Alltag, Glaube und eine wichtige FrageEin Abstecher in den Stadtteil Flaminio

Rom ist mehr als Prunk und Pilgerziele. Im Stadtteil Flaminio lässt sich das alltägliche Leben entdecken – und ein Ort, der an Zivilcourage in schweren Zeiten erinnert.

Santa Croce in Via Flaminia
In der Kirche Santa Croce in Via Flaminia wurden während der deutschen Besatzung Juden versteckt.© Croberto68/gemeinfrei/Wikimedia Commons

Ganz ehrlich: Manchmal reicht es mit dem ganzen Herrlich – Heilig – Historisch. Überall wahnsinnig beeindruckende Bauten, überwältigende Zeugnisse christlich-abendländischer Kultur, nahezu unzählige Heilige, riesige Kirchen. Manchmal wäre etwas mehr Alltag, ein wenig mehr Normalität und Nüchternheit auch ganz schön und ebenso Abstand von dem, wonach Touristen aus aller Herren Länder wenigstens für ein paar Tage verständlicherweise massenweise hinstreben. Rom kann bei aller Grandezza und Bellezza der bekannten Highlights auch auf die Nerven gehen.

Aber Gott sei Dank – Rom ist groß genug und so gibt es auch genügend Alltägliches. Da reicht schon eine kurze Fahrt mit der Straßenbahn von der oftmals gut gefüllten Piazza del Popolo etwas tiefer hinein in den in schnurgerader Linie gleich angrenzenden Stadtteil Flaminio. Eine Wohngegend mit Schulen, Kindergärten, Fitnesscentern, Markt, Polizeikasernen, Bars, Läden für Alltagsdinge, Ärzten. Es ist im Vergleich zur Innenstadt nicht unbedingt ein Hotspot für Touristen. Und trotzdem finden sich hier und im Umfeld ganz interessante Sachen: gleich angrenzend in der Nähe das Auditorium Parco della Musica, eine Mischung aus Philharmonie und Tagungszentrum, das in Form von drei Skarabäen nicht nur Säle, sondern auch einen großen Buchladen, Caffe, Bar und Restaurant beherbergt. Dann vor allem das MAXXI (Museo nazionale delle arti del XXI secolo), ein futuristisch anmutendes Gebäude der weltbekannten irakisch-britischen Architektin Zaha Hadid. Es ist ein Zeugnis moderner Architektur, das nicht nur mit seinen Formen beeindruckt, sondern auch mit der Fähigkeit, als Stadtviertel-Treffpunkt auf seinem Gelände unterschiedlichste Menschen zusammenzubringen.

In der Kirche Santa Croce in Via Flaminia wurden während der Besatzung Roms durch das nationalsozialistische Deutschland verfolgte Juden versteckt.

Ja, und dann ist da gleich daneben auch noch die Kirche Santa Croce in Via Flaminia. Sie ist zwar seit den Sechzigerjahren Titelkirche für einen Kardinal, aber eigentlich eine ganz normale Pfarrkirche, errichtet Anfang des 20. Jahrhunderts in stilistischer Anlehnung an mittelalterliche römische Kirchenbauten. Wie gesagt, nichts Besonderes – auf den ersten Blick. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man aber eine kleine Hinweistafel im Vorgarten des Pfarrhauses. Hier bzw. in den Nebengebäuden der Kirche wurden während der Besatzung Roms durch das nationalsozialistische Deutschland verfolgte Juden versteckt und vor Deportation und sicherem Tod geschützt. Dies wirkt umso erstaunlicher, als man sich ziemlich nah dem Sportstättenkomplex Foro Italico befindet, einem der zentralen "Marker" der Herrschaft von den mit den deutschen Nazis verbündeten italienischen Faschisten Mussolinis. Im Vergleich zu dessen Monumentalstil erscheint die Kirche verloren, und doch wurde hier im Kleinen ganz Großes geleistet.

Wie viel ist mein Glaube wert?

Jedes Mal, wenn ich an dieser Kirche vorbeikomme, kommen mir die gleichen Gedanken in den Sinn. Zum einen das kaum in Worte zu fassende Erschrecken über das, was in deutschem Namen weit weg von zu Hause in fremden Ländern verbrochen wurde. Zum anderen aber auch die stets gleiche Frage an sich selbst: Wärst du fähig, aus deinem Glauben heraus das zu tun, was die Menschen dieser Pfarrei vor rund 80 Jahren gemacht haben? Diese Frage, die sich auch darum dreht, was der eigene Glaube eigentlich wert ist, wie sehr man ihn in den eigenen Alltag wirklich hineinlässt, was er mit einem macht, wird hier nicht durch ein touristisches Unterhaltungsprogramm verdrängt, nicht durch kunsthistorische Ausführungen von Stadtführern und Stadtführerinnen überdeckt, nicht vom Angebot der Andenkenverkäufer bagatellisiert. Sie hallt einfach nach, fordert heraus. Schon allein deswegen lohnt ein Besuch in diesem Stadtviertel mit seinem ganz normalen Leben. 

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