Was mir beim Auftritt des Papstes im Gottesdienst und auch in den Tagen zuvor auffiel: Er schaut nicht nach rechts und nicht nach links, wenn er "zum Altare Gottes schreitet" (Ps 43,4). Ein Kommentator meinte, er sei sichtlich angespannt gewesen. Das mag eine Rolle gespielt haben, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass der Grund ein anderer ist. Romano Guardini hat einmal von einem guten Lehrer und Erzieher gesagt: "Das erste Wirkende ist das Sein des Erziehers; das zweite, was er tut; das dritte erst, was er redet."
Der größte Feind des geistlichen Lebens ist die Zerstreuung. Der christliche Glaube kann verstanden werden als ein Weg aus der Zerstreuung in die Sammlung, aus der Unruhe in die Ruhe.
Bei aller Anspannung macht der Papst einen sehr gesammelten Eindruck. Der größte Feind des geistlichen Lebens ist die Zerstreuung. Der christliche Glaube kann verstanden werden als ein Weg aus der Zerstreuung in die Sammlung, aus der Unruhe in die Ruhe. Es dürfte von programmatischer Bedeutung sein, dass der Papst seine Predigt mit dem wohl bekanntesten Wort des heiligen Augustinus eröffnet hat:
"'Geschaffen hast Du uns auf Dich hin, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in Dir' (Bekenntnisse, I,1). Wer das Leben des heiligen Augustinus kennt, weiß, dass es innere und äußere Unruhen gibt, die ein Leben und eine Gemeinschaft zerreißen können. Drei Sätze weiter klingt in der Predigt erneut das Motiv der Sammlung an, wenn der Papst an ein Wort aus dem Buch des Propheten Jeremia anspielt: "Der Israel zerstreut hat, wird es sammeln und hüten wie ein Hirt seine Herde!" (Jer 31,10).
Das Stichwort "Hirt" leitet zum nächsten Abschnitt über und gibt uns einen Einblick in das, was die Kardinäle bei ihrer Wahl im Konklave bewegt hat. Hier lassen sich feine Unterschiede zu Papst Franziskus heraushören. Ein Leitwort seines Pontifikates war: "Geht voran! – Andate avanti!" Jugendlichen hat er oft zugerufen: "Macht Wirbel!" Leo XIV. äußert sich anders. Das Kardinalskollegium, so sagt er in seiner Predigt, habe sich bei seiner Wahl von dem Gott anheimgegebenen Wunsch leiten lassen, einen Hirten zu wählen, "der das reiche Erbe des christlichen Glaubens bewahren und zugleich den Blick weit in die Zukunft richten kann, um den Fragen, Sorgen und Herausforderungen der heutigen Zeit zu begegnen." Die Tradition der Kirche und der Theologie wird hier nicht als überkommene Vergangenheit abgelegt, sondern als ein reiches Erbe verstanden, aus dem heraus die Zukunft in den Blick genommen und die Herausforderungen der Gegenwart in Angriff genommen werden können. Das war und ist das Anliegen des II. Vatikanischen Konzils: eine Erneuerung aus den Quellen – Ressourcement.
Leo XIV.: ein "Kompromisskandidat"?
Aus der Predigt des Papstes spricht deutlich die Sorge um die Bewahrung der Einheit der Kirche:
"Liebe Brüder und Schwestern, ich würde mir wünschen, dass dies unser großes Verlangen ist: eine geeinte Kirche, als Zeichen der Einheit und der Gemeinschaft, die zum Ferment einer versöhnten Welt wird."
"Liebe und Einheit: Dies sind die beiden Dimensionen der Sendung, die Jesus Petrus anvertraut hat. – Wie kann Petrus diese Aufgabe erfüllen?", fragt der Papst. – Am besten wohl dadurch, dass die widerstreitenden Parteien Kompromisse eingehen, würde man in der Politik sagen, und das mit guten Gründen. Die überraschende Wahl von Papst Leo XIV. wurde vielfach so kommentiert, dass er ein Kompromisskandidat gewesen und deshalb sowohl von den progressiven als auch von den konservativen Kardinälen wählbar gewesen sei. Seine Predigt zeigt, dass dieser Gedanke zu kurz greift.
Als "Sohn des heiligen Augustinus" verweist der Papst im zweiten Teil seiner Predigt auf eine Wirklichkeit, die sich dem diskursiven Zugriff entzieht, die sich aber erfahren und erkennen lässt, wenn ein offenes und verwundetes Herz nach ihr sucht. Vielleicht gibt Leo XIV. hier sogar in verschlüsselter Form einen kleinen Einblick in sein Inneres, wenn er sagt:
"Als Jesus Petrus fragt: 'Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?' (Joh 21,16), bezieht er sich also auf die Liebe des Vaters. Es ist, als würde Jesus ihm sagen: Nur wenn du diese Liebe Gottes, die niemals versiegt, erkannt und erfahren hast, kannst du meine Lämmer weiden."
Nimmt man ernst, was der Papst hier sagt, hätte er das Amt nicht annehmen dürfen, wenn ihm diese "Erfahrung und Erkenntnis der Liebe Gottes" unbekannt wäre: "Nur wenn du diese Liebe Gottes, die niemals versiegt, erkannt und erfahren hast, kannst du meine Lämmer weiden!"
Die vielen Themen und Anliegen, die in der Kirche diskutiert werden, lassen sich auf der Ebene des Diskurses allein nicht klären.
Das scheint mir der Schlüssel zu seiner "Antrittspredigt" zu sein. Die vielen Themen und Anliegen, die in der Kirche diskutiert werden, lassen sich auf der Ebene des Diskurses allein nicht klären. Da kann nicht einfach ein Chef kommen und sagen, wo es lang geht, so wenig wie eine Mehrheit sich im vermeintlich herrschaftsfreien Diskurs vor den Augen der Öffentlichkeit darüber verständigen kann, wie die Kirche der Zukunft modernitätskompatibel aufzustellen sei. Der Papst sagt:
"Wenn der Stein Christus ist, muss Petrus die Herde weiden, ohne je der Versuchung zu erliegen, ein einsamer Anführer oder ein über den anderen stehender Chef zu sein, der sich zum Beherrscher der ihm anvertrauten Menschen macht (vgl. 1 Petr 5,3); im Gegenteil, von ihm wird verlangt, dem Glauben der Brüder und Schwestern zu dienen, indem er mit ihnen gemeinsam auf dem Weg ist: Denn wir alle sind ‚lebendige Steine‘ (1 Petr 2,5) und durch unsere Taufe dazu berufen, das Haus Gottes in geschwisterlicher Gemeinschaft, im Einklang des Heiligen Geistes und in einem Zusammenleben in Verschiedenheit aufzubauen."
In seiner Predigt wie in den wenigen bisher bekannten Äußerungen spricht der Papst Themen, die in der Kirche kontrovers diskutiert werden, gewöhnlich so an, dass beide Seiten der kirchenpolitischen Lager sich heraussuchen können, was ihnen passt. Nun wäre es natürlich unschicklich und in einem Gottesdienst zur Amtseinführung eines Papstes unangemessen, kirchenpolitische Positionen zum Besten zu geben. Doch vieles deutet darauf hin, dass Papst Leo XIV. aus einem tiefer liegenden Grund in den aktuell diskutierten kirchenpolitischen Fragen Zurückhaltung übt. Er scheint nicht nur um die Komplexität der Sache zu wissen, sondern als "Sohn des heiligen Augustinus" dürfe ihm bewusst sein, dass hier eine spirituelle Dimension berührt wird, die ernst zu nehmen ist und die man nicht nur als Floskel vor sich hertragen darf. Diese Dimension hat einen Namen und ein Gesicht:
"Schaut auf Christus! Kommt zu ihm! Nehmt sein Wort an, das erleuchtet und tröstet! Hört auf sein Angebot der Liebe, damit ihr zu seiner einen Familie werdet: In dem einen Christus sind wir eins."
Mission als Rettung aus einer dem Untergang geweihten Lebensform
Erneut kommt er auf das Thema der Einheit zu sprechen und auf den Grund, auf dem die Einheit ruht und aus dem sie hervorgeht: Christus. Dass er den etwas spröde klingende Wahlspruch, den er sich bereits als Bischof gewählt hat, als Papst beibehalten hat, zeigt erneut, wie wichtig ihm das Thema der Einheit ist. Allerdings geht es nicht um eine Einheit, die die Vielheit in Gleichmacherei einebnet, und auch nicht um eine Vielheit (von Menschen), die neben dem Einen Christus besteht, sondern um eine Vielheit in der Einheit mit Christus, die Augustinus in seinem Kommentar zu Psalm 127,3 (Vulgata) ausdrücklich ekklesiologisch versteht:
"Ipsi christiani cum capite suo […] unus est Christus; non ille unus et nos multi, sed et nos multi in illo unum. Unus ergo homo Christus, caput et corpus? Ecclesia eius …"
"Die Christen selbst mit ihrem Haupt […] sind Ein Christus. Nicht Jener Eine und wir viele, sondern wir die Vielen in Jenem Einen eins. Ein Mensch also Christus, Haupt und Leib. Was ist sein Leib? Seine Kirche …" (CCSL XL, 1869).
Die Dimension, die der Papst für den Petrusdienst als maßgeblich ansieht, die "Erkenntnis und Erfahrung der Liebe Gottes" ist kein Privileg des Papstes, sondern eine Wirklichkeit, aus der das missionarische Wirken der Kirche als ganzer hervorgeht; andernfalls wäre es nur "religiöse Propaganda" und Überredung, die der Papst ausdrücklich ablehnt. Das Bild des Fischfangs aufgreifend, versteht der Papst Mission auch als Rettung aus einer dem Untergang geweihten Lebensform – ein Gedanke, der heute in christlichen Kreisen nicht mehr selbstverständlich ist. Mit Proselytenmacherei hat das nichts zu tun: "Es geht niemals darum, andere durch Zwang, religiöse Propaganda oder Machtmittel zu vereinnahmen, sondern immer und ausschließlich darum, so zu lieben, wie Jesus es getan hat."
Politisch wirken, ohne zum Politiker zu werden
In letzter Zeit ist immer wieder darüber diskutiert worden, ob und inwiefern die Kirche und der Papst politisch sein dürfen oder gar müssen. Viele hoffen, dass Papst Leo XIV. den Anti-Trump gibt. Ich glaube, dass man damit zu kurz greift. Die Predigt deutet nicht darauf hin, dass der Papst im Nebenberuf zum Politiker avanciert. Wohl jedoch ist damit zu rechnen, dass seine Worte und Taten, wenn sie aus einer theologisch reflektierten und persönlich glaubwürdigen Haltung heraus hervorgehen, ihre Wirkungen im Raum des Politischen nicht verfehlen werden; ähnlich wie Papst Johannes Paul II. seinen ersten Polenbesuch ganz bewusst als einen Pastoralbesuch deklariert und sich geweigert hat, sich auf die politische Ebene ziehen zu lassen und gerade dadurch eine Bewegung ausgelöst hat, die von den politisch Mächtigen nicht mehr einzufangen war.
Dies zumindest scheint mir aus dem Schluss der Predigt hervorzugehen; die Bewegung geht von innen nach außen, von der Gottes- und Christusbegegnung über die Kirche zu den anderen kirchlichen und religiösen Gemeinschaft, zu den Armen und an den Rand Gedrängten und zu allen Menschen guten Willens:
"In unserer Zeit erleben wir noch immer zu viel Zwietracht, zu viele Wunden, die durch Hass, Gewalt, Vorurteile, Angst vor dem Anderen und durch ein Wirtschaftsmodell verursacht werden, das die Ressourcen der Erde ausbeutet und die Ärmsten an den Rand drängt. Und wir möchten in diesem Teig ein kleines Stückchen Sauerteig sein, das Einheit, Gemeinschaft und Geschwisterlichkeit fördert. Wir möchten der Welt mit Demut und Freude sagen: Schaut auf Christus! Kommt zu ihm! Nehmt sein Wort an, das erleuchtet und tröstet! […] Und das ist der Weg, der gemeinsam zu gehen ist, innerhalb der Kirche, aber auch mit den christlichen Schwesterkirchen, mit denen, die andere religiöse Wege gehen, mit denen, die die Unruhe der Suche nach Gott in sich tragen, mit allen Frauen und Männern guten Willens, um eine Welt aufzubauen, in der der Friede herrscht. Dies ist der missionarische Geist, der uns beseelen muss, ohne dass wir uns in unseren kleinen Gruppen verschließen oder uns der Welt überlegen fühlen. Wir sind gerufen, allen Menschen die Liebe Gottes zu bringen, damit jene Einheit Wirklichkeit wird, die die Unterschiede nicht aufhebt, sondern die persönliche Geschichte jedes Einzelnen und die sozialen und religiöse Kultur jedes Volkes zur Geltung bringt."
Die Predigt hinterlässt den Eindruck eines Papstes, der, wie er selbst sagt, "mit Furcht und Zittern" zu seinen Brüdern und Schwestern kommt und sie einlädt, gemeinsam mit ihm, dem Nachfolger Petri, einen Weg zu gehen, in der Hoffnung, dass auch sie mit dem heiligen Augustinus einst sagen können: "Tetigisti me – Du hast mich berührt, und ich brenne nach dem Frieden in Dir" (Bekenntnisse, X, 27).
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