Petra, das UNESCO-Weltkulturerbe und eine der bedeutendsten Städte des klassischen Altertums, spektakulär gelegen in einem atemberaubend wilden und malerischen Tal, umgeben von farbenfrohen Sandsteinformationen mit eingeschnittenen Fassaden, bedarf keiner ausführlichen Einführung. Die Stadt liegt etwa auf halbem Weg zwischen dem Roten und dem Toten Meer, am östlichen Abhang des Wadi Araba. Erbaut und bewohnt wurde sie von den Nabatäern, einem alten arabischen Volk, das in der späthellenistischen und römischen Epoche durch seine Beteiligung am Fernhandel mit Weihrauch zwischen Ost und West zu großer Bedeutung und wirtschaftlichem Reichtum gelangt war.
Die städtischen Ursprünge Petras gehen auf das 3. Jh. v. Chr. zurück, und die Stadt erlebte ihre Blütezeit während der «klassischen» nabatäischen Periode (1. Jh. v. bis 1. Jh. n. Chr.), als das Tal zum Standort spektakulärer nabatäischer Monumente wurde, darunter Tempel, Bäder, Theater, Palastresidenzen und die bekannten monumentalen Gräber. Im Jahr 106 n. Chr. annektierten die Römer Petra und das nabatäische Königreich; die Stadt entwickelte sich daraufhin zum bedeutendsten urbanen Zentrum des römischen Arabiens, das sich durch eine blühende Stadtentwicklung und eine florierende Wirtschaft auszeichnete. Am 19. Mai 363 n. Chr. wurde Petra von einem katastrophalen Erdbeben heimgesucht. Während der byzantinischen Zeit (4. bis frühes 7. Jh.) war Petra die Hauptstadt der Provinz Palaestina Salutaris/Tertia. Wahrscheinlich hörte Petra im späteren 7. Jh. auf, als städtisches Zentrum zu existieren.
Für die meisten modernen Touristen dauert ein Besuch in der «rosaroten » antiken Stadt Petra im Süden Jordaniens kaum mehr als einen Tag. Nachdem sie die Wunder des Siq – der gewundenen Schlucht nach Petra – bestaunt haben, eilen sie zu den monumentalen «königlichen» Grabfassaden, die in die östlichen Klippen des Tals gemeißelt sind. Von dort aus ziehen sie weiter nach Westen zum benachbarten Hügel, zur byzantinischen Marienkirche mit ihren herrlichen Bodenmosaiken. Auf dem Weg dorthin kommt man an einem Hügel vorbei, der allgemein als Rujm Umm al-Сunaydiq bekannt ist und auf dem Ruinen auf dem Plateau und an den Hängen verstreut liegen. Trotz der atemberaubenden Lage und der monumentalen Überreste wurde die Stätte kaum von der Forschung beachtet. R. Brünnow und A. von Domaszewski sowie Th. Wiegand, die deutschen Archäologen des frühen 20. Jhs., widmeten diesem Gebiet nur wenige Absätze in ihren umfangreichen Beschreibungen von Petra.
Erst zu Beginn des 21. Jhs. erhielt dieses Gebiet im nordöstlichen Petra- Tal durch die Untersuchungen des North-Eastern Petra Project (im Folgenden NEPP) die gebührende wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Gefördert wurde das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Exzellenzcluster «Topoi» und der Humboldt- Universität zu Berlin. Zwischen 2010 und 2016 führte das NEPP die Beschreibung, Vermessung und Fotografie der zerstörten Strukturen durch, um eine zuverlässige Karte des Gebiets zu erstellen und die erhaltenen Überreste zu interpretieren.
Einzigartiger Standort
Das ca. 500 × 400 m große Untersuchungsgebiet liegt auf einem hohen Hügel über dem östlichen Ende der Kolonnadenstraße und direkt westlich des sog. Palastgrabes im Zentrum von Petra. Es ist ein einzigartiger Standort, der das gesamte Stadtzentrum und seine Hauptverkehrsachse dominiert und von der ganzen Stadt aus sichtbar ist (Abb. 1). Das Untersuchungsgebiet bildet ein eigenes Viertel der Stadt, da es vom Wādī Maṭāḥah, vom Wādī Mūsa und vom al-Khubthah- Massiv umschlossen wird. Außerdem führt der al-Khubthah-Aquädukt, der in der aktuellen Kleinstadt Wādī- Mūsa beginnt, direkt zum erforschten Bereich und trifft dort auf eine riesige Zisterne, die einen Teil des Wasserauffangsystems des Khubthah-Massivs bildet. In der Zone, in der das Khubthah- Massiv an das Untersuchungsgebiet grenzt, befindet sich schließlich das sog. Palastgrab – die größte und am reichsten verzierte Grabfassade von Petra.
Abb. 2 Gesamtplan (2016) der architektonischen Reste im Untersuchungsgebiet mit großen, monumentalen Bauten (ST 1–13, 19), kleineren Strukturen (ST 14–18) und wichtigeren Wasseranlagen (WS 1–7).
The North-Eastern Petra Project / M. Holappa und J. Falkenberg
Monumentale Strukturen
Das untersuchte Gebiet weist eine unebene, zerklüftete und oft sehr steile Oberfläche auf. Insgesamt wurden 19 größere, oft monumentale Strukturen identifiziert (Abb. 2). Eine Reihe von wasserspezifischen Bauten deutet darauf hin, dass Wasser nicht nur aus praktischen Gründen, sondern auch zur Landschaftsdekoration genutzt wurde. Das NEPP erfasste 943 architektonische Dekorationselemente innerhalb oder in der Umgebung der Bauwerke, die von zahlreichen Türpfosten über Säulentrommeln, -basen und -kapitellen (darunter nabatäische Typen und stark dekorierte attischionische Typen), Pilasterbasen und -kapitellen, bis hin zu Gebälkelementen reichen (Abb. 3). Die Datierung der Oberflächenkeramik und die stilistische Datierung der architektonischen Blöcke legen nahe, dass der Bau und die Hauptnutzungsphase der Strukturen im Untersuchungsgebiet auf das späte 1. Jh. v. Chr. bis Ende des 1. Jhs. n. Chr. zu datieren sind, obwohl das Vorhandensein von Keramik aus der Zeit nach dem 1. Jh. n. Chr. darauf hindeutet, dass das Gebiet auch nach der Annexion von Nabatäa durch Rom im Jahr 106 n. Chr. weiter genutzt wurde.
Abb. 3 Nabatäischer Pilaster mit zwei architektonischen Ordnungen aus Bau 2 (ST 2).
The North-Eastern Petra Project / M. Dehner
Zweifellos genießt das Untersuchungsgebiet eine isolierte, aber strategisch günstige Lage innerhalb des Stadtzentrums, ist autark in Bezug auf die Wasserversorgung und leicht zu verteidigen. Die Besiedlung im Gebiet erscheint ausgesprochen einheitlich, sowohl was die architektonische Gestaltung, das dekorative Repertoire als auch die Oberflächenkeramik betrifft. Die erforschten Monumentalbauten und ihre architektonische Ausschmückung von höchster Qualität entsprechen eher Luxus- und Repräsentationsbauten als reinen Nutzbauten. Daher sollten die Bauwerke im Gebiet als Bestandteile eines zusammengehörigen architektonischen Komplexes betrachtet werden, der offensichtlich palastähnlichen Charakter hat. Es konnte aufgezeigt werden, dass die Gesamtgestaltung und das dekorative Programm der großen Grabkomplexe in Petra offenbar eng mit der Luxusarchitektur des hellenistischen und frührömischen Mittelmeerraums verwandt waren. Konsequenterweise sollten die Residenzen der nabatäischen Eliten zumindest teilweise die gleichen äußeren Einflüsse und die Mode der opulenten Palastresidenzen der Ptolemäer, Seleukiden, Herodianer oder Römer widerspiegeln.
Ein nabatäisches Königsquartier?
Darüber hinaus könnte der Komplex möglicherweise als nabatäisches Königsquartier (basileia) gedient haben. Die Passagen bei Flavius Josephus (JA 14, 4 [16]; BJ 1, 2 [125]) deuten darauf hin, dass Petra Mitte des 1. Jhs. v. Chr. als königliche Stadt galt, in der die Könige residierten. In Bezug auf die wichtigsten urbanistischen Merkmale des Gebiets – d. h. die Tatsache, dass es sich um einen vom Rest der Stadt abgetrennten Bereich handelt, der Vorteile in Bezug auf seine dominante Lage, die Wasserversorgung, die Sichtbarkeit und die Verteidigungsfähigkeit genießt – ähnelt der Komplex des NEPP den basileia in den hellenistischen Städten wie Antiochia, Seleukia, Babylon, Aï Khanoum und Alexandria in Ägypten. In diesem Fall könnte das Palastgrab im Idealfall als Grabstätte und/oder Heroon der Könige von Petra innerhalb der basileia interpretiert werden.
Im Gegensatz zu den meisten hellenistischen Basileien weisen die Bauwerke des NEPP keine gemeinsame Ausrichtung, Symmetrie oder Achsialität auf, sondern folgen der Topographie des Geländes und sind verstreut. Die herodianischen Paläste – in Jericho, der Westpalast in Masada und Herodium – zeigen eine relativ geringe Streuung der Strukturen. Einige spätrepublikanische/ frühkaiserzeitliche römische Paläste und Vorstadtvillen, die gezielt für das otium von Besitzern und Gästen entworfen wurden, bieten jedoch gute Parallelen in Bezug auf die verstreute Anordnung und eine informelle Gesamtgestaltung, z. B. die villa maritima Pausilypon des späten 1. Jhs. v. Chr. in der Nähe von Neapel. Offensichtlich ist die verstreute Lage und die fehlende gemeinsame Ausrichtung der meisten Strukturen beabsichtigt, denn sie verleiht dem Entwurf eine lockere Ungezwungenheit.
Abb. 4 Bau 1 (ST 1) aus Südost, möglicherweise ein großer, rechteckiger Saal.
The North-Eastern Petra Project / M. Dehner
Abb. 5 Bau 2 (ST 2) mit zahlreichen kleinen Räumen und Korridoren sowie ein Pavillon (ST 9).
The North-Eastern Petra Project / M. Holappa und J. Falkenberg
Mögliche Interpretationen
Falls der untersuchte Komplex tatsächlich als palastartiges, möglicherweise königliches Quartier gedeutet werden kann, laden die einzelnen Strukturen zur Interpretation ein (vgl. Abb. 2). Bau 1, der die beste Lage im erforschten Gebiet genießt und das gesamte Tal überblickt, könnte ein großer, rechteckiger Saal gewesen sein, der als Hauptempfangsraum/Bankettraum des Komplexes gedient haben könnte (Abb. 4). Bau 2 könnte eine Reihe von Repräsentationsfunktionen gehabt haben. Der zentrale Teil ähnelt der «kompakten» Form der Hauptgebäude in Masada und dem Ersten Winterpalast in Jericho, dem «Palazzo delle colonne » in Ptolemaïs (Kyrenaika) und einigen seleukidischen Gouverneurspalästen, die durch eine geradlinige, geschlossene Architektur, eine Vielzahl kleiner Räume, die oft mit Korridoren verbunden sind, und nur wenige größere Oeci gekennzeichnet sind (Abb. 5). Struktur 9 wäre demzufolge ein Pavillon, der genau an dem Punkt der Topographie Petras liegt, an dem die vom äußeren Siq herkommende Nord-Süd-Achse in eine stärker Ost-West orientierte Achse des Stadtzentrums übergeht (vgl. Abb. 2. 5). Struktur 9 trug daher dazu bei, die Richtungsänderung dieser Hauptachsen visuell abzumildern, indem es einen optisch ansprechenden und sanften Übergang bot, was durch die Gesamtgestaltung des Gebäudes (ein abgeflachter «Tropfen») und seine Marmorverzierung unterstrichen wurde. Da die Verbindung des Gebäudes mit dem Wasser offensichtlich ist, kann das Bauwerk wohl als eine Art Nymphäum interpretiert werden.
Die Bauten an den Südhängen des Hügels weisen massive Substruktionen und künstliche Terrassen auf. Diese Gebäude verdeckten den Hang durch eine Reihe von Fassaden auf verschiedenen Ebenen und spielten eine wichtige Rolle bei der Abgrenzung des Komplexes vom Gesamtbild der Stadt. Struktur 10 könnte eine monumentale Treppe zum Komplex gewesen sein, die mit einem Propylon und den oben erwähnten Fassadengebäuden verbunden war. Zu den Wohn-/ Freizeitgebäuden oder Pavillons gehören die Bauwerke 6 und 4. Bei der zentral gelegenen Struktur 5 könnte es sich um eine erhöhte Plattform für ein Heiligtum unter freiem Himmel gehandelt haben, eine Art semitisches Motab (Kultplattform), das offensichtlich mit viel Wasser versorgt wurde. Dies würde die Neigung der Nabatäer verdeutlichen, modische fremde Einflüsse mit einheimischen Traditionen und symbolischen Bedeutungen zu vermischen.
Mehr als eine «königliche Stadt»
Der Komplex erscheint als einzigartiger Hybrid. Sein Standort und seine Funktion weisen auf eine Verbindung zu den hellenistischen basileia hin. Die räumliche Organisation, die bewusste Inszenierung, eine organische Nutzung der Landschaft, die Betonung des Ausblicks, die Anordnung der Bauten an Hängen oder Felskanten und eine Vielzahl von luxuriösen Bauten, findet sich in einigen hasmonäischen/herodianischen Palästen und spätrepublikanischen/ frühkaiserlichen otium- Bauten wieder. Der Vergleich bezieht sich jedoch eher auf das Konzept als auf die konkrete Gestaltung.
Der gesamte südliche Teil der Stadt, vom Qasr-al-Bint-Tempel bis zum luxuriösen Paradeisos-Garten, wurde bereits als (Teile des) Königspalast(es) vorgeschlagen. Möglicherweise war der Komplex des sog. Großen Tempels (wohl eine königliche Audienz-/Banketthalle) im Zentrum dieses Bereichs als pompösere, «offizielle» Darstellung des nabatäischen Königtums gedacht. Die hypothetische königliche Residenz im Gebiet sollte ebenfalls durch ihre außergewöhnliche Lage und ihr Aussehen beeindrucken, aber die Monumentalität lag eher in der Gesamtentwicklung des Gebiets als in spezifischen Strukturen. Die isolierte Lage deutet auf eine gewisse Abgeschiedenheit und den Wunsch nach Privatsphäre/Sicherheit und entspannte Eleganz hin.
Der Standort und die Anordnung des Palastkomplexes auf dem nordöstlichen Hügel hatten großen Einfluss auf die Entwicklung des gesamten Stadtkonzepts. Zusätzlich zu seiner Dominanz im Stadtgefüge von Petra hätte der Komplex eine klare Botschaft mit Bezug auf die nabatäische Monarchie und ihr kulturelles Erbe sowie ihre Zugehörigkeit vermittelt. Das «Stadtbild» des nabatäischen Petra, das von einer einzigen Straße mit bedeutenden, monumentalen Gebäuden dominiert wird, mag zweifellos auf den Reichtum des Handels anspielen.
Aber es scheint mehr dahinterzustecken als nur ein kommerzieller Erfolg, der sich in einer blühenden Metropole niederschlägt. Wenn Josephus Petra als «königliche Stadt» bezeichnet, dann ist damit offensichtlich mehr gemeint als lediglich eine Stadt, in der ein König residierte und die mit Tempeln, öffentlichen Gebäuden und Palästen geschmückt war. Das nabatäische Petra wird dann eher zu einer physischen Verkörperung des nabatäischen Königtums, das im Kontext der politischen und kulturellen Bestrebungen der Nabatäer als ein Vorzeigeobjekt der Hellenisierung zu sehen ist.