"Wir müssen an die Ränder gehen," miauen Theologinnen und Theologen um mich herum, solange ich denken kann. Mantra eines jeden Stuhlkreises. Zugleich spiegelten mir jede Pastoralversammlung und jede diözesane Massenveranstaltung, dass man sich hier für sehr zentriert hält. Überhaupt schienen mir die kirchlichen Milieus, in denen ich tätig war, äußerst homogen. Nur der Klerus war erfrischend vielfältig.
Diese homogene Belegschaft aus Laientheologen hierzulande trifft auf eine massive Polarisierung der Debatten, die zwar nicht beispiellos ist, aber unsere Gesellschaften in extreme Emotionen führt. So stehen häufig in der öffentlichen Wahrnehmung die extremen "linke Ränder" oder "rechte Ränder" einer vermeintlichen "Mitte" gegenüber.
Was bedeutet das für theologische Arbeit?
Nehmen wir einmal ein praxisnahes Forum dieser theologischen Arbeit in den Blick. Exemplarisch versteht sich. Ich befinde mich z.B. auf einer Pastoralversammlung in einer deutschen Diözese oder auf der Österreichischen Pastoraltagung.
Dazu – gleichsam Pars pro Toto – eine Figuren-orientierte Charakterisierung: Selten treffe ich so viele Männer und Frauen mit Seidenschals, abgewetzte Cordhosen, grob-karierten Flanellhemden; die steif gebügelten Röcke reichen immer über die Knie, vereinzelt Gürteltaschen (um die Hüfte getragen), zunehmend Kompressionsstrümpfe, weit fließende, hemdartige Blusen mit Blumenmuster, beige Westen mit druckknopfverschließbaren Brust- und Bauchtaschen, Pullunder über nicht gebügelten Hemden, Allwetterjacken oder abzippbare 2-in-1 Hosen, als ginge es anschließend gleich auf den Weinviertler Jakobsweg.
Wer innerlich schon gekündigt hat, steht in Crocs da. Wer auf die Bewilligung einer Kur wartet, weil der Job nur noch zur Sicherung der sozialen Position dient, in Gesundheitsschuhen. Wer drinnen schon "tot" ist, trägt Sandalen mit Strümpfen. Verwegene sind in den Birkenstock-Ballerinas Santa Clarita anwesend. Die Szene wirkt leicht – aber in noch erträglichen Maßen – übersättigt. Sakkos trägt man in solchen Kreisen nur zu Jeans.
Man fantasiert davon, an die Ränder zu gehen, während man im Stuhlkreis um eine gestaltete Mitte versammelt ist. Die Mitte ist heilig. Auch wenn sie mit diesem Fokus leer ist.
In solchen Runden ist die Volkskirche, wie sie sich in den 1980er- und 1990er Jahren zu einer Ausgeburt der Betulichkeit ausgeprägt hat, bis in die Gegenwart noch vollkommen intakt. Die Volkskirche, wie sie heute in ihrem abgestandenen Schwundzustand existiert, wirkt wie ein Restbestand auf der Stange nach dem Winterschlussverkauf bei C&A. Das Personal der Volkskirche wirkt auf mich wie eine Ansammlung von ausgewaschenen Kuscheltieren auf Omas Bett im Altenheim.
Vom Stuhlkreis an den Rand
Man fantasiert davon, an die Ränder zu gehen, während man im Stuhlkreis um eine gestaltete Mitte versammelt ist. Die Mitte ist heilig. Auch wenn sie mit diesem Fokus leer ist. Nun tritt ein Aficionado dieses Milieus auf: aus einer theologischen Fakultät, die Leitung eines Bibelwerks, eine österreichische oder deutsche Ordensperson, die gerade aus dem Ausland auf Heimaturlaub ist, die von den Missständen, die dort herrschen, berichten wird. Diese Koryphäe stellt sich neben eine dicke Kerze, die jetzt auf dem zerklüfteten lila Filztuch unruhig flackert. Die "von außen" eingeladene Theorie-Koryphäe gibt nun einen "Impuls", etwa derart: "Wir müssen an die Peripherien gehen. Leo hat es gesagt. Franziskus hat es gesagt. Das Zweite Vatikanische Konzil hat es gesagt. Ignatius hat es gesagt. Jesus hat es gesagt. Denn er war mit den Zöllnern, Säufern, Dirnen und Verbrechern. Er war mit den Armen und Ausgegrenzten."
Hat man alles schon irgendwo gehört, aber niemand lässt sich was anmerken. Der Impuls handelt aber nicht nur von den Rändern, sondern auch von Risiko und Mut. Ja, Mut müsse man haben. Man redet verschwörerisch davon, "pluralitätsoffen" oder wahlweise "pluralitätsaffin" zu sein, während in keinem anderen Berufsumfeld mehr Homogenität herrscht als in deutschsprachigen Diözesen.
Am Anfang war die Selbstkritik
Nirgends ist die Belegschaft sozioökonomisch und habituell homogener als bei der katholischen Kirche. Und trotzdem wiegt man sich in einer "pluralitätsoffenen" Rhetorik, einem "risikoaffinen" Draufgängertum, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass man vielleicht selbst eine marginalisierte Gruppe darstellt. Und seien wir mal ehrlich: Lässt es sich in beamtenähnlichen Verhältnissen nicht gemütlich vom "Risiko" reden?
Eingeschüchtert und verunsichert von den Ungeheuerlichkeiten dessen, was die Kirche verbrochen hat, während man bei ihr in Lohn und Brot und Abhängigkeit steht … davon verunsichert, sucht man verzweifelt nach einem neuen moral high ground. Man trachtet danach, eine neue moralische Asymmetrie einzugehen, bei der man obenauf sein kann – als Helfer in der Not, als Aufklärerin von Täuschungen, als Verbindung von Entzweitem, als Hoffnungsbringer in die Unmenschlichkeit. Man sollte es zugeben: Ist nicht alle Barmherzigkeit zunächst auch eine extreme Asymmetrie?
Wo ist die Botschaft?
Verwirrt und befangen ist der Stuhlkreis, denn man sagt doch all die richtigen Worte: Peripherie, Risiko, Mut, sogar Demokratie – all das hat man korrekt gesagt und ehrlich gemeint. Man sei "selbstverständlich" gegen Ausgrenzung, gegen Hass, gegen Instrumentalisierung, gegen die Verrohung, für Respekt, Inklusion und Achtsamkeit. Und trotzdem: Die Worte der Theologinnen und Theologen kommen leider immer mit leichtem Mundgeruch herüber. Die Worte landen nicht.
Warum ist ebendiese Theologie trotz ihrer ungeheuerlichen Ressourcen, ihrer immensen Vernetzung und Einbettung, ihrer vermeintlichen Expertise und so edlen Kompetenzen, so beschämend wirkungslos?
Anstatt mit oberflächlichen Schuldeingeständnissen abzulenken, sich rhetorisch und performativ in beflissener Großzügigkeit mit jedwedem Unwohl zu solidarisieren, oder gütig darüber nachzudenken "was die Menschen da draußen so umtreibt", sollte man lieber mit einer schonungslosen Selbstkritik beginnen. Dies bedeutet zuallererst: echter Dialog mit sich selbst und den Nächsten – in und um die Institution. Denn ein Schuldeingeständnis oder eine Schulddiagnose, in der man sich bis zur Schockstarre wälzt, ist kein kritisches Verhalten. Kritik ist transformativ.
Also wo beginnen?
Zum Beispiel mit dieser Frage: Warum gelingt es einer Theologie, die doch in den letzten 30 Jahren alle Hebel der Kirche bewegen konnte und von nichts anderem als von "Rändern" oder "Zeichen der Zeit" geredet hat, nicht, Gehör zu finden bei den "linken" und "rechten" Rändern? Warum ist ebendiese Theologie trotz ihrer ungeheuerlichen Ressourcen, ihrer immensen Vernetzung und Einbettung, ihrer vermeintlichen Expertise und so edlen Kompetenzen, so beschämend wirkungslos?
Die erste Frage ist daher nicht nur: Wo wäre die Botschaft des Evangeliums dringlicher als an diesen Peripherien? Sondern: Wo ist die Botschaft?