Kurzpredigt am 19. Oktober 2025Gerecht aus Glauben oder Werken?

18. Sonntag nach Trinitatis: Jakobus 2,14–26

Glaube u n d Moral

Ein älterer Herr spricht mich an, der aus der Türkei stammende Besitzer des Spieleparadieses, das wir mit einer Vater-Kind-Rüstzeit besuchen: „Wir sind uns doch einig, wir Gläubigen, wir sind gegen Mörder, Säufer und Hurer.“ Etwas massiv, denke ich, aber so ganz unrecht hat mein wohl muslimischer Gesprächspartner nicht. Es gibt oder sollte wenigstens geben eine Art moralischen Grundkonsens der Religionen, der Ehrfurcht und Respekt vor dem Leben, dem eigenen und dem anderer, lehrt und lebt. Man kann die zehn Gebote so verstehen.
Natürlich hat Religion mit Moral zu tun, christlicher Glaube mit dem Leben. Schrecklich, wenn ein gläubiger und frommer Mensch unverantwortlich, auf Moral und Verhalten nicht ansprechbar, leben würde. Wie sagte einmal unsere Haushaltshilfe in meinem durchaus frommen Heimatort, und eine gewisse Bitterkeit war nicht zu überhören: „Zur Kirche rennen am Sonntag, das können sie. Aber wenn man mal Hilfe braucht, dann haben sie keine Zeit.“
Mir ist ein Zitat im Ohr aus der Biografie eines jüdischen Jungen aus Österreich, der kurz vor dem Zweiten Weltkrieg nach Schweden ausreisen durfte auf Einladung der schwedischen Israelmission. Insgesamt waren es wohl 200 Kinder. Der Direktor der Mission bekam einen Protestbrief eines Kirchenvorstehers: „Was denn dem Herrn Direktor wohl einfiele, Tür und Tor für Einwanderung zu öffnen und Schweden und Schwedinnen die Arbeitsplätze zu rauben? Er sei 34 Jahre Kirchenvorsteher, und das sei nun zu viel.“ Der Direktor antwortete: „Wie schade, dass 34 Jahre fleißiges Hören des Wortes Gottes im Gottesdienst so wenig Glauben und tätige Liebe und Gastfreundschaft für verfolgte Menschen geweckt haben.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Glaube ohne Werke der Liebe kann kein rechter Glaube sein.
Wie sagt der Apostel Paulus noch im Galaterbrief: „In Christus Jesus gilt … der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ (5,6)

Jakobus gegen Paulus?

Man sollte denken, dass Paulus dann keine Probleme mit dem Jakobusbrief hätte, und der Jakobusbrief keine mit Paulus: „Was hilft’s, liebe Brüder, wenn jemand sagt, er habe Glauben und hat doch keine Werke? Kann denn der Glaube ihn selig machen? Wenn ein Bruder oder eine Schwester Mangel hätte an Kleidung und an der täglichen Nahrung und jemand unter euch spräche zu ihnen: Geht hin in Frieden, wärmt euch und sättigt euch!, ihr gäbet ihnen aber nicht, was der Leib nötig hat – was könnte ihnen das helfen? So ist auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot in sich selber.“
Jakobus geht dann weiter und spitzt zu: „Ist nicht Abraham unser Vater durch Werke gerecht geworden? … So seht ihr nun, dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glauben allein.“ Hier hört man förmlich heraus, wie der Jakobusbrief gegen den Römerbrief polarisiert, wo das Gegenteil gesagt wird: „So halten wir dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ (Römer 3,28).
So sehr ich dem Jakobusbrief beipflichten möchte gegen alle bigotte Frömmigkeit, die meint, Glaube ohne tatkräftige Liebe leben zu können, so sehr möchte ich ihm im Spitzensatz widersprechen: Ja, der Mensch wird gerecht allein durch Glauben aus Gnade, nicht durch sein Tun und seine Werke.

Gnade und Annahme machen den Glauben

Warum? Ich habe ein Ehepaar miterlebt aus nächster Nähe, und erfahren, wie im Lauf der Jahre beide miteinander zu kämpfen anfingen, den oder die andere an ihren eigenen Erwartungen maßen, die immer weniger zum Partner, zur Partnerin zu passen schienen. Das Fordern eines bestimmten Handelns tötete die Liebe. Irgendwann ging einer von beiden, ließ Frau und Kinder zurück. Da war Erwartung und Forderung gewesen, aber keine Erfahrung mehr von der Art: Schön, dass du da bist, einfach da bist und wir zusammen sind. Da waren nur enttäuschte Erwartungen über das Tun des und der anderen, Verletzungen. Liebe, Glaube und Vertrauen ineinander waren dahin. Glaube hat etwas mit dem Annehmen-können zu tun, einfach annehmen, und mit der Liebe ist es – glaube ich – genauso. Und das ist wichtig für eine Beziehung, eine Partnerschaft, eine Ehe. Es gilt, den oder die andere anzunehmen – einfach so. Insofern ist – glaube ich – auch der Satz: „Für die Liebe in der Ehe musst du etwas tun“ richtig und falsch zugleich. Natürlich kann und soll und wird hoffentlich die Liebe sich auch in Taten zeigen, aber wenn die Liebe nur noch an Erwartungen und Taten gemessen würde, dann wäre es wohl nicht mehr weit her mit ihr. Der Mensch gewinnt seine Würde nicht aus den Werken, so sehr sie Ausdruck seiner Würde sein können, ein Mensch wird nicht zum Menschen durch Arbeit, so sehr Arbeit eine Zierde des Menschen ist. Mensch ist Mensch einfach so, weil Mensch da ist und Gott ihn annimmt.
Wenn Glaube und eine bestimmte Moral identisch wären, dann wäre Glaube nichts als eine Ideologie, die nach Tun und Lassen in richtig und falsch unterscheidet. Dann gäbe es keine Freiheit in Christus, keine Verantwortung von Fall zu Fall.
Glaube drückt sich aus in Taten der Liebe, hoffentlich; aber Taten der Liebe machen nicht den Glauben. Der fußt auf Gnade.

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