Für ihre fortschrittliche Segeltechnologie bekannt, erreichten die polynesischen Inselbewohner die entlegensten Inseln des Planeten Jahrhunderte bevor die Europäer Amerika erreichten. Sie migrierten zunächst ostwärts, was durch archäologische Funde gut belegt ist, und besiedelten dann praktisch alle Pazifikinseln von Samoa und Tonga bis Rapa Nui (Osterinsel) im Osten, Hawai’i im Norden und Aotearoa (Neuseeland) im Süden. Über die polynesischen Migrationen westlich des 180. Längengrades ist bisher jedoch wenig bekannt.
Um besser zu verstehen, welche Verbindungen und Kontakte zwischen den west-polynesischen Gesellschaften und den anderen Inselbewohnern des westlichen Pazifikraums in der Vergangenheit existierten, analysierte ein multidisziplinäres Forschungsteam die geochemischen Signaturen von Steinartefakten, die zwischen 1978 und 2019 auf Vanuatu, den Salomonen- und den Karolineninseln gesammelt wurden. Unter der Leitung von Forschenden des Centre National de la Recherche Scientifique konnte das Team den geologischen Ursprung dieser Artefakte ermitteln, indem es ihre geochemische und isotopische Zusammensetzung mit Referenzdatensätzen natürlicher Gesteine und archäologischer Steinbrüche in der Region verglich.
Verbindung zum Zentrum Polynesiens
Von den acht analysierten Adzen oder Adzenfragmenten – das sind vielseitig einsetzbare Schneidewerkzeuge, vergleichbar mit einer Axt – stammen sechs aus demselben Steinbruchkomplex (Tatagamatau) auf der Insel Tutuila (Amerikanisch-Samoa), die mehr als 2500 Kilometer vom Zentrum Polynesiens entfernt liegt. „Die Tatagamatau-Adzen gehörten zu den am weitesten verbreiteten Gegenständen in West- und Ostpolynesien. Die Herkunft der Taumako- und Émaé-Adzen deutet auf eine Mobilität in Richtung der polynesischen Inseln des Westpazifikraums hin, ähnlich der, die zur Besiedlung Ostpolynesiens geführt hatte“, sagt Erstautor Aymeric Hermann, Forscher am Centre National de la Recherche Scientifique und assoziierter Forscher in der Abteilung für Sprach- und Kulturevolution am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Hermann weist darauf hin, dass die Mitnahme solcher wertvollen Nutzgegenstände, die in polynesischen Häuptlingsfamilien oft über Generationen hinweg weitergegeben werden, eher auf sorgfältig geplante Reisen als auf zufällige Landungen schließen lässt.
Die geochemische Untersuchung von Steinartefakten, die von den polynesischen Inselgruppen im Westpazifik stammen, belegt Kontakte zwischen Polynesiern und ihren Nachbarn – insbesondere Kontakte zwischen den Banks-Inseln und Zentral-Vanuatu sowie zwischen den Bismarck- und den Karolineninseln. Polynesische Seefahrer scheinen bei der Herstellung solcher Kontakte eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Sie legten zu See große Entfernungen zurück und führten Kulturgegenstände und Technologien wie Muscheladzen, Webstühle und Obsidianspitzen mit. „Eine kürzlich erschienene Studie beschreibt eine Obsidianspitze, die auf der Kapingamarangi-Insel gefunden wurde und deren geochemische Signatur mit einer Obsidianquelle auf der Lou-Insel auf den Admiralitätsinseln übereinstimmt. Ein interessanter Fund, dem sich auch unser Fund eines Basaltsplitters auf demselben Atoll anschließt, der auf dem Festland Neubritanniens seinen Ursprung hatte“, fügt Hermann hinzu.
Langstrecken-Mobilität in der Vergangenheit
Im pazifischen Raum hat sich die geochemische Herkunftsbestimmung als besonders erfolgreich erwiesen, wenn es darum geht, Quellen von Steinartefakten zu lokalisieren und den Transport bestimmter Gegenstände über weit entfernte Inseln und Archipele hinweg zu verfolgen. Solche materiellen Belege für Mobilität zwischen den Pazifikinseln zeigen, dass die Bewohner der pazifischen Inseln nie vollständig voneinander isoliert waren. Diese Interaktionsmuster sind von zentraler Bedeutung für unser Verständnis der eng miteinander verknüpften Geschichte der kulturellen Systeme im Pazifikraum.
In dieser Studie wurden mit Hilfe der Atomemissionsspektroskopie und der Massenspektrometrie die Konzentrationen von Oxiden, Spurenelementen und die Verhältnisse radiogener Isotope gemessen, um die geologische Herkunft der untersuchten Gegenstände mit einer hohen Genauigkeit zu bestimmen. Die Zusammenarbeit von Expertinnen und Experten aus den Bereichen Archäologie, Geochemie und Data Science ermöglichte die Entwicklung eines innovativen Ansatzes zur geochemischen Herkunftsbestimmung, der auch computergestützte Vergleiche mit offen zugänglichen Datenbanken einschließt.
Nach Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie
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