Das 2013 erschienene katholische Gebet- und Gesangbuch
„Gotteslob“ bietet zahlreiche Vertonungen von Psalmen
und Cantica. Zugrunde gelegt wurden dabei größtenteils
die etablierten Psalmtonmodelle, die aus den gregorianischen
Psalmtönen entwickelt wurden. Diese Modelle – so schön sie auch
sind – bereiten in der Umsetzung oftmals Schwierigkeiten: Einem
Großteil der Mitfeiernden sind sie fremd und erfordern für die
Ausführung einige Erfahrung. Häufig fehlt vor Ort zudem eine musikalische
Begleitung durch Orgel oder andere Instrumente. Eine
Methode, wie mit einfachsten Mitteln Psalmen und Cantica der Tagzeitenliturgie
gesungen werden können, wurde 2018 im Rahmen
der Trierer Sommerakademie Liturgie des Deutschen Liturgischen
Instituts vorgestellt:
Ein übersichtlicher Flyer liegt nun vor, der in drei
Schritten aufzeigt, wie Psalmen und Cantica der
Tagzeitenliturgie gemeinsam gesungen werden
können. Erhältlich ist der Flyer über das Referat
Kirchenmusik des Deutschen Liturgischen Instituts
(Bestellungen an Petra Kraff: kraff@liturgie.de, bis fünf Exemplare kostenfrei), oder als Download
auf der Homepage des Kirchenmusik-Referates
(kirchenmusik.liturgie.de, Rubrik: Praxishilfen).
Alle darin vorgestellten Modelle funktionieren
intuitiv nach dem Prinzip „Vorsingen – Nachsingen“. Die folgenden
Notenbeispiele dienen nur der Veranschaulichung. Zur Ausführung
der Modelle ist keinerlei Umgang mit Noten erforderlich.
„Um die tätige Teilnahme zu fördern, soll man den Akklamationen
des Volkes, den Antworten, dem Psalmengesang, den
Antiphonen, den Liedern sowie den Handlungen und Gesten
und den Körperhaltungen Sorge zuwenden. Auch das
heilige Schweigen soll zu seiner Zeit eingehalten werden.“
Sacrosanctum Concilium 30
Erster Schritt: Ein-Ton-Modell
Der einfachste Weg, Psalmen zu singen, ist das Rezitieren des Textes
auf einem Ton (Rezitationston). Der unter der Note stehende Text
wird auf diesen Ton gesungen. Dieser Ton kann frei in einer angenehmen
Tonlage gewählt werden:
Noten-Beispiel 1 (Ps 40,7):

Sternchen *, sog. Asteriskus: „Meditierendes Innehalten“ = Ausschwingen
des Atems, ruhiges Einatmen für die zweite Vershälfte.
Von Vers zu Vers findet sich in der Gruppe ein gemeinsamer Atemrhythmus,
der zu großer innerer Ruhe führt.
Beuge / oder † oder +, : sog. Flexa: Untergliedert eine lange erste
Vershälfte; Zeichen für gemeinsames kurzes Zwischenatmen. Es
findet (anders als im „Gotteslob“) kein Tonwechsel statt.
Zweiter Schritt: Zwei-Ton-Modell
Durch Hinzufügen eines frei gewählten zweiten Melodietons (Kadenzton)
über oder unter dem Rezitationston entsteht das Zwei-Ton-Modell.
Noten-Beispiel 2 (Ps 40,3):

Die jeweiligen zwei Töne in der ersten und zweiten Vershälfte sind
identisch.
Ab dem letzten Wortakzent (letzte betonte Silbe) in jeder Vershälfte
wird der Rezitationston verlassen und der verbleibende Text
auf dem Kadenzton zu Ende gesungen.
Der letzte Wortakzent ist intuitiv erkennbar; er befindet sich
fast immer im letzten Wort der jeweiligen Vershälfte.
Ausnahme: Letzter Wortakzent liegt nicht im letzten Wort. –
Beispiel: „Daran habe ich erkannt, dass du an mir Gefallen hast: *
wenn mein Feind nicht über mich triumphieren kann“ (Ps 41,12).
Hier lauten die Akzente natürlich nicht: „… dass du an mir Gefallen
hást: * … nicht über mich triumphieren kánn.“, sondern „… dass
du an mir Gefállen hast: * … nicht über mich triumphíeren kann.“
D. h. der Wechsel vom jeweils ersten Ton (Rezitationston) in den jeweils
zweiten Ton (Kadenzton) erfolgt nicht beim Wort „hast“ oder
„kann“, sondern auf der Silbe „Ge-fál-len“ und „trium-phíe-ren“!
Diese „Stolperstellen“ sollten bei der singenden (!) Vorbereitung
gezielt gesucht und im Text für sich mit einer Unterstreichung
kenntlich gemacht werden: „… dass du an mir Gefallen hast:
* … nicht über mich triumphieren kann.“
Die Unterstreichung ist nur erforderlich für die Person, die den
Gesang im Gottesdienst leitet; diese Person führt die Gemeinde an
den entsprechenden Stellen durch deutliches Mitsingen.
Wenn die hier beschriebenen Modelle in einer Gemeinde neu
eingeführt werden, sollte der Start gut vorbereitet sein und durch
fehlerfreie Ausführung der „Stolperstellen“ die Akzeptanz gegenüber
dem Neuen gefördert werden!
Das Zwei-Ton-Modell kann durch die Auswahl anderer Tonschritte
oder -sprünge verändert werden.
Noten-Beispiel 3 (Ps 37,30):

Dritter Schritt: Drei-Ton- bzw. Vier-Ton-Modell
Durch Hinzufügen eines anderen Rezitationstones in der zweiten
Vershälfte und evtl. eines anderen Kadenztones entsteht das Drei- und
Vier-Ton-Modell.
Noten-Beispiel 4 (Ps 37,21):

Bei der Auswahl der Töne sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt –
das Modell muss aber singbar bleiben und sollte melodische Experimente
(z. B. zu große Tonsprünge) vermeiden!
Mit dem Vier-Ton-Modell ist die Grenze dessen erreicht, was mit
diesen Modellen beabsichtigt war: Psalmengesang mit einfach(st-)en Melodiemodellen. Jeder weitere Ton, der hinzukäme, würde
weitere Hilfsmittel erfordern.
Kehrvers und Antiphon – oder: Den richtigen Ton treffen
Die Psalmen und Cantica werden in der Regel durch einen Kehrvers
(Antiphon) am Beginn und am Ende (nach dem „Ehre sei dem
Vater“) umrahmt. Liegen die Texte der Kehrverse vor, ist im Rahmen
der hier beschriebenen Modelle eine Ausführung nach dem
Ein-Ton-Modell die praktikabelste.
Wenn der Beginn eines Psalms/Canticums sich dazu eignet, besteht
die Möglichkeit, den ersten Vers oder Halbvers auf eines der
hier vorgestellten Modelle als Kehrvers zu singen und nach dem
„Ehre sei dem Vater“ zu wiederholen. Das muss allerdings vorher
der Gruppe mitgeteilt werden.
Unter Umständen gibt es Kehrverse, die der Gruppe bekannt
sind, die zur Aussage des Psalms/Canticums passen und auswendig
vor- und nachgesungen werden können. Dazu gehören
vielleicht Kehrverse und Halleluja-Rufe aus dem „Gotteslob“
(z. B. GL 37,1; 38,1; 52,1; 312,2; 312,7; oder zu einem Psalm in der
Osterzeit/am Sonntag GL 174–176), Taizé-Gesänge (z.B. GL 658,1
zu Psalm 22 in der Passionszeit; GL 321 zu Psalm 118 an Ostern;
GL 345,1 zu Psalm 104 an Pfingsten; oder GL 365; 386; 394; 618,2),
Kanons oder ähnliches.
Ein Kehrvers kann aber auch helfen, den „richtigen Ton“ für
die oben beschriebenen Psalmtonmodelle zu finden. Wer sich damit
schwer tut, einen Rezitationston aus der Luft zu greifen, kann
als Hilfe einen bekannten Kehrvers oder das eigene Lieblings(kirchen-)lied singen. Dadurch wird man schnell merken, wo ein Ton
in einer angenehmen Stimmlage zu finden ist.
Die hier vorgestellten Modelle möchten die musikalische Gestaltung
der Tagzeitenliturgie in den Gemeinden und auch im
privaten Bereich fördern. Vielleicht kann der Psalmengesang als
solcher durch die einfachen Modelle aber auch noch andere Gelegenheiten,
Orte und Zeiten finden, zum Beispiel im Umfeld eines
Bibelteilens, einer Pfarrgemeinderatssitzung, bei der Arbeit oder
zu Hause.
Kurzanleitung
-
Text lesen
-
Rezitationston/-töne und evtl. Kadenzton/-töne festlegen
-
Text auf das Melodiemodell singen
-
„Stolperstellen“ finden und evtl. Beginn des Kadenztons durch
Unterstreichung der Silbe markieren
- Evtl. Kehrvers festlegen