Gelassenheit ist nicht Gleichgültigkeit

„Wenn ich alle Schriften durchforsche, so gut meine Vernunft zu ergründen und erkennen vermag, so finde ich nichts anderes als reine Abgeschiedenheit, die aller Kreaturen entledigt ist.“

Meister Eckhart schreibt diese Sätze zu Beginn seines Traktates „Von der Abgeschiedenheit“.

Lassen Sie uns in Gedanken zeitlich weit zurück ins 13. und 14. Jahrhundert und inhaltlich in die Tiefe „mys-tischer Gedanken“ gehen.

Es ist eine Zeit des Umbruchs.

Krisenzeiten waren in der Geschichte immer Zeiten hervorbrechender neuer Gedanken. Papstmacht und Kaisermacht haben sich gegenseitig fast eliminiert.

Der letzte große Stauferkaiser Friedrich II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, König von Jerusalem, war als die große kaiserliche Gestalt des Spätmittelalters 1250 gestorben. Kaiser und Päpste hatten sich gegenseitig als Antichristen bezeichnet. Scheinbar hatten Innozenz III. und Gregor IX. über den gebannten Kaiser gesiegt. Mit Friedrichs Tod beginnt das so genannte Interregnum, die „kaiserlose Zeit“ im Heiligen Römischen Reich, die bis 1273 andauerte.

Doch auch die Macht der Päpste wird erschüttert. Den Gegenkaisern folgen Gegenpäpste und die fast 70-jährige „babylonische Gefangenschaft“ der Päpste in Avignon.

Reich und Kirche bersten.

Dazu kommen Erdbeben, schlimmer Frost, Hunger, Überschwemmungen, Pest und Massentod. Auf dem Höhepunkt des Elends stirbt in nur drei Jahren die Hälfte der Bevölkerung Europas. Es ist der Herbst des Mittelalters.

Und da redet einer, nicht irgendeiner von „Gelassenheit“ (Johannes Tauler), von „Abgeschiedenheit” (Meister Eckhart)!

Ist es nicht meist so, dass wir unseren Absichten und Bildern hinterherhetzen, voll von Erwartungen und damit nicht weniger voll von Enttäuschungen? Eben aber nicht auf Empfang gestellt, nicht leer. So entstehen Machwerke. Kunstwerke entstehen anders.

„Wenn ein Meister ein Bild macht aus Holz oder Stein, so trägt er das Bild nicht in das Holz hinein, sondern er schnitzt die Späne ab, die das Bild verborgen und bedeckt hatten; er gibt dem Holz nichts, sondern er benimmt und gräbt ab, was das Bild verdeckt. Dies ist der Schatz, der verborgen lag im Acker, wie unser Herr im Evangelium spricht.“ (Meister Eckhart)

Absichtslosigkeit.

Der Meister weiß, das Bild ist schon da, bevor ich es aus dem Holz schnitze. Die Gedanken sind da, bevor ich sie denke. Gott ist da, bevor ich ihn suche. Ich bin da, bevor ich mir meiner bewusst werde.

Wir nennen es Gelassenheit. Meister Eckhart nennt es Abgeschiedenheit oder „Ledigsein“. Aller Ablenkung ledig.

Frei von allen Schildern, die auf meinem bemessenen Weg mit Gott und mit dem Leben und mit seinem Sinn so hinderlich und lockend herumstehen:

Geh hierhin! Kauf das! Jenes fehlt dir noch! Sag: Ich will! Dein Nachbar kann, warum du nicht?

Abgeschiedenheit. Unbeweglichkeit.

Ähnliche Gedanken kennen wir aus asiatischen Religionen.

Ich habe sie auf vielen Reisen an ihrem Ursprung besucht und habe die westliche Faszination vielleicht dabei etwas abgelegt. Es ist ein hartes Leben.

Es ist äußerster Gehorsam. Es ist äußerste Disziplin, zu der ich nicht fähig bin. Es ist äußerstes Vertrauen. Es ist äußerste Demut.

Über Disziplin, über Liebe und Gehorsam, über äußerste Enthaltsamkeit und äußerste Demut stellt Meister Eckhart die Abgeschiedenheit. Das gänzliche Loslassen, Sein-lassen.

1326 wird ein Verfahren der Inquisition gegen Meister Eckhart eingeleitet.

Er war allerdings eher ein an seiner Kirche Leidender als einer, der seiner Kirche Leiden zufügen wollte.

Er ragte heraus. Und das in Krisenzeiten. Wie später dieses Mönchlein Martin Luther die Spitze eines Eisbergs war.

Die Päpste und viele Obere der Kirche hatten doch alles andere als Abgeschiedenheit im Sinn. Waren alles andere als gelassen den gesellschaftlichen Entwicklungen begegnet, ja, sie hatten sie oft genug schändlich ausgenutzt. Geld und Frauen, Ländereien und Künstler, Lehre und Lehrer.

Meister Eckhart wurde 1329 verurteilt. Von den insgesamt rund 150 verdächtigen Aussagen, welche die Anklage in Köln zusammengestellt hatte, blieben 28 übrig, die von der Kommission als verwerflich eingestuft wurden.

Und doch blieb über Jahrhunderte Meister Eckhart für die Leitung der Kirche ein „von der Wahrheit abgekehrter, durch den Teufel verführter, irregeleiteter und das einfach Volk verführender Mensch“. (Wehr, Meister Eckhart, Hamburg 2008, S. 45)

Wir müssen von anderen Dingen lassen
als Meister Eckhart und Johannes Tauler.
Wir gehen dabei nicht fremd.
Eher, dass wir dahin finden, wo wir herkommen.
Aber nicht, um die zu bleiben, die wir waren.
Sondern um neue Menschen zu werden,
die nicht nur sich selbst, sondern anderen Gutes tun.

Abgeschiedenheit, wie sie Tauler und Eckhart wollten, ist nicht Gleichgültigkeit.

Gleichgültigkeit ist eine der schlimmsten Sünden
unserer Zeit.

Es ist die Kunst unserer Zeit,
Gelassenheit
und Gleichgültigkeit
zu unterscheiden.

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