Mittlerweile sind aus Südkaukasus und Osttürkei rund 150 dieser Basaltmonumente bekannt – ihre größte Konzentration auf einem Fundort (12) befindet sich am Tirinkatar, am Südhang des Berges Aragaz. Die Forschenden stießen dort auch auf weitere archäologische Befunde: Steinkreise, Felszeichnungen, temporäre Siedlungsplätze, die auf die Bedeutung des Areals als Siedlungs-, Kult-, und Bestattungsplatz über mehreren Epochen in den letzten 6000 Jahren hindeuten. Die archäologische Fundstelle Tirinkatar (alternativ auch als Karmir Sar bekannt) umfasst eine Gesamtfläche von rund 370 Hektar. Sie wurde 2024 von Armeniens Regierung auf die Tentativliste der Unesco gesetzt: https://whc.unesco.org/en/tentativelists/6702/. Dank der archäologischen Forschungen könnte Tirinkatar künftig als eine der wenigen prähistorischen Stätten für die Weltkulturerbe-Liste nominiert werden.
„Seitens Armeniens handelt es sich – trotz vielen anderen während der letzten 30 Jahren entdeckten und erforschten Fundstellen und Monumenten – um den ersten Vorschlag seit 1996, was vor allem der Einzigartigkeit der Befunde, besonderer Lage der Fundstelle, und der langjährigen Forschung zu verdanken ist“, sagt Archäologe Dr. Pavol Hnila vom Institut für Altorientalistik der Freien Universität Berlin und Co-Direktor der Ausgrabungen am Tirinkatar.
Drachensteine nicht nur in Armenien verbreitet
Auf 2850 Meter über dem Meeresspiegel wurde am Tirinkatar, der am Aragaz und damit dem höchsten Berg Armeniens liegt, die größte Konzentration der rätselhaften „Drachensteine“ entdeckt. Anders als ihr Name – der auf armenische Legenden zurückzuführen ist – vermuten lässt, stellen diese Basaltstelen keine Drachen, sondern entweder Fische oder Widderfelle oder an wenigen Orten sogar ihre Kombination dar. Solche „Drachensteine“ sind gleichwohl nicht nur in Armenien, sondern auch in Südgeorgien und in der Osttürkei verbreitet. Durch ihre Anzahl und die zusammenhängenden archäologischen Kontexte gelten die Stelen von Tirinkatar aber als einmalig. Tirinkatar ist bis jetzt zudem die einzige archäologische Fundstelle, wo die Drachensteine in ihrem ursprünglichen Kontext systematisch ausgegraben worden sind.
Die Wissenschaft geht davon aus, dass die Bedeutung der Vischaps im Bereich der religiösen, mit Wasser verbundenen Vorstellungen und Praktiken zu suchen ist. Die konkreten Hintergründe ihrer Entstehung sind bislang allerdings unbekannt.
Bei der Datierung des Stelenfelds gelang dem Forschungsteam nach beinahe zehn Jahren Arbeit dagegen ein Durchbruch: „Die Vischaps wurden bereits vor rund 6000 Jahren hergestellt, was sie zu den ältesten Beispielen der monumentalen Kunst im ganzen Kaukasus macht. Tirinkatar ist somit ein außergewöhnliches Zeugnis für komplexe religiöse Traditionen, sowie auch für die Besiedlung und kulturelle Entwicklung des Hochgebirges in prähistorischer Zeit“, erläutert Pavol Hnila.
Neben den „Drachensteinen“ liefert Tirinkatar zahlreiche Hinweise auf Kult-, Bestattungs-, und Siedlungsaktivitäten, die von der Moderne bis in die Steinzeit zurückgehen und somit die menschliche Nutzung des Hochgebirges im Südkaukasus mannigfaltig repräsentieren. Interessanterweise aber fehlt aus einigen Zeitperioden bis jetzt jegliche Spur. Gerade die am Tirinkatar festgestellten Wechsel bei den menschlichen Interaktionen mit dem Hochgebirge und ihre mögliche Korrelation mit Klimaänderungen stehen derzeit im Fokus des von der DFG geförderten und an der Freien Universität Berlin angesiedelten Projektes „Hochgebirge als Kulturlandschaft: Untersuchungen zur Verflechtung von Pastoralismus, Kult und Klimawandel im prähistorischen Armenien“, das von Pavol Hnila geleitet wird.
Meldung der FU Berlin