Auf Eseltrekkingtour
Es war ein schöner Tag, ideal für eine mehrstündige Eseltrekkingtour, bei der die Teilnehmer die Tiere führen. Meine sechs Esel und ich standen auf dem Paddock, einem umzäunten Platz vor der Stalltür, und warteten auf unsere Gäste. Pünktlich fuhr ein Kleinbus auf den Hof. Sechs junge Männer mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen entstiegen dem Fahrzeug, gefolgt von ihren Begleitern. Ein gut gelauntes „Hallo“ von allen Seiten, freundliche Gesichter und erwartungsvolle Stimmung, bis auf einen jungen autistischen Mann, dem ich hier den Namen Matteo geben möchte. Sein Gesicht war ernst und besorgt. Ängstlich warf er kurze Blicke auf die Esel, um sich dann wieder schnell abzuwenden. Ich lud die Gruppe ein, zu den Eseln auf das Paddock zu kommen.
Nach einer kurzen Eselkunde und den wichtigsten Informationen zu der bevorstehenden Unternehmung durfte sich jeder Teilnehmer einen Esel aussuchen. Nach und nach fanden sich die Esel-Mensch-Partner zusammen, mit Ausnahme von Matteo und Benny. Die Teilnehmer begannen, ihren Esel zu striegeln. Der beste Weg, damit Mensch und Tier sich beschnuppern können, im wahrsten Sinne des Wortes.
Eine Annäherung
Matteo lehnte teilnahmslos und ein wenig verloren am Stahlgitter der Absperrung. Auf meine Annäherungsversuche reagierte er nicht. Da ergriff mein Esel Benny die Initiative. Benny näherte sich langsam Matteo. Bei Matteo angekommen, stupste er ihn sanft mit seinen Nüstern an. Diese tierische Körpersprache bedeutet: Hab keine Angst! Matteo berührte mit ausgestrecktem Arm zum ersten Mal Bennys weiches Fell, griff sich einen Striegel und fing an, wenn auch schweigend und skeptisch, Benny zu striegeln. Der Anfang war geschafft. Ich war erleichtert und zuversichtlich. Zu diesem Zeitpunkt hatte Matteo noch kein einziges Wort gesprochen. Das Striegeln war vorbei, die Esel aufgetrenst und den Teilnehmern hatte ich alles Wichtige über das Führen eines Esels erklärt und gezeigt. Die Tour konnte beginnen. Die Mensch-Esel-Paare verließen nach und nach das Paddock. Matteo und Benny bildeten das letzte Paar. Die ersten fünfhundert Meter gestalteten sich wie immer etwas schwierig. Mensch und Tier mussten sich aneinander gewöhnen, einen gemeinsamen Rhythmus finden, lernen, aufeinander zu achten.
Was das Zusammensein bewirkte
Matteo und Benny waren vorsichtig miteinander unterwegs. Benny wurde vom schweigenden Matteo korrekt geführt, mit beiden Händen hielt er locker die Zügel. Alles bestens. Am Ende dieser ersten Strecke führte der Tourenweg in ein Hochmoor, mitten in einem Naturschutzgebiet. Mit jedem zurückgelegten Meter wurden die Teilnehmer immer sicherer im Umgang mit ihren Eseln.
Ich lief hinter Benny und Matteo. Kaum im Hochmoor angekommen, sah ich, wie Matteo seinen rechten Arm um Bennys Hals legte. Das Ende der Zügel lag lose in Matteos linker Hand. Benny hätte sich mühelos aus dieser Umarmung lösen können. Aber Benny blieb bei Matteo. Seine Ohren waren gespitzt. Benny hörte irgendetwas. Es war die Stimme von Matteo. Matteo redete mit Benny!
Mit fester Stimme erzählte er Benny Erlebnisse aus seinem Leben. Dabei umfasste sein rechter Arm weiterhin zärtlich Bennys Hals. Ich überholte die beiden. Das, was Matteo Benny anvertraute, war nur für Bennys Ohren bestimmt, nicht für meine. Ich blickte kurz zu ihnen zurück. Matteo strahlte Glück, Zufriedenheit und Lebensfreude aus. Ganz im Hier und Jetzt genoss er offenkundig die Nähe, Wärme und Aufmerksamkeit seines Weggefährten. Benny blieb vier Stunden an Matteos Seite, in seiner Umarmung und lauschte seiner Stimme. Am Ende der Tour kehrten sechs glückliche junge Männer mit ihren Eselpartnern zurück auf das Paddock. Als Dankeschön und zum Abschied erhielten die Esel noch viele Streicheleinheiten und Karottenstückchen. Danach verließ Matteo als erster schweigend das Paddock und verschwand im Kleinbus. Beim Abschied von Benny verriegelten sich wieder die Türen und Fenster zu seiner Seele. Aber für einige Stunden hatte Matteo durch das Zusammensein mit Benny einen Weg gefunden, aus seiner inneren Welt herauszutreten.
Eine Brücke zwischen Mensch und Tier
Für die tiergestützte Intervention sind besonders die seit Jahrtausenden domestizierten Haustiere wie Hunde, Katzen, Pferde und Esel geeignet, um nur einige Tierarten hier zu nennen. In der tiergestützten Intervention innerhalb einer Gesprächsbegleitung oder einer Therapie übernimmt das Tier eine Brückenfunktion. Die greifbare Anwesenheit eines Tieres, seine Nähe und Wärme, die Berührungen mit dem weichen Fell beim Streicheln, das Erleben, dass sich ein Tier dem Menschen zuwendet, Kontakt aufnimmt und eine außergewöhnliche Kommunikation stattfinden kann, helfen dem Menschen, sich zu öffnen, seine Fragen, Probleme, sein Leben ins Wort zu bringen. Gerade Esel sind sehr soziale, vorsichtige und sensible Tiere. Sie sind in der Lage, die innere Verfassung eines Menschen zu erspüren und dem Menschen widerzuspiegeln. Das Zusammensein auf Fell-Fühlung mit diesen Tieren kann zu einer besonderen inneren Dynamik führen in Bezug auf Selbsterkenntnis und Klärung. Dazu fallen mir zwei Beispiele ein.
In diesem Fall ereignete es sich auf einer Eseltour bei einem Teamtag für leitende Angestellte. Ein Manager fand absolut keinen Zugang zu den Eseln. In diesem „Scheitern“ wurde ihm bewusst, dass er sich noch nie für die Ideen und Belange seiner Mitarbeiter interessiert hatte. Meine Esel spiegelten ihm seine innere Haltung wider. Im anderen Fall waren ein Oberarzt mit seinen Pflegekräften auf einer Eseltour unterwegs. Auch dieses Unternehmen war als teamfördernde Maßnahme gedacht. Der Oberarzt kam mit keinem Esel zurecht. Keiner meiner Esel ließ sich von ihm führen. Schließlich hatte er auf dieser Tour keinen Esel als Wegbegleiter. Dafür erkannte er über seinen Umgang mit den Eseln, dass er im Umgang mit seinen Mitarbeitern mit viel zu viel Druck arbeitete. Auch bei ihm haben meine Esel seine innere Haltung und Verfassung widergespiegelt. Esel tolerieren keinen Druck. Sie wollen motiviert werden.
Meine Lehrmeister
Meine ersten drei Esel kamen vor über zwanzig Jahren zu mir. Alle drei hatten bei ihren Vorbesitzern keine guten Erfahrungen gemacht. Es brauchte viel Zeit, bis die drei sich entschieden, sich noch einmal auf einen Menschen einzulassen. Meine Esel waren und sind meine besten Lehrmeister in Sachen Geduld, Gelassenheit, Achtsamkeit und Nervenstärke. Darin werden wir uns immer ähnlicher. Dafür ließen sie sich von mir trainieren, ihre Talente und Begabungen in der tiergestützten Intervention einzusetzen. Das Zusammenleben und Zusammenarbeiten mit meinen langohrigen Vierbeinern erfüllen mich mit Zuversicht, Lebensfreude und Dankbarkeit. Täglich erfahre ich ihre Treue, ihr Vertrauen und ihre Zuwendung zu mir. Wir sind alle Geschöpfe Gottes. Jeder Mensch ist eine einzigartige Persönlichkeit. Jeder Esel hat seinen ureigenen Charakter. Das Miteinander von Mensch und Tier ist ein Weg, Lebensfreude und Zuversicht zu finden, auch in schwierigen Zeiten, insofern der Mensch sich auf Tiere einlassen kann und will.