Weißer RauchLeo XIV. und die Stunde der Kirche

Er ist der Papst der Babyboomer-Generation. Robert Prevost übernimmt das Amt in unruhiger Zeit, kirchlich wie weltpolitisch. Seine Botschaft: "Friede sei mit euch allen." Das 13. "Rauchzeichen" aus Rom.

Leo XIV.
© Vatican Media/Romano Siciliani/KNA

I.

Am Mittag des 8. Mai 2025 sitze ich mit unserem Verleger Manuel Herder vor einer Bar in Rom und trinke einen Orangensaft. Herder erzählt, man habe sich im Verlag vorsorglich einen Überblick verschafft, was für Bücher die wahlberechtigten Kardinäle veröffentlicht hätten. Die Liste sei nicht besonders lang geworden.

II.

Am frühen Abend stehe ich unter zahlreichen Journalisten oben auf den Kolonnaden des Petersplatzes. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, es weht ein kühler Wind. Ich spreche mit Kollegen: Einmal mehr ist von einem "längeren Konklave" die Rede; dass heute schon eine Entscheidung falle, sei unwahrscheinlich, sagen manche. Plötzlich Unruhe, Aufregung: Weißer Rauch! Jubel bricht auf dem Petersplatz aus – der jedoch nur gedämpft bis zu uns dringt. Die Journalisten telefonieren, schreiben, beginnen, ihre Aufsprecher zu machen. Ich wäre jetzt lieber dort unten.

III.

Mir war nicht klar, dass das so lange dauern würde. Beinahe eine Stunde lang tut sich nichts. Gespannte Stille. Der Petersplatz ist nicht voll. Jeder, der ihn betreten will, muss durch Kontrollpunkte wie am Flughafen. Der Platz füllt sich deshalb nur sehr langsam. Endlich tritt der Kardinalprotodiakon Dominique Mamberti auf die Loggia des Petersdoms. Wieder brandet Jubel auf. Als er ansetzt, den Namen des neuen Papstes zu nennen und "Robertum …" sagt, denke ich für eine Sekunde: Die Kardinäle werden ja wohl nicht Robert Sarah gewählt haben! Aber nein, es ist Robert Francis Prevost, US-Amerikaner, Mitglied des Augustinerordens, der lange in Peru gewirkt hat, seit etwas mehr als zwei Jahren Präfekt des Bischofsdikasteriums, also so etwas wie der "Personalchef" der katholischen Kirche. Dann sagt Mamberti, welchen Namen sich der neue Papst ausgesucht hat: Leo XIV. Neben mir steht der Journalist Marco Gallina, der vor zehn Tagen einen Artikel mit dem Titel: "Leo XIV.: Der Papst, den die Zukunft braucht" verfasst hat. Ich klopfe ihm auf die Schulter. Gallina schreibt in seinem Artikel über den letzten Leo-Papst, Leo XIII.:

"Leo XIII. spielte exakt jene Rolle, die derzeit ausgefüllt werden muss: Ein Papst zwischen zwei Jahrhunderten, der eine katholische Antwort auf die drängenden Fragen der Zeit gefunden hat."

Ob das Robert Prevost gelingen wird?

IV.

Leo XIII. ist heute vor allem als Verfasser der ersten Sozialenzyklika "Rerum Novarum" bekannt. Er schrieb jedoch sage und schreibe 86 Enzykliken und regierte die Kirche 25 Jahre lang.

V.

Nachdem der Kardinalprotodiakon die Loggia verlassen und der dunkelrote Vorhang sich wieder geschlossen hat, treten die Kardinäle auf die beiden seitlichen Balkone. Wieder heißt es warten. Der neue Papst zeigt sich nicht. Ein altgedienter Vatikanist versichert mir, das sei nichts Ungewöhnliches.

VI.

Dann endlich öffnet sich der Vorhang wieder und der neue Papst tritt auf den Balkon. Ab dem Augenblick erhalte ich Nachrichten auf meinem Telefon: "Er trägt die Mozetta und die Stola!" – "Goldenes Kreuz!". Gestern habe ich an dieser Stelle geschrieben:

"Papst Franziskus weigerte sich 2013, die traditionellen Insignien anzulegen, und erschien nur in der weißen Soutane auf dem Balkon des Petersdom. Damit wird jede Entscheidung des nächsten Papstes zu einer Aussage."

Und mit der Kostümbildnerin des Films "Konklave" hatte ich vor einigen Tagen über goldene, silberne und hölzerne Bischofskreuze gesprochen. Also muss hier festgehalten werden: Leo XIV. trägt die weiße Soutane, die rote Mozetta, die rote Stola und ein goldenes Brustkreuz. Der Verzicht von Franziskus lässt sich nicht wiederholen oder gar steigern, es sei denn, der Papst wäre in Anzug und Aktentasche auf der Benediktionsloggia aufgetaucht.

VII.

Der neue Papst hat sich seine Ansprache notiert, scheint aber manche Sätze auch zu improvisieren. Er wirkt nervös und angegriffen. Was sind wohl für Prevost die "drängenden Fragen der Zeit"? In den Worten, die er an die Gläubigen richtet, kommt ein Begriff besonders oft vor: Frieden. Der US-Amerikaner wird die Kirche durch eine Zeit führen müssen, die geopolitisch lange nicht mehr so unsicher und instabil war, Kriege toben und am Horizont zeichnen sich Großmächtekonflikte ab.

VIII.

Der Handyempfang ist miserabel; die Funknetze gehen wohl wegen all der Menschen und ihrer Telefone in die Knie. Gallina gelingt es, herauszufinden, wann der neue Papst geboren ist: 1955. Es ist die Generation der Babyboomer, die in den westlichen Gesellschaften überall noch den Ton angeben: Bill Gates. Friedrich Merz. Whoopie Goldberg. Helge Schneider. Alle 1955 geboren.

IX.

In der Ansprache fällt auch ein anderes Stichwort, allerdings eher beiläufig: "Wir wollen eine synodale Kirche sein". Ich muss an die beiden großen Predigten von Kardinal Giovanni Battista Re denken. Die Ansprachen des Kardinaldekans während der Sedisvakanz finden meist besondere Beachtung. Beim Requiem für Franziskus hatte Re einen Abriss der wichtigsten Stationen und Themen des Pontifikats gegeben, bei der Messe zur Eröffnung des Konklaves hatte er dann die Aufgaben und die Bedeutung des Papstes skizziert. War es Zufall, dass in beiden Ansprachen der Begriff "Synodalität" nicht auftauchte? Papst Franziskus hatte unter diesem Stichwort große innerkirchliche Beteiligungsverfahren und Gesprächsprozesse angestoßen, allerdings wurde das Prinzip kirchenrechtlich nicht verankert. Außerdem blieb theologisch ungeklärt, welchen Stellenwert die Ergebnisse dieser Beratungen haben und in welchem Verhältnis sie zur Autorität der Bischöfe und des Papstes stehen. Stattdessen sprach Re bei der Messe zum Konklave-Auftakt ausführlich über einen anderen Begriff, der für das katholische Kirchenverständnis seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil von hoher Bedeutung ist: Communio – auf Deutsch: Gemeinschaft.

X.

Das Zweite Vatikanische Konzil hatte in den Sechzigerjahren eine Ekklesiologie – also eine Lehre von der Kirche – formuliert, die sich auf das Denken der Kirchenväter der ersten christlichen Jahrhunderte zurückbezog: die Communio-Ekklesiologie. Worum es geht, brachte Re in wenigen Sätzen zum Ausdruck:

"Zu den Aufgaben eines jeden Nachfolgers Petri gehört es, die Gemeinschaft zu festigen: die Gemeinschaft aller Christen mit Christus, die Gemeinschaft der Bischöfe mit dem Papst; die Gemeinschaft der Bischöfe untereinander."

Hat Leo XIV. diese Botschaft gehört? Das Wort "gemeinsam" taucht jedenfalls in seiner kurzen Ansprache ebenfalls sehr oft auf.

XI.

Die Communio-Ekklesiologie mit dem Synodalitätsprinzip zusammenzubringen, ist eine unerledigte theologische Aufgabe. Ob sie unter Leo XIV. angegangen wird? Oder wird der neue Papst sich von der kirchlichen Selbstreflexion ab- und der Mission zuwenden?

XII.

Ich schicke eine Nachricht an Manuel Herder: "Hat Robert Prevost ein Buch geschrieben?" Seine Antwort: "Nein". 

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