Die kirchlichen Entwicklungen im deutschen Sprachraum
haben es mit sich gebracht, dass Laien – sowohl ehren- als
auch hauptamtlich – die Leitung zahlreicher gottesdienstlicher
Feiern übernehmen (Wort-Gottes-Feiern, ökumenische
Gottesdienste, Begräbnisfeiern, zunehmend auch Tauffeiern). Die
liturgischen Ordnungen für diese Gottesdienste sehen mittlerweile
liturgische Gewänder für die Leitung und die übrigen Dienste als
Standard vor (vgl. Wort-Gottes-Feier. Werkbuch für die Sonn- und Festtage,
hg. v. den Liturgischen Instituten Deutschlands und Österreichs,
Trier 2004/2019, S. 22). Im liturgischen Buch für die Wort-Gottes-Feier
in der Schweiz ist die Mantelalbe oder eine Tunika für den Leitungsdienst
sowie für den Lektorendienst vorgesehen (vgl. Die Wort-Gottes-
Feier am Sonntag, hg. v. Liturgischen Institut in Freiburg i. A. der
Bischöfe der deutschsprachigen Schweiz, Freiburg [Schweiz] 2015/Regensburg 32021, S. 20). Die Bestimmungen im Manuale für die Begräbnisfeier
sind dagegen ungenügend, weil sie letztlich unbestimmt
von der „ortsüblichen Kleidung“ sprechen und vorrangig die vestimentäre
Unterscheidung zu den geweihten Amtsträgern betonen
(vgl. Die kirchliche Begräbnisfeier. Manuale, Trier 2012/2018, S. 21).
Die dezidierte Ausweitung der liturgischen Kleidung auf weitere
Dienste, besonders auf den Lektorendienst, steigert gerade in
der Wort-Gottes-Feier die Bedeutung des Verkündigungsaktes, der
in dieser Feier im Zentrum steht. Zudem dienen diese Regelungen
auch der Rollenklärung und -kommunikation, und liturgische Kleidung
kann helfen, einen eigenen Stil der Gottesdienstleitung für
Laien zu entwickeln. Wenn die Gottesdienstleitung gerade nicht an
exponierter, teils auch isolierter Stelle zu sehen ist, sondern neben
ihr weitere liturgische Dienste ihre Plätze haben, dann werden andere,
ergänzende Bilder von Leitung vermittelt.
Grenzen und Perspektiven der Weiterentwicklung
Die Albe ist für Gottesdienste, in denen Laien liturgische Dienste
inkl. der Leitung übernehmen, theologisch sehr naheliegend, weil
sie als textiles Symbol auf die Taufberufung als Grundlage des gottesdienstlichen
Feierns sowie als Legitimation zur Ausübung der
entsprechenden liturgischen Dienste verweist. Mit Blick auf die
Praxis muss allerdings konstatiert werden, dass sie recht schnell
an Grenzen kommt. So fehlen Möglichkeiten, die verschiedenen
Dienste zu kennzeichnen und voneinander zu unterscheiden (etwa
Leitungsdienst – Lektorendienst). Liturgische Farben als wesentliches
Element der gottesdienstlichen Kommunikation können nur
sehr begrenzt eingespielt werden. Bei Frauen sind hierfür eher
noch Tücher oder Schals möglich; auch Modelle von Alben mit
austauschbaren farbigen Manschetten oder Krägen finden sich
im Programm der Paramentenhändler. Ein farbiges Zingulum ist
ästhetisch hingegen keine sinnvolle Lösung.
Auch fehlen Alternativen, die den unterschiedlichen Grad an
Festlichkeit der Feier ausdrücken können, ebenso Kleidungselemente
für schlechtes Wetter, z. B. auf dem Friedhof.
Textile Suchbewegungen
Zur Steigerung der Qualität gottesdienstlicher Feiern und mit Blick
auf neue liturgische Aufgaben (z. B. Taufbeauftragung in manchen
Bistümern) ist eine textile Suchbewegung anzusetzen, die sich im
Spannungsfeld von Adaption der kirchlichen Tradition als auch
künstlerisch-kreativer Neuschöpfung bewegt.
Ein Versuch, die oben genannten Leerstellen zu füllen, stellt
das Skapulier dar, das auch unter der Bezeichnung „Lektorenkragen“
firmiert. Es hat dabei in der Regel die Form eines ca. 10 cm
breiten Stoffkreises, der auf der Vorderseite auf Brusthöhe spitz
zusammenläuft und auf der Rückseite rund geschwungen ist. Es
ist in den verschiedenen liturgischen Farben erhältlich, und auf
die Oberfläche können Symbole und Zeichen gestickt werden. Allerdings
ist das Skapulier in dieser Form nicht unproblematisch,
denn es weist in Stoffbeschaffenheit und Breite des Stoffstreifens
eine große Nähe zur Stola auf. Durch diese textile Assoziation erscheint
der Dienst, der mit dem Skapulier ausgestattet ist, eher als
vom Amtspriestertum her abgeleitet. Es entsteht der Eindruck, die
Ausübung des Dienstes benötige noch einer weiteren Legitimation
als der Taufe. Auch ein so genannter „liturgischer Streifen“, ein
schmaler knöchellanger Stoffstreifen, der über eine Schulter gelegt
wird, birgt eine Bruchstelle in sich, weil er wie eine „halbe Stola“
wirkt bzw. Ähnlichkeit mit der orthodoxen Diakonenstola aufweist.
Eine konstruktive Lösung besteht hingegen in einer anderen
Form des Skapuliers, wie sie z. B. in der anglikanischen Kirche anzutreffen
ist: Ein schulterbreiter Überwurf bis zu den Knien bzw. knöchellang, der farblich und symbolisch
entsprechend ausgestaltet werden kann.
Auch wenn diese Form ursprünglich aus
dem Alltagsleben der Mönche stammt, war
sie in der Geschichte kein klerikales Amtszeichen
und kann daher neu interpretiert
werden. Ähnlich verhält es sich mit dem
Pluviale (auch Rauch- oder Vespermantel),
das – wie der lateinische Name sagt – zunächst
als Regenmantel entstanden war
und einen pragmatischen Nutzungsgrund
hatte. Es spricht nichts dagegen, dass auch
Laien diese Form von liturgischer Kleidung
tragen.
Beim Rückgriff in die Kleiderkammer
der kirchlichen Tradition und ihrer Weiterentwicklung
liegen die Herausforderungen
vor allem darin, Assoziationen zu Amtsträgern
und deren Insignien zu vermeiden. Ein
barocker Brokat-Rauchmantel wirkt einfach
klerikaler als ein schlichtes, in modernen
Farben und Formen gestaltetes Pluviale.
Mitunter sind aber auch klare textile
Absetzungen möglich und sinnvoll, um
das Eigenständige der Ausübung liturgischer
Dienste auf der Basis von Taufe und
Firmung zum Ausdruck zu bringen. Ein
gelungenes Beispiel einer Neukreation ist
das liturgische Gewand für ehrenamtliche
Begräbnisleitende im Bistum Essen: eine
helle bzw. anthrazitfarbene Tunika mit
einem dünnen eingenähten Streifen sowie
einem Überwurfkragen in violetter Farbe
(siehe Foto oben). Diese Gestaltung wird
nicht nur der liturgischen Situation einer
Begräbnisfeier gerecht, sondern zeichnet
die Trägerinnen und Träger auch als Mitglieder
einer besonderen Peergroup aus.
Die Gewänder kommunizieren damit ihre
Rolle und klären sie zugleich.
Verständigung ist notwendig
Liturgische Kleidung ist – genauso wie weltliche
Mode – einer steten Entwicklung unterworfen,
wenn auch in deutlich langsamerem
Tempo. Der reiche Schatz aus der vestimentären
Tradition der Kirche sowie künstlerische
Neuschöpfungen können ein fruchtbares
ästhetisches Potenzial für die Gestaltung
einer pluralen und ausdifferenzierten Praxis
der Liturgie entwickeln, in der es normal ist,
dass Männer und Frauen liturgische Dienste
auch mit Gewand ausüben.
Was dabei von der weltlichen Mode gelernt
werden kann: Kleidung wird nicht von
alleine zur „Mode“, sondern durch Verständigung.
Es sind Foren und Plattformen notwendig,
in denen diskutiert, experimentiert
und reflektiert werden kann. Bei der Suche
nach angemessener liturgischer Kleidung ist
sowohl von der Liturgie her als auch von den
Personen, die sie tragen, und ihrer Verortung
innerhalb der Gemeinschaft her zu denken.
Veränderungen und neue Formen müssen
dabei diskursiv entwickelt, gemeinsam codiert und transparent eingeführt werden.
Die Liturgie selbst kennt mit dem Ritus
der Einkleidung ein Element, das die Rollenzuschreibung,
die über das liturgische
Gewand transportiert wird, auf performative
Weise der Feiergemeinschaft vor Augen
führt und entsprechend klärt.