Gottesdienst: Frau Dr. Faust, man könnte behaupten, die Kirche habe im Moment
wichtigere Themen als die Verkündigung durch Lektorinnen
und Lektoren …
Dr. Lioba Faust: Hier würde ich rückfragen: Geht es nicht darum,
dass die Menschen aus dem Glauben leben können? Dass sie
sich getragen fühlen, eingebettet in einen Kontext, in dem wir alle
miteinander verbunden sind? Die Schriftlesungen im Gottesdienst
sind jedes Mal ein Vorschlag, ein Angebot, sich dem zu stellen.
Gd: Sie führen bereits seit vielen Jahren Lektorenschulungen
durch. Welche Motivation(en) bringen Menschen mit, die sich entscheiden,
Lektor/in zu werden?
Faust: Bei den Lektoren und Lektorinnen besteht oftmals ein
Bewusstsein dafür, dass sich die Heilige Schrift an uns alle richtet,
wir alle Teil der hörenden Gemeinde sind. Sie sehen es daher als
konsequent an, dass die Lesungen von Menschen aus unserer Mitte
vorgelesen werden. Der Lektorendienst wird also als eine Form
von Zugehörigkeit und Teilhabe empfunden – das ist der entscheidende
Punkt.
Manchen Lektoren geht es aber auch einfach darum, auf diese
Weise in der Messe etwas ganz aktiv zur Liturgie beitragen zu
können.
Gd: Die vornehmste Aufgabe der Lektorinnen und Lektoren ist
es, die Lesungen innerhalb der Messfeier (oder Wort-Gottes-Feier) zu
verkündigen. Was bedeutet eigentlich „Verkündigung“?
Faust: Etwas verkündigen heißt, auf etwas aufmerksam machen:
Es gibt etwas Besonderes, etwas Wichtiges mitzuteilen,
das alle hören sollen, weil es alle angeht. Im Jakobusbrief gibt es
einen Aufruf, der das sehr gut erfasst: „Hört das Wort nicht nur
an, sondern handelt danach …“ (Jak 1,22). Bei der Verkündigung
geht es demnach um etwas, das die Menschen wirklich persönlich
angeht. Mir fällt da aber auch die Pfingstpredigt des Petrus aus
der Apostelgeschichte ein (vgl. Apg 2,14–36). Dort wird berichtet,
dass er den Menschen etwas zu verkündigen hatte, wovon er zutiefst
überzeugt war – dass nämlich der Glaube weitergetragen
werden soll.
Gd: Also ist das etwas anderes als das Vorlesen von Nachrichten
oder Gute-Nacht-Geschichten …
Faust: Ja, denn Verkündigung hat etwas mit Identifikation zu
tun! Es ist mir ein Anliegen, dass es auch andere anspricht, dass
es verstanden wird und die Hörenden es für sich als bedeutsam
empfinden. Nachrichten oder Geschichten haben nicht unbedingt
diese Intention, sondern sollen vielleicht mehr informieren oder
unterhalten.
Gd: Die Heilige Schrift ist Ort und Medium der Gottesbegegnung.
Auf welche Weise kann durch ein gutes, klares Sprechen diese Begegnung
gefördert werden?
Faust: Da fällt mir sofort wieder die bereits genannte Stelle
aus der Apostelgeschichte ein: Dort erhebt Petrus seine Stimme
und beginnt zu reden. Und dann sagt er: „Dies sollt ihr wissen.
Achtet auf meine Worte!“ (Apg 2,14). Hier kommt ganz klar seine
Entschiedenheit zum Ausdruck. Wenn ich weiß, was mir wichtig
ist, habe ich ein klares Bild und kann es präzise formulieren.
Klare Sprache heißt demnach, dass ich selbst weiß, was gemeint
ist.
Vielleicht kann man sogar noch weitergehen: Klare Sprache
setzt einen Imperativ, d. h. ich muss mich der Botschaft, die ich
verkündige, auch selbst stellen. Die Personen oder „Figuren“,
von denen in den Lesungen die Rede ist, können auch als Platzhalter
für mich selbst gesehen werden. Ich sehe mich als Teil
der Geschichte, sehe vielleicht auch Vorbilder. Je aufmerksamer
ich bin, desto klarer kann ich erkennen, dass da Gott zu uns
spricht. Genuschelte oder heruntergeleierte Sprache verwischt
dagegen die Aussage, macht einen Text belanglos und beliebig.
Klare Sprache verdeutlicht: Ich bin gemeint, ich bin Teil der Geschichte.
Gd: Gibt es außer den sprachlichen Gesichtspunkten noch
weitere Aspekte, die die Wirkung der Verkündigung verstärken
können?
Faust: Für mich spielt Präsenz eine wichtige Rolle, d. h. die
Souveränität, sich sicher im Gottesdienstraum zu bewegen. Wer
keine Präsenz ausstrahlt, kann keine Aufmerksamkeit für sich
beanspruchen. Dazu gehört auch das Bewusstsein, dass man für
einen bestimmten Zeitraum als Person im Fokus steht. Das muss
man aushalten können! Durch das eigene Auftreten gibt man der
Lesung Würde.
Man braucht daher auch ein Bewusstsein für die Bedingungen:
Wie groß ist der Raum? Hallt es, wenn man spricht? Welchen Weg
muss ich von meinem Platz zum Ambo zurücklegen? usw. Das Mikrofon
muss so eingestellt sein, dass der Klang meiner Stimme die
hörende Gemeinde erreicht und das gesprochene Wort auf Resonanz
stoßen kann. Bezüglich all dieser Rahmenbedingungen muss
ich mich sicher fühlen.
Gd: Kann es vielleicht auch helfen, sich als Lektor/in ein Feedback
der Zuhörer einzuholen?
Faust: Eindrücke sind ja oft subjektiv. Es wird vor allem darum
gehen, ob der Text verständlich vorgetragen wurde und man als Zuhörer das Gefühl hat, man wird angesprochen.
Eine Wahrnehmung dafür bringt
jeder mit. Wenn der Lesevortrag nicht ansprechend
ist, würde das kaum jemand so
offen mitteilen. Dann bleibt das Feedback
eher allgemein, z. B.: „Ach, Ihnen höre ich
so gerne zu.“ Das ist dann zumindest ein
Zeichen dafür, dass jemand aufmerksam
zugehört hat – und ein Lob hört man ja immer
gerne.
Gd: Die „Pastorale Einführung in das
Messlektionar“ fordert die biblische Bildung
aller, die aus der Heiligen Schrift vorlesen
(vgl. PEML 55). Wie wichtig ist diese für die
Verkündigung?
Faust: Was genau ist mit dieser Forderung
gemeint? Grundsätzlich ist es hilfreich
und unterstützt den Lesevortrag, je besser
man einen Text versteht und die Hintergründe
und Zusammenhänge in einem
biblischen Buch kennt. Es ist aber auch
wichtig, den Lektor/innen Möglichkeiten
der Qualifizierung an die Hand zu geben
und so das Verstehen der geoffenbarten
Botschaft auch zu fördern. In der Praxis
besteht die Forderung meistens in einer
Einladung zum Selbststudium. Die Tiefe
und Tragweite dessen, was Verkündigung
bedeutet, wird oftmals erst durch weiteres
Wissen über den biblischen wie auch den
liturgischen Kontext bewusst. Das können
Lektoren, wenn sie auf sich gestellt sind,
nicht leisten.
Nun kann es nicht darum gehen, alles
zu verstehen und einen Text exegetisch
auslegen zu können. Aber schon einzelne
Hinweise liefern wichtige Erkenntnisse,
und ich höre von Lektoren häufig: „Das hat
uns noch nie jemand gesagt.“ Als Beispiel:
Wenn man die inhaltliche Entsprechung
von Erster Lesung und Evangelium kennt,
kann man sich einen Text leichter zu eigen
machen und ein Gespür dafür entwickeln,
wie einen die Botschaft anspricht. Dann
kann man sie für sich selbst besser einordnen
und auch besser im Licht des Glaubens
verkündigen.
Gd: Wie wichtig sind Phasen der Stille
nach der Verkündigung einer Schriftlesung?
Faust: Für mich stellt sich die Frage,
was Stille erreichen sollte. Ich weiß nicht,
ob man eine meditative oder kontemplative
Stille unbedingt benötigt. Viele Menschen
tun sich z. B. schwer mit Stille und wissen
nicht, was sie damit tun sollen. Ich finde
es wichtiger, wenn im Antwortpsalm organisch
ineinanderfließt, was im Lesungstext
vorgetragen wurde. Wichtiger finde
ich auch einen insgesamt ruhigen Ablauf,
der die Lesungen in einen würdevollen
Rahmen setzt.
Gd: Seit 2018 erscheinen nach und nach
die erneuerten Bände des Lektionars, welche
die Texte der revidierten Einheitsübersetzung
(2016) enthalten. Wie werden die
Veränderungen von den Lektoren angenommen?
Faust: Vieles scheint mir eine Frage
der Gewöhnung. Es sind in der Regel einzelne
Wörter, die auffallen, z. B. wenn es
nun „Kyrene“ statt „Zyrene“ oder „Kappadokien“
statt „Kappadozien“ heißt, oder
„Satzungen“ statt „Gesetze“, „Züchtigung“
statt „Strafe“ – das empfinden viele Menschen
als altertümlicher. Ein Wortlaut,
der früher geläufig war und heute anders
formuliert ist, stößt meistens erst einmal
auf Irritation, z. B. „am Tag des Gewölks
und Wolkendunkels“ (Ez 34,12, statt: „am
dunklen, düsteren Tag“), „über denen, die
im Land des Todesschattens wohnten“ (Jes
9,1, statt: „Finsternis“), „in der Wirklichkeit
des neuen Lebens wandeln“ (Röm
6,4, statt: „als neue Menschen leben“).
Manche Ausdrücke sind so in unserer
Sprache einfach nicht gebräuchlich, werden
demnach nicht auf Anhieb verstanden
oder stoßen daher nicht immer auf
Akzeptanz.
Die Briefeinleitung „… an die Gemeinde
in …“ und die Anrede „Schwestern und
Brüder“ wird dagegen von vielen Lektoren
als eindeutiger empfunden. Gerade beim
letzteren Beispiel besteht nun keine Unsicherheit
mehr, wie es richtig vorgelesen
werden soll.
Gd: Welche konkreten Schritte können
Sie Lektor/innen für die Vorbereitung einer
Lesung empfehlen?
Faust: Eigentlich sollten die Lektoren
nicht ganz auf sich alleine gestellt sein
und in regelmäßigen Fortbildungen die
Möglichkeit zu Übung und Praxis haben,
denn hier ist es wie mit anderen Fertigkeiten:
Man braucht Übung, wenn man facettenreich vorlesen will. Deshalb: laut
lesen und sich bewusst machen, dass man
selbst Sprachrohr ist, und sich klarmachen,
welche Botschaft man nun mitteilen darf.
Gd: Vielen Dank für das Gespräch
Das Interview führte Manuel Uder, Trier.