Leib und SeeleTrans: Wie Kirche Orientierung geben kann, ohne zu verurteilen

Ein Jahr Selbstbestimmungsgesetz: Der Staat macht das Geschlecht zur Formsache. Immer mehr Jugendliche zweifeln an ihrer Identität. Die katholische Kirche hätte eine wichtige Botschaft.

Alina Oehler
© Carsten Schütz

Im katholischen Podcast "Himmelklar" erklärt Georgine Kellermann, die über 60 Jahre als Georg gelebt hat, dass das Geschlecht "zwischen den Ohren und nicht zwischen den Beinen" sitze, und sagt: "Der liebe Gott hat die falsche Verpackung für mich gewählt". Wissenschaftlich sei das mittlerweile nachgewiesen, jenes "Hirngeschlecht", das vom genetischen Körpergeschlecht abweichen könne.

Neurobiologisch kenne ich mich nicht aus, weiß aber zumindest, dass das umstritten ist. Die katholische Kirche wiederum geht davon aus, dass es einen Zusammenhang von Leib und Seele gibt und dass Geschlecht darum nicht einfach eine Frage der Selbstidentifikation ist.

Vor etwa einem Jahr ist das "Selbstbestimmungsgesetz" vom Deutschen Bundestag verabschiedet worden. Die Katholische Nachrichten-Agentur hat recherchiert, wie viele Menschen in deutschen Großstädten seither ihren Geschlechtseintrag änderten: in Berlin 2.500, in Leipzig mehr als 900, in Köln fast 700. Vor dem Gesetz brauchte man dafür zwei psychiatrische Gutachten, heute reicht eine einfache Erklärung beim Standesamt. Auch Jugendliche ab 14 Jahren können das tun, notfalls ohne Zustimmung der Eltern.

Für Biologen wie Marie-Louise Vollbrecht haben Geschlechterfragen eine quasi-religiöse Dimension bekommen. Die Doktorandin an der Berliner Humboldt-Universität musste 2022 aus Sicherheitsgründen einen Vortrag mit dem Thema "Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht – Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt" absagen. Aktivisten hatten im Vorfeld massive Stimmung gegen die Veranstaltung gemacht. In einem Podcast sagte Vollbrecht:

"Transaktivisten kämpfen wie Kreationisten gegen jede Art von Erkenntnissen, Studien, Daten, die nicht in ihrem Sinn sind, (...) sie machen das nicht, weil sie bösartig sind, sondern sie versprechen eine bessere, diverse, vielfältige Welt, in der es allen besser geht".

Für dieses "große Gute" müsse man so früh wie möglich ansetzen und an Schulen und Kindergärten gehen. Als Mutter frage ich mich, ob derartige Bekennergeschichten junge Menschen, die sich noch entwickeln, nicht unnötig verunsichern. Müsste die zentrale Botschaft gegenüber Kindern und Jugendlichen nicht lauten: Du bist in Ordnung, so wie du bist – und auch dein Körper ist in Ordnung, so wie er ist?

Trans-Trend?

Die Zahlen der betroffenen Jugendlichen jedenfalls steigen. 2024 veröffentlichte das Universitätsklinikum Ulm im Deutschen Ärzteblatt eine Studie zu "Störungen der Geschlechtsidentität bei jungen Menschen", wonach die Diagnosen bei jungen Menschen zwischen fünf und 24 Jahren von 2013 bis 2022 etwa auf das Achtfache gestiegen sind. Besonders betroffen seien Mädchen im Alter von 15 bis 19 Jahren. Bei der Mehrheit (über 70 Prozent) liege zusätzlich mindestens eine psychiatrische Diagnose vor. Die Studie basiert dabei auf ambulanten Versicherungsdaten aller gesetzlich Versicherten und umfasst damit etwa 14 Millionen Personen.

Auch in anderen Ländern ist ähnliches zu beobachten. Das "Williams Institute" der "University of California" führt in den USA regelmäßig Erhebungen durch, in den Jahren 2016 bis 2017 identifizierten sich etwa 1,4 Prozent der Jugendlichen zwischen 13 bis 17 Jahren als transgender, 2021 bis 2023 waren es bereits 3,3 Prozent.

Warum die Zahlen steigen, ist dabei nicht eindeutig. Ist es die gestiegene Offenheit, die mutiger macht, sich zu bekennen – oder handelt es sich um einen "Trans-Trend"?

In den USA meinten zuletzt einzelne Wissenschaftler empirische Anzeichen für ein Absinken der Selbstbezeichnung als "trans" zu erkennen. Andere Experten kritisierten diese Deutungen; die Datengrundlage sei nicht valide.

Die Frage bleibt: Können so viele Kinder und Jugendliche wirklich die Folgen einer Entscheidung für Pubertätsblocker und irreversible medizinische Maßnahmen zur sogenannten "Geschlechtsangleichung" abschätzen?

Was alarmieren müsste: Andere Länder rudern aufgrund schlechter Erfahrungen bereits wieder stark zurück. In England sei an den "Cass-Report" erinnert, der deutlich machte, dass die meisten betroffenen Kinder- und Jugendlichen von einer psychologischen Behandlung mehr profitieren. Sind wir hierzulande auf diesem Auge blind?

Ich muss an ein Interview mit dem Jugendpsychiater Alexander Korte denken, der darin von Eltern einer Siebenjährigen (!) berichtet hat, die in der Klinik fragten:

"Wann soll meine Tochter Hormone bekommen? Und wann sollen die Eierstöcke raus?"

Das sei bei weitem kein Einzelfall. Wie kann man darüber nicht erschrocken sein?

Ich frage das wohl wissend, dass mir hier manche unterstellen werden, dass allein diese Gedanken schon "transfeindlich" sind. Auch Alice Schwarzer, Deutschlands berühmteste Feministin, erlebt regelmäßig Anfeindungen, wenn sie sich kritisch äußert. Dabei trat gerade sie Anfang der Achtzigerjahre für die Rechte von Transsexuellen ein.

"Ich war hoch sensibilisiert für den Schmerz und die Verzweiflung dieser Menschen, die ihren Körper zutiefst ablehnten und ihre Geschlechtsmerkmale ausradieren wollten um jeden Preis. Echte Transsexuelle waren aber immer nur eine extreme Minderheit (...) inzwischen haben wir es mit einem Massenphänomen zu tun",

sagte sie in einem Interview. Vor allem junge Mädchen seien betroffen. Dass insgesamt mehr Frauen ihren Geschlechtseintrag ändern wollen, zeigt auch eine Erhebung des Statistischen Bundesamts.

Kann man noch ohne Aufschrei sagen, dass man die eigenen Kinder über das Phänomen wechselnder Geschlechtsidentitäten so spät wie möglich aufklären will? Dass man ihnen bewusst keine Cartoons oder Bilderbücher zeigt, wo das bereits thematisiert wird, und stattdessen hochhält, dass Gott sie so geschaffen hat, wie sie sich vorfinden und sie wunderschön sind?

Wahrheit verkünden, Barmherzigkeit leben

Die Kirche hätte heute mit ihrer leibfreundlichen Lehre eine wichtige Botschaft zu verkünden. Stattdessen scheint sie auf den aktuellen Trend aufzuspringen und eine bedenkliche Veränderung des Umgangs mit dem Phänomen "Transsexualität" in Deutschland, gerade im Blick auf Kinder und Jugendliche, mitzumachen. Einige Bischöfe beziehen zwar Position, sind aber doch sehr leise. Das Thema ist heikel.

Wie man die Spannung "Wahrheit verkünden, Barmherzigkeit leben" aushalten und trotzdem deutlich sein kann, hat Papst Franziskus vorgemacht. Er traf sich regelmäßig sehr herzlich und öffentlichkeitswirksam mit transgeschlechtlichen Menschen und zeigte, dass sie in der Kirche natürlich willkommen sind. Gleichzeitig schrieb Franziskus 2016 in "Amoris Laetitia":

"Wir sind Geschöpfe, wir sind nicht allmächtig. Die Schöpfung geht uns voraus und muss als Geschenk empfangen werden. Zugleich sind wir berufen, unser Menschsein zu behüten, und das bedeutet vor allem, es so zu akzeptieren und zu respektieren, wie es erschaffen worden ist."

Auch Papst Leo XIV. hat bereits signalisiert, dass er hier Franziskus Spuren folgen wird. Er wolle jeden Menschen unabhängig von seiner Identität willkommen heißen, die Lehre der Kirche zur Sexualität aber nicht ändern, sagte er bekanntlich in seinem ersten größeren Interview. Stattdessen müsse die traditionelle Familie wieder anerkannt und gestärkt werden, sie hätte in den vergangenen Jahrzehnten "manchmal gelitten".

Dass die Diskriminierung Transsexueller auch von der Kirche thematisiert wird, ist wichtig. Doch wie sieht ein gutes Verhältnis aus? Gerade im Blick auf Kinder und Jugendliche sollte besonders gut abgewogen werden.

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