Nietzsche und das ChristentumUnbequemer Gesprächspartner

Für die Theologie ist Friedrich Nietzsche kein bequemer Gesprächspartner, resümiert die Theologin und Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Christiane Tietz, am Ende ihrer Biografie über den berühmten Religionskritiker. Neu ist diese Erkenntnis sicherlich nicht, fordert der Philosoph mit dem berühmten Ausspruch seines Zarathustra vom Tod Gottes die Theologie doch seit gut 140 Jahren heraus.

Tietz legt den Schwerpunkt ihres Werkes jedoch weniger auf die von Nietzsche vorgebrachte Religionskritik, sondern versucht, dessen Überlegungen im Kontext seiner Biografie zu verorten. Dabei vertritt sie die These, der Philosoph habe – wie es der Untertitel des Buches anklingen lässt – sein Leben lang im „Bann des Christentums“ gestanden und sein Denken entsprechend ausgerichtet. Die evangelische Theologin zeichnet dafür zunächst anhand biografischer Daten nach, wie Nietzsche in seiner Kindheit als Sohn eines evangelischen Pfarrers geprägt wurde und der frühe Tod des Vaters sein Nachdenken über Gott prägte, wie ambivalent er seine Ausbildung an einer Klosterschule wahrgenommen hat und inwiefern inhaltliche Debatten ihn das zunächst eingeschlagene Theologiestudium aufgeben ließen. Dabei richtet die Autorin den Blick auch auf Nietzsches Überlegungen zur Kunst und auf seine von Martin Luther geprägte Sprache. Immer wieder zeigt sie auf, wie der große Religionskritiker seine Kenntnis von Bibel und Frömmigkeitstraditionen durch Aufgreifen und Abwandlungen in seinen Werken unter Beweis stellt. Nach Tietz’ Darstellung hat sich Nietzsche sein Leben lang am Christentum abgearbeitet – auch sein Konzept vom Übermenschen ist demnach die konsequente Aufgabe der christlichen Nächstenliebe und der Mitmenschlichkeit.

Im Epilog skizziert Tietz die für heutige theologische Diskurse spannendsten Fragen an die Auseinandersetzung mit Nietzsche – etwa jene, wie viel der eigene Glaube mit Gewöhnung zu tun hat –, deren eigene Antworten sie dann aber nur grob zu umreißen vermag. Hier wünscht man sich einen zweiten Band, der genau diese so relevanten Überhangfragen aufgreift und debattiert. Annika Schmitz

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Christiane Tietz

C. H. Beck, München 2025, 249 S., 28,00 € (D)