Interview mit Joachim Negel Gott ist Freundschaft

Kann man mit Gott befreundet sein? Nicht einmal die Bibel ist sich in dieser Fragestellung ganz sicher. Für den Fundamentaltheologen Joachim Negel ist das Grund genug, sich einmal aus theologischer Perspektive dem Thema zu nähern.

Freundschaft

Warum ist Freundschaft ein Thema für die Theologie?
Joachim Negel: Theologie ist nicht einfach eine akademische Wissenschaft, sondern will das, was Bibel und christliche Tradition als Gottesbeziehung ausbuchstabieren, in unser Leben übertragen. Freundschaft ist zunächst einmal ein durch und durch elementares Lebensthema. Kein Mensch kann ohne Freunde sein. Das Merkwürdige ist, dass es eine ganze Reihe von Traditionen gibt – insbesondere in der Mystik –, die behaupten, man könne mit Gott befreundet sein. Das ist vielleicht der steilste Satz, den die christliche Tradition anzubieten hat: Dass Gott dem Menschen so nahe gekommen sei, dass er sich ihm zum Freund mache. Dagegen sprechen jedoch viele Gegenerfahrungen, wie sie nicht zuletzt auch in einem berühmten Satz des Aristoteles ihren Ausdruck gefunden haben: „Ist aber der Abstand zu groß, wie bei der Gottheit, kann eine Freundschaft nicht sein“. Also: Wie kann man mit Gott befreundet sein? Die Bibel behauptet es, sagt aber zugleich, wie schwierig es ist. Im Buch Exodus, im 33. Kapitel, fällt der Satz: „Der Herr und Mose redeten miteinander von Angesicht zu Angesicht, wie einer mit seinem Freund spricht.“ Aber nur wenige Verse später erklärt dieselbe Bibel das Gegenteil. Dort sagt Gott zu Mose: „Du kannst mein Angesicht nicht schauen; denn kein Mensch kann mich schauen und am Leben bleiben.“ Wie kann man mit jenem Urgrund, der alles trägt und hält und unterfängt, befreundet sein, so wie man mit seinen Freunden befreundet ist? Diese Frage ist unter anderem Gegenstand meines Buches.

Was war für Sie die überraschendste Erkenntnis bei der Beschäftigung mit dem Thema?
Joachim Negel: Zunächst einmal gibt es ein riesiges Feld an Freundschaftsphänomenen, das zu beschreiben unheimlich interessant ist! Aber immer mehr läuft meine Beschäftigung natürlich auf die religiöse Frage zu. Der einsame Spitzensatz im Neuen Testament, im ersten Johannesbrief, Kapitel 4, „Gott ist die Liebe“ wird in der mystischen Tradition des Mittelalters mit „Deus amicitia est“ übersetzt: „Gott ist Freundschaft.“ Nicht Gott ist Freund, sondern Gott ist Freundschaft. Das heißt, Gott ist in sich selber Beziehung. Das wird dann auch trinitätstheologisch ausbuchstabiert. Trinität, Dreifaltigkeit, ist für die meisten Leute ja ein großes Buch mit sieben Siegeln. Aber wenn man sich anschaut, dass das, was Freundschaft ist, so etwas wie eine Atmosphäre der Bewillkommnung, der Gastfreiheit, der Gastfreundschaft darstellt, dann merkt man, dass Gott vielleicht gar kein so unmittelbar ansprechbares Du ist. Vielleicht ist Gott eher so etwas wie ein Raum der Freundschaft, und dann wäre man nicht nur bei der Trinitätstheologie, sondern buchstäblich bei einer mystischen Erfahrung von Gottesnähe angelangt. Man fühlt sich im Leben bewillkommnet, gut geheißen, eingeladen, und all diese Erfahrungen solcher Resonanz sind analoge Erfahrungen von Freundschaft. Und die haben – so sagt es zumindest die christliche Tradition und so bezeugen es viele Mystiker – elementar mit dem zu tun, was man Freundschaft nennt.

Was ist Ihr Fazit: Kann man mit Gott befreundet sein?
Joachim Negel: Man kann mit Gott sicherlich nicht so befreundet sein, wie man unmittelbar mit seinen Freunden befreundet ist. Thomas von Aquin, der große Theologe des Mittelalters, sagt, die wechselseitige Liebe des Menschen zu Gott und Gottes zum Menschen sei „eine Art Freundschaft“. Zuletzt klafft dann doch ein Abgrund zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf, der auch mit aller analogen, metaphorischen, symbolischen Rede nicht überdeckt werden kann. Das Leben kann sich mir freundlich darstellen und darin leuchtet dann etwas von jenem Urgrund aller Wirklichkeit auf, der mich bewillkommnet. Indem ich mich in diese positive Atmosphäre hineingebe und auf sie reagiere, realisieren sich freundschaftsanaloge Erfahrungen. Diese sind dann auch religiös bedeutsam und stimulieren meine Freundschaften zu denen, die mir nahe sind. Von daher kann man vielleicht folgendes sagen: Der dreifaltige Gott als Raum der Freundschaft von Ewigem Vater und Ewigem Sohn im Heiligen Geist ist der Ermöglichungsgrund von Freundschaft zwischen den Menschen.

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