I.
Ich war unverhofft zu Gast in einer kleinen abendlichen Runde bei einem überaus liebenswürdigen deutschen Paar, das den Luxus genießt, über eine große Wohnung im Zentrum Roms zu verfügen. Der Gastgeber, der sich selbst als "Heide" bezeichnet, erzählt, dass er mit Freunden und Bekannten gern den "Christentums-TÜV" mache. Wenn sich jemand Christ nennt, frage er ihn, ob er denn an die Jungfrauengeburt glaube, oder an die leibliche Auferstehung. Die meisten Gesprächspartner würde er damit in Verlegenheit bringen, sie seien als reine "Kulturchristen" entlarvt.
II.
Am nächsten Morgen stehe ich inmitten von hunderttausenden Menschen auf der Via della Conciliazione. Im Requiem für Papst Franziskus wird ein Abschnitt aus dem Philipperbrief gelesen:
"Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes, in der Kraft, mit der er sich alles unterwerfen kann."
III.
Um mich herum sehe ich sehr viele italienische Pfadfinder und andere Jugendgruppen. Eigentlich sollte nämlich gerade das "Giubileo degli Adolescenti", eine Jugendveranstaltung im Rahmen des Heiligen Jahres, stattfinden. Die Jugendlichen lagern in Gruppen auf dem Boden, vermutlich sind sie schon lange auf den Beinen, denn viele wirken erschöpft, einige schlafen. Manche sehen im Liegen auf ihren Handys die Zeremonie im Livestream.
IV.
Die Messe wird vom 91-jährigen, aber überaus rüstigen Dekan des Kardinalskollegiums, Giovanni Battista Re, zelebriert – mit entschlossenen Bewegungen und kräftiger Stimme. Die Liturgie wird nahezu vollständig auf Latein gehalten. Selbst das Evangelium singt der Diakon in der Kirchensprache. Die Menschen um mich herum sind bei den lateinischen Antworten nicht textsicher. Als ich laut: "Et cum spiritu tuo" singe, drehen sich drei junge, elegant in schwarz gekleidete Portugiesinnen erstaunt nach mir um.
V.
Im Kloster Tor de' Specchi auf der Via del Teatro di Marcello, von dem ich gestern schon erzählt habe, gibt es einen Raum mit einem Zyklus von Fresken aus dem 15. Jahrhundert. Zu sehen sind Szenen aus dem Leben der Francesca Romana, vor allem die spektakulären Wunder, die sie vollbrachte. Eine Darstellung sticht heraus. Francesca, so wird berichtet, habe in einer Vision die Hölle gesehen. Das Fresko zeigt einen riesengroßen, schwarzen, muskulösen Satan mit spitzer Nase, Vulkanierohren, Vogelfüßen und zehn Hörnern auf dem Kopf, in sitzender Haltung, sich dem Betrachter grinsend (diabolisch grinsend!) zuwendend, den rechten Arm wie zum Gruße erhoben. Umgeben ist er von kleineren Darstellungen von Gruppen nackter Menschlein, die, wie in Dantes Göttlicher Komödie, je nach Art ihrer Sünde verschiedene Folterqualen auszuhalten haben. Die alte, italienische Schwester, die mir den Raum zeigt, sagt: "Wir dürfen nicht vergessen: Die Hölle ist Realität." Ob das auch im "Christentums-TÜV" des liebenswürdigen Heiden abgefragt wird?
VI.
Zum Abschluss seiner routinierten Predigt, in der er die wichtigsten Stationen und die inhaltlichen Grundzüge des Pontifikats würdigt, setzt Kardinal Re noch einen Schlussakkord:
"Papst Franziskus pflegte seine Ansprachen und persönlichen Begegnungen mit den Worten zu beenden: 'Vergesst nicht, für mich zu beten.' Lieber Papst Franziskus, nun bitten wir dich, für uns zu beten und vom Himmel aus die Kirche, Rom und die ganze Welt zu segnen, so wie du es letzten Sonntag vom Balkon dieser Basilika aus getan hast, in einer letzten Umarmung mit dem ganzen Volk Gottes, aber auch im Geiste mit der gesamten Menschheit – der Menschheit, die mit aufrichtigem Herzen nach der Wahrheit sucht und die Fackel der Hoffnung hochhält."
Diese Passage ist ganz offensichtlich einer anderen Predigt zum gleichen Anlass nachempfunden. Beim Begräbnis Johannes Pauls II. im Jahr 2005 sagte Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Benedikt XVI.:
"Für uns alle bleibt es unvergesslich, wie der Heilige Vater, vom Leiden gezeichnet, am letzten Ostersonntag seines Lebens noch einmal am Fenster des Apostolischen Palastes erschienen ist und zum letzten Mal den Segen 'Urbi et orbi' erteilt hat. Wir können sicher sein, dass unser geliebter Papst jetzt am Fenster des Hauses des Vaters steht, uns sieht und uns segnet. Ja, segne uns, Heiliger Vater. Wir vertrauen deine liebe Seele der Mutter Gottes, deiner Mutter, an, die dich jeden Tag geführt hat und dich jetzt in die ewige Herrlichkeit ihres Sohnes, Jesus Christus unseres Herrn, führen wird."
Der Verstorbene sei ganz gewiss schon im Himmel, versichern uns die beiden Prediger, und kann von dort aus schon für uns beten und uns segnen. "Santo subito"-Rufe, wie sie bei der Beerdigung Johannes Pauls II. erschallt waren, waren dieses Mal aber nicht zu hören.
VII.
Neben jenem Satz "Vergesst nicht, für mich zu beten" hat Franziskus unzähle Male auch einen anderen Satz wiederholt, in Interviews, bei Ansprachen und Begegnungen: "Ich bin ein Sünder".
VIII.
An jedem 2. November, dem Allerseelentag, singen wir in unserer Pfarrkirche mit dem Chor in der Messe ein klassisches Requiem. Über Jahrhunderte haben Komponisten die Texte der Totenmesse vertont. Im Tractus, dem Gesang vor dem Evangelium, der in der traditionellen Totenmesse statt eines Halleluja-Rufes erklingt, heißt es etwa:
"Befreie, o Herr, die Seelen aller verstorbenen Gläubigen von jeder Fessel der Schuld. Deine Gnade komme ihnen zu Hilfe, auf dass sie entrinnen dem Rachegericht. Lass sie genießen des ewigen Lichtes Glückseligkeit."
Die Bilder der Sequenz Dies Irae, die die Hoffnung auf Erlösung des Verstorbenen mit dem Weltgericht verschränken, haben Komponisten zu erschütternden musikalischen Interpretationen angeregt.
IX.
"Betet für mich" – genau das ist der ursprüngliche Gedanke des Requiems. Dahinter steht der Glaube, dass die Gebete der Lebenden und die Feier der Messe dem Verstorben – tatsächlich! – dabei helfen sollen, die Vergebung zu erlangen und in die Glückseligkeit einzugehen.
Im Drehbuch des Papstrequiems war diese Dimension ein bisschen abgedimmt. Am deutlichsten kam der Gedanke am Ende der Messe in den Gebeten der Vertreter der katholischen Ostkirchen zum Ausdruck. Ein Diakon sang:
"Beten wir für die Ruhe der Seele dieses verstorbenen Dieners Gottes, Franziskus, Bischof, dass ihm jede Sünde und jedes Vergehen vergeben werden möge."
X.
Vielleicht wäre es gar nicht schlecht, den Aspekt bei der Textauswahl zukünftiger Papstbegräbnisse wieder stärker zu betonen. An mittelalterlichen Kirchengebäuden finden sich Darstellungen, die Päpste und Bischöfe beim Jüngsten Gericht auf dem Weg in den Höllenschlund zeigen. Indem kirchliche Würdenträger so etwas in Auftrag gaben, erinnerten sie sich selbst an ihre große Verantwortung. Könnte das nicht auch als Heilmittel gegen den von Franziskus so oft beklagten "Klerikalismus" dienen?
X.
Am Nachmittag bin ich bei einer Pressekonferenz mit Kardinal Marx und Bischof Bätzing. Bätzing spricht bei der Gelegenheit von einer "schlichten" Feier. Moment mal: Eine Liturgie auf dem Petersplatz mit Staatsgästen aus aller Welt, ein Trauerzug durch die ganze Stadt, der von 100.000 Menschen gesäumt wird, weil der Papst sich eine Beisetzung in Santa Maria Maggiore wünschte (übrigens neben "ungleichen Nachbarn", wie COMMUNIO-Schriftleiter Jan-Heiner Tück einmal bemerkt hat): Wenn das "schlicht" ist, möchte ich auch so eine "schlichte" Beerdigung haben. Die Feier war würdevoll und dem Papsttum angemessen. Bätzing wiederholte hier ein Narrativ vieler Medien. "Schlichtheit" ist ein relativer Begriff: In Bezug auf welche Vergleichsgröße wird er hier also in Anspruch genommen? Wie oft habe ich in den letzten Tagen gelesen, der Papst werde in einem "einfachen Holzsarg" beerdigt und bekomme ein "einfaches Grab"? Paul VI. wurde ebenso in einem "einfachen Holzsarg" beigesetzt wie Johannes Paul I., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Die genannten erhielten allesamt auch ein ebenso "einfaches" Grab mit Marmorplatte und Namensbeschriftung.
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