Brauchen Kinder Gott?

Viele Eltern glauben nicht an Gott oder sind zumindest unsicher in religiösen Fragen. Aber was ist mit den Kindern? Haben sie ein Recht auf Religion? Und wie können Eltern etwas vermitteln, bei dem sie selbst Zweifel haben?

Brauchen Kinder Gott?
"Mama, wer wohnt eigentlich in der Kirche?" - Kindern auf religiöse Fragen antworten, fällt manchen Eltern schwer © Pixabay

Der Mond ist aufgegangen ist ein schönes Lied. Viele Kinder mögen es, viele Eltern auch. Wenn da nur nicht diese eigentlich besonders schöne letzte Strophe wäre, die mit dem guten Wunsch eines ruhigen Schlafs für einen selbst und den kranken Nachbarn endet. „Verschon uns Gott mit Strafen“, heißt es dort – es soll nicht wenige Eltern geben, die sich über diese Zeile offensiv hinwegnuscheln. Wegen der Strafen, aber auch wegen Gott. Denn wenn das Kind da nachfragt, wird es kompliziert.

Religion ist heute kein selbstverständlicher Teil des Lebens mehr, den man nicht zu erklären bräuchte. Das ist ein Gewinn an Freiheit, macht die Sache aber nicht gerade einfacher. Viele Eltern tun sich schwer, mit ihren Kindern über religiöse Fragen zu reden, auch weil es kaum möglich ist, irgendwie „neutral“ über das Thema zu sprechen: Es berührt die eigene Haltung zur Religion – und über die sind sich viele Eltern selbst unsicher. Trotzdem kommt man irgendwann nicht mehr drumherum, zu vielfältig sind im Alltag die Gelegenheiten, dem Thema zu begegnen. Und schon sind sie da, die harmlosen Kinderfragen: Wer wohnt eigentlich in der Kirche? Warum hängt der Mann da? Wo ist der tote Hund jetzt? Viele Eltern beginnen dann zu überlegen, was sie zum Thema Religion sagen wollen und können. Leicht fällt die Antwort meist noch, wenn es um kulturelles Wissen geht, das ja auch Kindergarten und Schule vermitteln: Die wenigsten Eltern bestreiten, dass die Grundzüge der Weltreligionen zur Allgemeinbildung gehören sollten. Ohne sie wären große Bereiche von Kunst und Kultur nur schwer zu verstehen. „Kulturelles Kapital“ nennen Soziologen das ganz nüchtern; dazu gehören ein Grundwissen über Religion genauso wie Shakespeare-Texte oder Beatles-Songs. Idealerweise dient all das auch noch der Persönlichkeitsentwicklung und macht Spaß.

Recht auf Religion?

Nur beantwortet der Bildungskanon noch nicht die Fragen nach Gott und dem toten Hund. Brauchen Kinder Religion, wie ein Buchtitel behauptet, haben sie vielleicht sogar ein Recht darauf? „Ich würde erst mal fragen, was wir unter Religion verstehen“, sagt Dirk Oesselmann, Religionspädagoge an der Evangelischen Hochschule in Freiburg. Vom Wort her bedeute Religion „Rückbindung“, und zwar an die Grundfragen des Lebens.

„Schon in frühen Jahren machen Kinder scharfe Beobachtungen und stellen solche Fragen“, sagt Oesselmann. Zum Beispiel, wenn sie nach Gründen suchen, warum der Freund so viel besser Fußball spielen kann. Oder warum die Oma krank ist. „Oder ein Kind stellt sich Fragen nach dem Woher und Warum, etwa wenn es sich ganz tiefgehend freut“, ergänzt der Religionspädagoge. „Kinder haben ein Recht darauf, in diesen Fragen und Beobachtungen ernst genommen und begleitet zu werden.“

Wie Eltern das machen und welche Rolle die Religion dabei spielt, müssen und dürfen sie selbst entscheiden. Albert Biesinger, Religionspädagoge an der Universität Tübingen und Autor des Klassikers Kinder nicht um Gott betrügen, fordert Eltern auf, ihre Kinder nicht „religiös im Regen stehen (zu) lassen“. Kinder bräuchten Unterstützung und Begleitung in religiösen Fragen, „so gewinnen sie einen weiten Horizont“. Wichtig sei aber auch, den Kindern nichts vorzuspielen, meint Dirk Oesselmann. „Eltern können ruhig sagen, dass sie etwas selbst nicht so genau wissen. Damit können Kinder umgehen.“

Kinder lieben Geschichten, und davon gibt es in den Religionen viele. Sie können eine Form sein, in der Kinder sich mit Lebensfragen beschäftigen, so wie zum Beispiel Märchen auch. „Ob eine Geschichte christlich oder muslimisch ist, ob es einen Gott oder mehrere gibt – das muss mit Kindern nicht ausführlich diskutiert werden“, sagt Oesselmann. Wichtig ist in seinen Augen, worum es im Kern der Geschichten geht: Sankt Martin teilt mit dem frierenden Bettler, der barmherzige Samariter hilft dem Verletzten. „Geschichten können helfen, weil sich Kinder darin wiedererkennen“, sagt Oesselmann. „Dafür müssen sie nachvollziehbar und offen sein. Und es muss deutlich werden, dass die Menschen in den Geschichten oft auf der Suche oder überfordert sind – und doch aufgehoben.“

Angst und Druck sind tabu

Wichtig sei die Beschäftigung mit den Grundfragen, nicht aber, ein Kind strikt den Normen einer Konfession zu unterwerfen. „Was nicht geht, ist Kinder zu manipulieren und zu sagen: ‚Du musst jetzt an Gott glauben‘“, warnt Albert Biesinger. Gott dürfe auch nicht instrumentalisiert werden, um bestimmte Erziehungsziele zu erreichen, sagt Dirk Oesselmann: „Sätze wie ‚Gott wird böse, wenn du den Müll nicht rausbringst‘, finde ich sehr problematisch.“

Albert Biesinger ermutigt Eltern, die sich gemeinsam mit ihren Kindern mit Religion beschäftigen wollen, „die Angst zu verlieren, es nicht zu können.“ Eine religiöse Erziehung solle „alltagstauglich und geerdet“ sein. Als Anregung nennt er drei Rituale: Einen Morgensegen „als Beschützungsritual“, einen gemeinsamen Dank vor dem Essen und vor dem Schlafengehen ein Gespräch darüber, was schön war am Tag, und was nicht so schön: „Es ist sehr rührend, was Kinder da erzählen.“

Rituale können eine Möglichkeit sein, „Dinge auf den Punkt zu bringen“, sagt auch Dirk Oesselmann. Das kann die Beerdigung eines toten Vogels genauso wie der Morgenkreis in der Kita oder ein jahreszeitliches Fest sein. Die Zweifel der Eltern beseitigt das zwar nicht. Aber das muss vielleicht auch gar nicht sein. Wichtig sei „die Begleitung der Kinder auf der Suche“, sagt Oesselmann. Und eine Suche ist immer offen für unterschiedliche Antworten.

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