren." Es sei sehr bedenklich, dass Politiker bei vielen Gottesdiensten in Erscheinung getreten seien. Das könne ihnen zwar nicht verboten werden, aber Politiker sollten nicht die Hauptakteure sein. Vielmehr hätten bei der Seligsprechung zum Beispiel jene in der ersten Reihe sitzen sollen, denen der Staat Israel den Titel "Gerechte unter den Völkern" verliehen habe, weil sie Juden vor der Deportation in ein nationalsozialistisches Vernichtungslager schützten.

Polens rechtskonservative Regierungspartei betont vor der Parlamentswahl am 15. Oktober besonders die Familienwerte und den Heldenmut der Polen während des Zweiten Weltkrieges. Und so passte die Seligsprechung in ihre Wahlkampagne. Und der aus der PiS stammende Staatspräsident Andrzej Duda sprach direkt nach der Messe in Markowa mehr als 18 Minuten und damit fast so lang, wie die Predigt des Leiters der Vatikanbehörde für Heiligsprechungen, Kardinal Semeraro, samt Übersetzung dauerte. Die Bischöfe, die zuvor den Gottesdienst zelebriert hatten, saßen dabei hinter Dudas Pult, das eigens für ihn aufgestellt wurde, und spendeten ihm am Ende Applaus.

Die Ansprache des Präsidenten kam beim Chefredakteur der traditionsreichen katholischen Monatszeitschrift "Wiez", Zbigniew Nosowski, schlecht an, weil sie "propagandistisch" wie eine Wahlkampfkundgebung gewesen sei. Duda habe in einem "aggressiven Ton über die Deutschen" gesprochen und die Deutschen 21 Mal als Täter erwähnt. "Und seine Zuhörer sollten die schlechten Deutschen von damals mit den heutigen Deutschen in Verbindung bringen", wirft Nosowski dem Staatsoberhaupt vor. "Gilt die Nächstenliebe auch für Deutsche?" fragte er und erinnerte daran, dass der Warschauer Kardinal Kazimierz Nycz im Vorfeld gesagt habe: "Wir sollten nicht versuchen, die eine oder andere Nation seligzusprechen." Nosowski kritsierte, dass an der Seligsprechung kein offizieller Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz teilgenommen hat. Es sei traurig, dass die polnischen Bischöfe zugelassen hätten, dass die ausgerufene "polnische Staatsräson" Vorrang vor christlicher Versöhnung gehabt habe.

Der Sprecher der Polnischen Bischofskonferenz verwies auf Anfrage an das Erzbistum Przemysl. Denn dieses habe die Seligsprechung organisiert und sei der Gastgeber gewesen. Bis Redaktionsschluss nahm das Erzbistum nicht Stellung. Die Deutsche Bischofskonferenz wies gegenüber KNA-ÖKI auf Anfrage darauf hin, dass sie die Einladung zur Seligsprechung zu spät erreicht habe.

Kurienkardinal Gerhard Müller wies die Kritik zurück. Er wohnte der Seligsprechung bei. KNA-ÖKI sagte er: "Wir sollten gerade in Deutschland sehr zurückhaltend sein, die Polen zu kritisieren und zu schulmeistern nach all dem, was von Preußen und Hitler-Deutschland an Entwürdigung des polnischen Volkes und grauenhafter Ermordung von drei Millionen jüdischen und auch fast drei Millionen christlichen Polen unter der Naziokkupation geschehen ist."

Wie überall nutzten die Parteien alles, was ihnen Vorteile bringe. Die Politiker der EU seien am wenigsten legitimiert, den Polen Zensuren zu erteilen, so Müller. "Jeder kehre vor seiner eigenen Tür. Da findet sich genug eigener Dreck." Er selbst habe nicht als Vertreter Deutschlands an der Seligsprechungsfeier teilgenommen, sondern als römischer Kardinal. Deshalb enthalte er sich der Wertung der Ansprache des Präsidenten, "der übrigens ein gläubiger und praktizierender Katholik ist", so der Kardinal. "Angesichts der Tragödie, die ein deutscher Polizeibeamter mit der Ermordung von acht versteckten Juden und ihren Beschützern, dem Ehepaar Jozef und Wiktoria Ulma mit ihren sieben Kindern, angerichtet hat, wäre die Vertretung des deutschen Staates durch den Bundespräsidenten oder die deutsche Innen- und Polizeiministerin ein Zeichen der wahren Versöhnung gewesen", betonte Müller. "Auch auf Seiten der deutschen Bischöfe war keine Reaktion zu vernehmen, die irgendwie an die großherzige Erklärung des deutschen und polnischen Episkopates nach dem letzten Konzil anknüpft: "Wir vergeben und bitten um Vergebung."

Von Oliver Hinz
© KNA. Alle Rechte vorbehalten

Anzeige: Geschichte der Päpste seit 1800. Von Jörg Ernesti

Die Herder Korrespondenz im Abo

Die Herder Korrespondenz berichtet über aktuelle Themen aus Kirche, Theologie und Religion sowie ihrem jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld. 

Zum Kennenlernen: 2 Ausgaben gratis

Jetzt testen