Verkündigung und Muttersprache

Unsere Muttersprache definiert den Rahmen für Gebet, Gesang, Lob Gottes, Verkündigung und Auslegung der Schrift. Dementsprechend wichtig sind Wortbetonung und Satzmelodie.

Ein Lektor
Wie im Gottesdienst vorgelesen wird, ist mitverantwortlich dafür, was bei den Hörenden ankommt. Deshalb ist ein guter Vortrag entscheidend.© 2020, KNA GmbH, www.kna.de, All Rights Reserved

Eine wesentliche Errungenschaft der Liturgiereform in Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils ist die Feier des Gottesdienstes in der jeweiligen Muttersprache. Das Wort Gottes in der eigenen, vertrauten Sprache kennenzulernen, stellt daher heute für viele Christinnen und Christen eine Selbstverständlichkeit dar. Demnach sollte es bei seiner Verkündigung für Lesende wie Hörende verständlich sein. Aber wird dieser Anspruch immer erfüllt? Die Sprache verfügt über Eigenheiten in ihrer Struktur, die von Lektoren und Lektorinnen über das Inhaltliche hinaus vorbereitet werden wollen. Wenn man einen Text wirklich verstehen und den Inhalt angemessen mitteilen will, sollte auch die Form beachtet werden, in der ein Text geschrieben ist.

Eines der phonetischen Mittel, das für jede Einzelsprache kennzeichnend und typisch ist, ist die Betonung von Wörtern und Sätzen. In der Kommunikation im Alltag bestimmt sie, wie etwas aufgefasst wird: Geht die Stimme nach oben, richtet man sich fragend an ein Gegenüber. Wird die Stimme gesenkt, zeigt man einen verbindlichen Abschluss an. Bleibt sie in der Schwebe, wird der Gedanke fortgesetzt. Was so einfach klingt, erfährt stetige Anpassung an die jeweilige Situation. Das Vorlesen biblischer Texte stellt fremdsprachige Personen ebenso wie muttersprachlich Deutschsprechende vor Herausforderungen. Es kann sogar Fallen bereithalten und Irrtümer auslösen.

Sprachliche Kompetenz durch Betonung

Mit Betonung meinen wir die Sprechmelodie, Modulation oder Intonation. Unter Melodie verstehen wir das Auf und Ab beim Sprechen – und tatsächlich verändert sich die Tonhöhe in einem Satz oder Gedanken fortlaufend. Charakteristisch für das Deutsche ist eine klare Abfolge an akzentuierten (betonten) und nicht-akzentuierten Wörtern oder Silben. Dadurch entstehen Muster, die der Sprache ihren eigenen, typischen Klang, ihren Akzent, verleihen. Wir alle kennen die Erfahrung, dass sich anhand der Sprechmelodie ein fremdsprachiger Akzent – oder auch Dialekt – oftmals noch ausmachen lässt, wenn ansonsten die Aussprache gut ist. In der Bibel gibt es dazu eine passende Stelle, wo Petrus auf seine Art zu sprechen hingewiesen wird: „Deine Mundart verrät dich“ (Mt 26,73), was ihn dazu veranlasst, den Schauplatz zu verlassen.

Doch welche Wörter sind betont? Im Deutschen steigt in einfachen Sätzen die Tonhöhe an bis zu dem Wort, das herausgehoben ist, und fällt am Ende des Satzes oder Gedankens wieder ab („Er rief sie“, „Gott ist Liebe“). Eine solche Tonhöhenveränderung besteht schon in einem einzelnen Wort („Amen“, „Meister“) oder einer Silbe („Seht“). Gerne wird dies auch als ein Unterschied im Stimmdruck oder der Lautstärke wahrgenommen: Eine Silbe ist „schwerer“, andere sind „leichter“.

In Sätzen sind nicht alle Wörter gleich wichtig. Wie ist das zu verstehen? Hauptwörter, Verben oder Adjektive transportieren Inhalte und Bilder, die eine Vorstellung auslösen können. Kleine Wörter wie Artikel, Präpositionen, Konjunktionen etc. haben eine grammatische Funktion, indem sie den Satz strukturieren. Wird der folgende Satz vorgelesen, wird man hören, dass nicht jedes Wort gleich starkes Gewicht bekommt: „Kehrt zur Ordnung zurück“ (2 Kor 13,11). Es ergeben sich nicht vier gleich stark betonte Wörter, sondern „Ordnung“ oder „zurück“ werden stärker gewichtet sein als die anderen beiden. Manche Leser und Leserinnen empfinden dies als musikalischen Akzent, weil die Tonhöhe variiert.

Das ist nicht in allen Sprachen so. Beispielsweise verändern in asiatischen Sprachen Unterschiede in der Tonhöhe einzelner Silben die Bedeutung, so dass in Äußerungen ein völlig anderes Muster als in germanischen Sprachen entsteht. Wirkliche sprachliche Kompetenz geht immer einher mit der Beherrschung solcher Akzentmuster. Die Sprechmelodie muss in einzelnen Sprachen eigens erlernt werden. Im Deutschen wird ein akzentuiertes Wort nicht nur höher oder tiefer, sondern meist auch etwas lauter, langsamer und sorgfältiger gesprochen. Spricht man die Beispielsätze „Das ist ein Fach“ und „Das ist einfach“, wird dieser Kontrast sehr klar, denn die Bedeutung ändert sich allein durch die Verschiebung der betonten Silbe.

Der Wortakzent oder die richtige Wortbetonung sind keineswegs nebensächlich. Im Alltag können Kuriositäten und Missverständnisse entstehen, wenn etwa in Wörtern wie „unterstellen“ oder „überziehen“ je nach Kontext fälschlich der erste oder zweite Teil des Wortes betont wird. Auch in Namen wie „Roman“ oder „August“ ist die richtige Betonung wichtig. Wer den eigenen Namen falsch ausgesprochen oder falsch betont hört, reagiert meist höchst empfindlich.

Für fremdsprachige Personen kann die Wortbetonung schwierig sein, besonders wenn es sich um zusammengesetzte Wörter handelt. Als Beispiele mögen folgende Wörter dienen, die sich auch in biblischen Texten finden: freiwillig, herabkommen, währenddessen, einstimmig, wohlgefällig. Entsprechend schwer fällt deutschsprachigen Personen manchmal die richtige Betonung biblischer Eigennamen, die den Akzent auf einer anderen Silbe tragen, als es dem eigenen Empfinden entspricht, etwa: Timótheus, Natánael, Antióchia, Gábbata. Das Druckbild des Lektionars gibt durch die Wiedergabe des Akzents auf dem entsprechenden Vokal die richtige Betonung an. Man sollte sich nicht zu schade sein, solche Wörter zu üben, um das eigene sprachliche Repertoire zu professionalisieren.

Hörerfahrung und Sprechabsicht

Entscheidend für die Aussageabsicht ist die Sprechmelodie zum Ende eines Satzes oder Gedankens, und zwar vom letzten Akzentwort zum Ende der Äußerung. Bei Fragen, jedoch nur bei Ja-Nein-Fragen, geht die Stimme normalerweise nach oben. Dazu ein paar Beispiele: „Sind das alle jungen Männer?“ (1 Sam 16,11); „Stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?“ (Apg 1,6); „Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden?“ (Apg 2,7); „Habt ihr keinen Fisch zu essen?“ (Joh 21,5). Fallende Melodie kommt in abgeschlossenen Sätzen, in sachlichen Aussagen wie auch zumeist in Fragen mit Fragewort vor: „Wer hat die Gedanken des Herrn erkannt?“ (Röm 11,34); „Was sollen wir tun, Brüder?“ (Apg 2,37); „Was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“ (Apg 1,11); „Für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16,15).

Viele muttersprachlich Deutschsprechende gehen davon aus, dass Fragen grundsätzlich mit steigender Melodie zu sprechen sind. Sie müssen sich eine Tonhöhenveränderung zuerst einmal bewusst machen. Intoniert man in der Alltagskommunikation anders, als es der beschriebenen Melodieform entspricht, liegt eine andere Aussageabsicht zugrunde. Wie Sätze intoniert werden, kann regional ganz unterschiedlich sein und wird je nach Beziehung der Sprechenden unterschiedlich realisiert.

In Bezug auf die Texte der Heiligen Schrift spielt die Hörerfahrung eine große Rolle. Eine Sprechmelodie zu realisieren, die dem gewohnten Hörbild entgegensteht, fällt vielen deutschsprachigen Personen überaus schwer. Texte, die man auf eine bestimmte Weise kennt, scheinen nur dann richtig zu sein, wenn sie in der vertrauten Weise gelesen werden. Hier andere, stimmigere Lesemuster zu erproben, schärft jedoch das Bewusstsein für den Klang der Sprache – der eigenen wie einer fremden.

Sorgfalt und Erlaubnis für lebendiges Lesen

Der Inhalt von Texten der Heiligen Schrift ist für Glaube und Leben bedeutsam. Gewissermaßen überlagert er die Form, so als würde man in den Worten schon alles finden und erfassen. Durch das Vorlesen lässt sich jedoch etwas umsetzen, was über die Worte hinausgeht und was es persönlicher und unmittelbarer macht. Durch die Verkündigung ergeht es uns wie dem Mann, der von Philippus gefragt wird: „Verstehst du auch, was du liest?“ (Apg 8,30) und der sich nach dessen Erklärungen taufen lässt. Verkündigen als ehrfürchtiges Aneinanderreihen von Wörtern käme einem Gehorsam gleich, dem die Erlaubnis fehlt, lebendig, authentisch und farbig vorzulesen.

So einfach, wie es zu Beginn in der Genesis heißt: „Die ganze Erde hatte eine Sprache und ein und dieselben Worte“ (Gen 11,1), ist die Welt nicht, denn es gibt tausende Sprachen. Aber vielleicht erleben wir durch eine lebendige Verkündigung eine ähnliche Erfahrung wie die Apostel beim Pfingstereignis: „Jeder hörte sie in seiner Sprache reden“ (Apg 2,6). Das Wort Gottes wird den Hörenden überbracht, wenn wir es verkündigen. Dies ist umso wertschätzender, wenn es Sorgfalt und Pflege der Sprache erkennen lässt.

„Versprecher …

… sind auch von Profisprecherinnen und -sprechern gefürchtet, aber sie passieren nun einmal. [Der Sprechercoach] Michael Roissié weist darauf hin, dass Hörerinnen und Hörer es gar nicht so schlimm finden, wenn nicht alles technisch zu 100 % perfekt läuft. (…)

Das Risiko lässt sich wiederum vermindern, indem Sie a) gedanklich bei der Sache sind, b) den Text gut vorbereiten und c) Ihre Stimme vor Gebrauch aufwärmen. Wenn es dennoch passiert, und mit großer Sicherheit wird es Ihnen irgendwann einmal passieren: Korrigieren Sie sich, und machen Sie kommentarlos weiter. Damit helfen Sie Ihren Zuhörerinnen und Zuhörern, nach einer kurzen Irritation wieder in den Fluss des Hörens zurückzufinden. Gehen Sie auch innerlich weiter, halten Sie sich in Gedanken nicht bei Ihrem Versprecher oder Ihrem Gefühl dabei auf, während Sie schon weiterlesen – so verringern Sie das Risiko eines weiteren Versprechers.“
Aus: Holger Pyka: Versteht man, was du liest? Praxisbuch für den Gottesdienst, Bielefeld 52022, S. 140 f.

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