Abendmahl

Seit M. Luther 1522 ist Abendmahl der auf evangelischen Seite beliebteste Begriff für jenen Gottesdienst der christlichen Gemeinde, der ausdrücklich auf das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern („Letztes Abendmahl“) zurückgeführt wird. Das Wort Abendmahl gilt dafür in römisch-katholischer und orthodoxer Sicht als wenig geeignet, weil „Mahl“ das Gottesdienstgeschehen einenge und „Abend“ den Zeitpunkt der Feier zu bestimmt benenne, auch weil Abendmahl missverständlich nur die Vergegenwärtigung des letzten Mahles Jesu meinen könne.

Biblische Zeugnisse

Eigenart der ältesten Berichte

Die im NT enthaltenen Abendmahlsberichte gelten in allen christlichen Kirchen als historische und theologische Grundlagen des Abendmahlsgottesdienstes. Historische Berichte im Sinn der heutigen Geschichtswissenschaft sind sie allerdings nicht; der früher übliche, auch juristisch geprägte Begriff „Einsetzungsberichte“ wird immer mehr aufgegeben. Die Abendmahlsberichte setzen die frühe christliche Liturgie, das Zusammenkommen „im Namen Jesu“, im Glauben an seine neue, wirkliche Gegenwart, in der Erinnerung an sein Leben und Sterben und an die Wahrnehmungen des aus dem Tod auferweckten Jesus, in der Erfahrung lebendiger Gemeinschaft mit ihm, im Vorausblick auf bleibendes Zusammensein mit ihm voraus. Sie wollen offenkundig der konkreten Gestaltung und dem Verständnis der Liturgie dienen (der literarischen Gattung nach sind sie wohl Kult – Ätiologien).

Die Berichte erzählen von dem letzten Mahl, das Jesus am Abend vor seinem Tod mit seinem engeren Jüngerkreis hielt. Sie lassen den Unterschied zu anderen Mahlzeiten mit Jesus darin erkennen, dass Jesus – wenigstens in einer sicheren Vorahnung von seinem bevorstehenden gewaltsamen Sterben – hier seinen Tod deutete. Dass Jesus dieses Mahl als jüdische Tischliturgie gestaltete, darf als sicher gelten. Nach den Berichten hat er das Brechen und Überreichen des Brotes sowie das Reichen des Segensbechers mit deutenden Worten verbunden. In ihrem Kernbestand dürfen diese als historisch sicher gelten, wenn sie auch nicht mehr genau rekonstruierbar sind. Möglicherweise lauteten sie bei der Brotgabe: „Dies (ist) mein Leib“, bei der Bechergabe: „Dieser Becher (ist) mein Blut für viele“ (was allerdings die Frage aufwirft, ob der Jude Jesus damit wirklich Blutgenuss gemeint habe). Das Becherwort könnte aber eher, nach der älteren Überlieferung, gelautet haben: „Dieser Becher ist mein Blut des Bundes“. „Leib“ meint die ganze konkrete Person, für die Jesus hier eine neue Gegenwartsweise ankündigt. Das Becherwort mit der Betonung des Bundes würde zur Erneuerung des Bundes beim gemeinsamen Trinken aufrufen. Bei der Betonung des Blutes dagegen würde die Erinnerung dem gewaltsamen Tod Jesu gelten: wie sein Leben, so solle auch sein Sterben „vielen“, gerade auch den vor Gott an seinem Tod Schuldiggewordenen, zugute kommen. Mit dem Vorausblick auf den Tod war, wie die meisten Exegeten annehmen, eine Äußerung der Zuversicht, nämlich auf das Leben über den Tod hinaus im Hinblick auf das, wofür Jesus lebte und starb, die Herrschaft Gottes, verbunden.

Spätere Interpretationen

In ihrem heutigen Wortlaut enthalten die Abendmahlsberichte weitere religiös-theologische Ausdeutungen. Die älteren Berichte Mk 14, 22–25 und 1 Kor 11, 23–26 sind nach heutiger Ansicht voneinander unabhängige Überlieferungsformen einer nicht erhaltenen Urfassung. Ob Jesu letztes Mahl ein Pesachmahl (jüdisch auch „seder“) war, wie die synoptischen Evangelien im Unterschied zu Joh (18, 28; 19, 14) sagen, lässt sich historisch wohl nicht aufhellen. Die spätere, nicht auf Jesus zurückgehende Pesach- Deutung, wonach das jüdische Pesach bloßes Vorausbild des Pascha-Mysteriums Jesu gewesen sei, ist bereits von der erfolgten leidvollen Trennung der Christen- von der Judengemeinde geprägt. Das Becherwort Mk 14, 24 deutet unter Anspielung auf Ex 24, 5–8 den gewaltsamen Tod Jesu als Vermittlung eines „neuen“ Bundes, d. h. als Verwirklichung einer von Gott immerfort angebotenen Erneuerung des Bundes als Ort der Vergebung und Versöhnung. Es versteht Jesus als den Knecht Gottes, der als Bundesmittler (vgl. Jes 42, 6; 49, 8; 53, 11) die Sünde „der vielen“, d. h. aller, trug und vor Gott für die Schuldigen eintrat. Es handelt sich um eine Version der frühchristlichen Soteriologie.

Anamnese-Auftrag

Paulus betont ebenso wie Lk in hellenistischer Sprachgestalt eine Aufforderung Jesu, „dies“ im Andenken an Jesus zu wiederholen. Für Paulus sind ferner von Bedeutung: Die Verkündigung des Todes Jesu bei jeder dieser Feiern, der ekklesiologische Charakter (Konstitution des kirchlichen Leibes Jesu Christi durch Teilhabe an den eucharistischen Gaben: 1 Kor 10, 17) sowie das ethisch-soziale Verhalten der Teilnehmer (1 Kor 11, 28).

Taufe und Abendmahl (Eucharistie) sind die schon im NT bestens bezeugten Sakramente (liturgische Symbolhandlungen). Die Eucharistie heißt auch „Brotbrechen „ (Apg 2, 46; 20, 7 11; 1 Kor 10, 16) oder „Herrenmahl“ (1 Kor 11, 20). Wohl vom Segensgebet der jüdischen Tischliturgie (hebräisch „beraka“, griechisch „eucharistia“) her erhält die Abendmahlsfeier von den Apostolischen Vätern des 2. Jh. an den Namen „Eucharistie“ = Danksagung.

Zur katholischen Theologie und Lehrentwicklung

Die Einsprüche der Reformatoren bezogen sich auf die katholische Auffassung vom Messopfer, insbesondere auf das Verständnis des Sühneopfers (Opfer) und die ausschließliche Bevollmächtigung des Amtspriesters zu dessen Feier, auf die theologische Interpretation der wahren Gegenwart Jesu Christi in diesem Sakrament (Transsubstantiation), auf die katholischen Konsequenzen aus diesem Verständnis (Kommunion außerhalb der Messe, eucharistische Andachten und Prozessionen) sowie auf die faktische, bis zum II. Vaticanum bestehende Verweigerung des Kelchs gegenüber den Laien. Von einer einheitlichen Auffassung der Reformatoren hinsichtlich des Abendmahl kann jedoch keine Rede sein.

Für M. Luther († 1546) war die reale Gegenwart des gekreuzigten und auferweckten Jesus in der Abendmahlsfeier von fundamentaler Bedeutung. Die irdische Materie Brot und Wein wird für ihn mit der himmlischen Materie Leib und Blut Jesu Christi sakramental geeint (so real-objektiv, dass auch Ungläubige ihn in der Kommunion zu sich nehmen würden: „manducatio oralis et impiorum“). Für Luther war das möglich, weil er die menschliche Natur Jesu Christi für allgegenwärtig hielt (Ubiquitätslehre). Das Ziel der Abendmahlsfeier als Mahlgemeinschaft ist für ihn die Liebesgemeinschaft der Glaubenden mit dem erhöhten Herrn.

J. Calvin († 1564) sah in Luthers Auffassung von der realen Gegenwart Jesu Christi unter der Gestalt des Brotes und Weines eine zu große Verdinglichung. Grundlage seiner Gegenposition war sein Glaube, dass die menschliche Natur Jesu orthaft an den Himmel gebunden sei, so dass an die Stelle ihres Kommens die Erhebung der menschlichen Herzen zu ihr in den Himmel treten müsste, bewirkt durch die Vermittlung des Hl. Geistes. Den Abendmahlsempfang verstand er als geistliche Speise der Menschenseele. Zweifellos hielt er an einer Realpräsenz Jesu Christi im Abendmahl fest, doch wird seine Sicht mit Recht als Lehre von der realen Spiritualpräsenz bezeichnet.

H. Zwingli († 1531) und andere Reformatoren deuteten Brot und Wein im Abendmahl als bloße Symbole der geistigen Gegenwart Jesu; das Geschehen bestand für sie in einem gemeinschaftlichen Gedenken des Todes Jesu, verbunden mit dem Bekenntnis des Glaubens der Feiernden.

Bis ins 20. Jh. waren die Lehr- und Glaubensunterschiede hinsichtlich des Abendmahl so groß, dass zwischen den aus der Reformation hervorgegangenen lutherischen und reformierten Kirchen eine Abendmahlsgemeinschaft nicht möglich war. Auch nach deren Einführung und dem Verzicht auf Kontroversen bleibt ein Unterschied in der praktischen Wertschätzung des Abendmahl bestehen. Die Basis der Abendmahlsgemeinschaft („Leuenberger Konkordie“ zwischen den lutherischen und reformierten Kirchen Europas 1973) besagt, dass im Abendmahl (wie in der Verkündigung des Evangeliums) reale Begegnung mit Jesus Christus, der gegenwärtig ist kraft des Heiligen Geistes, geschieht und dass es sich dabei um die Gegenwart des ganzen Christus „in, mit und unter“ den Gaben von Brot und Wein handelt. Neuere theologische Überlegungen (unter Beteiligung der Anglikaner, der Kirchen der Dritten Welt und der Freikirchen) haben sich von den orthodoxen Ostkirchen durch eine neue Beachtung der Anamnese und Epiklese beeinflussen lassen; ferner haben sie den gemeinschaftsbildenden Charakter der Abendmahlsfeier wieder entdeckt und deren Zusammenhang mit sozialen Aufgaben (Befreiung, Verantwortung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung) reflektiert.

Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder

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