Kommentar zur BürgergelddebatteDer Mensch lebt … auch vom Brot!

Eine neue Studie widerlegt die ewigen Unkenrufe, das Bürgergeld sei zu hoch und mache Arbeit unattraktiv. Anstelle einer Neiddebatte braucht es echte Reformen – auch aus religiösen Motiven.

Und sie lohnt sich doch, die Arbeit. Vollzeitbeschäftigte haben in Deutschland selbst mit Mindestlohn deutlich mehr Geld zur Verfügung als Bürgergeldempfänger. Das gilt für Singles ebenso wie für Alleinerziehende und Paare mit Kindern – und zwar überall in Deutschland. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Dass der Lohnabstand durch das Bürgergeld nicht gefährdet ist, wurde schon durch frühere Studien belegt. Die in Kommentarspalten, Talkshows oder bei Familienfeiern hitzig geführte Debatte haben sie nicht zum verstummen gebracht – zu laut und einfach sind die Parolen derer, die unter dem Deckmantel von Arbeitsgerechtigkeit in Wahrheit Sozialleistungen kürzen wollen. Umso deutlicher muss man angesichts der jüngsten Ergebnisse erneut betonen: Arbeiten lohnt sich, und zwar merklich.

Das WSI rechnet verschiedene Konstellationen vor. Demnach kommt ein alleinstehender Mann, der zum Mindestlohn von derzeit 12,82 Euro pro Stunde voll arbeitet, nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben auf einen Nettolohn von 1572 Euro. Bezöge er Bürgergeld, stünden ihm dagegen 563 Euro Regelbedarf sowie Unterkunftgeld in Höhe einer angenommenen Miete von 452 Euro zu. Macht in Summe 1015 Euro – also fast 560 Euro weniger als mit Job. Ein Ehepaar mit einem Verdiener und zwei Kindern hätte im Bürgergeld monatlich 660 Euro weniger. Bei einer alleinerziehenden Mutter betrüge der Lohnabstand sogar fast 750 Euro, so die Experten.

In Städten wie München oder Hamburg fällt der Unterschied wegen der hohen Mietpreise geringer aus. Hier verweist das WSI zielsicher auf einen Bereich, in dem tatsächlich dringend politischer Handlungsbedarf besteht: die Schaffung bezahlbaren Wohnraums. Ähnlich verhält es sich mit zusätzlichen Sozialleistungen wie Wohngeld, Kinderzuschlag oder Unterhaltsvorschuss, die das Institut auf Verdienerseite mitkalkuliert: Wer bezweifelt, dass lohnschwache Bevölkerungsgruppen Zugang zu diesen Hilfen finden, sollte seine Kritik gegen fehlende Beratungsangebote und unübersichtliche Steuergesetze richten, anstatt die Grundsicherung infrage zu stellen. Ebenso zielt der Einwand, ein paar hundert Euro zusätzlich seien zu wenig Anreiz für einen ganzen Monat Arbeit, ins Spielfeld derer, die den Mindestlohn möglichst niedrig halten oder am liebsten ganz abschaffen wollen.

Der Slogan „Arbeit muss sich wieder lohnen“ suggeriert nicht nur einen falschen Ist-Zustand, sondern befeuert auch eine nach unten gerichtete Neiddebatte. Die Behauptung, ein Single könne mit 563 Euro oder eine vierköpfige Familie mit rund 1800 Euro Regelbedarf ein rauschendes Leben führen, verhöhnt die finanziellen Herausforderungen von Menschen im Bürgergeldbezug.

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort aus Gottes Mund“, erwidert Jesus seinem Versucher (Mt 4,4). Selbst wenn man den Ausspruch säkularisiert und die „Worte Gottes“ als Anerkennung, Weiterbildung oder Forderung nach Eigeninitiative ausdeutet, bleibt hinter dem „nicht allein“ ein logisches „aber auch“ stehen: Der Menschen lebt auch und zunächst von materiellen Grundlagen. Erst wenn diese gegeben sind, kann er seine Existenz entfalten. Das Bürgergeld ist keine Einladung zur Untätigkeit, sondern Ermöglichung von Teilhabe. Gerade als Christen sollten wir daransetzen, den Menschen dieses „Brot“ zu sichern.

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