I.
Kitsch ist Sünde – davon war Richard Egenter fest überzeugt. In seiner Abhandlung Kitsch und Christenleben, die 1950 im Buch- und Kunstverlag Abtei Ettal erschien, warnte der Münchner Moraltheologe eindringlich vor dieser satanischen Versuchung. Schon im Geleitwort macht er deutlich, "daß der 'Vater der Lüge' im Kitsch ein bequemeres und wirksameres Mittel besitzt, um die Massen dem Heil zu entfremden, als in den Skandalstücken, welche die sittliche Abwehr der noch irgendwie Gutgesinnten wachrufen." Religiöser Kitsch sei gerade deshalb so heimtückisch, weil hier "der Teufel Homöopathie treibt und das sittlich Minderwertige in harmlosen Dosierungen so vielen Unternehmungen 'zu guten Zwecken' beimischt".
Es ist die Entstellung der Erlösungsbotschaft, die Egenter dem Kitsch vorwirft, so er etwa die heiligen Engel als Gewimmel fröhlich-nackter Putten oder die Märtyrer gänzlich unbehelligt von Schmerz und Leid in Szene setzt. "Unsere kitschigen Heiligenstatuen bieten uns beneidenswert unstrapazierte Bürger des christlichen Arkadien. Ginge es nach ihnen, wäre das Heiligwerden eine sanfte, angenehme, wenn auch langweilige Prozedur. Das aber färbt ab auf das Empfinden dessen, der vor solchen Statuen zu beten pflegt." Wo der Kampf gegen die Sünde von schablonenhafter Lieblichkeit übertüncht, wo "Bravheit ohne Heilsangst" propagiert werde, werde der Acedia, der Trägheit des Geistes und des Herzens, zugearbeitet.
Aus diesem Grund nimmt Egenter Anstoß an niedlichen Andachtsbildern und koketten Madonnenfiguren, verurteilt aufdringlich-schulmeisterliche Erbauungsliteratur und den "unerleuchteten seelsorgerlichen Eifer", der in Ordensblättern, Kirchenzeitungen oder Pfarrbibliotheken die Feder führt. Gleichermaßen kritisiert er verkitschte Kirchen- und Volkslieder, mokiert sich über "manche zeitgenössischen Bekenntnislieder in moll" und über "Kampf- und Stampflieder verbissener christlicher Entschlossenheit".
Mit Empörung stellt der Moraltheologe fest, dass Gnadenbilder gar auf Bierglasdeckeln vertrieben werden. Solcherlei kann uns heute, wo uns Kühlschrankmagnete, Tassen und Pillendöschen mit Heiligenbildchen zuhauf feilgeboten werden, kaum mehr schockieren.
Auch die Priesterschaft nimmt Egenter kritisch in den Blick: "Immer wenn der Priester das Religiöse nicht ganz religiös vollzieht und seinem Geltungstrieb oder Genußstreben Raum gewährt, ist die Gefahr des Kitsches eine unmittelbar drohende. Die priesterliche Tätigkeit ist dann in ihrem sittlichen Wert getrübt und gewinnt den Anschein der hohlen Fassade". Und eine verkitschte Predigt, stellt Egenter pointiert fest, "nimmt den Sauerstoff aus der geistlichen Atmosphäre des Gotteshauses".
Dass schließlich Devotionalien – von Pilgern zur "religiösen Heimausstattung" als Wallfahrtsandenken mitgebracht – den Moraltheologen irritieren, verwundert nicht. Mit Empörung stellt er fest, dass Gnadenbilder gar auf Bierglasdeckeln vertrieben werden. Solcherlei kann uns heute, wo uns Kühlschrankmagnete, Tassen und Pillendöschen mit Heiligenbildchen zuhauf feilgeboten werden, kaum mehr schockieren.
II.
Auch Luce, das offizielle Maskottchen zum Heiligen Jahr 2025, gibt es in Devotionalienläden und Onlineshops zu kaufen: als Figur aus Plüsch oder Vinyl, als Anstecknadel, Schlüsselanhänger oder Lesezeichen. "Niedlicher hat sich der Heilige Geist noch nie offenbart", heißt es in der Zeit über das im Auftrag des Vatikans entworfene Pilgermaskottchen, das mit seinem überproportional großen Kopf und riesigen Kulleraugen einer japanischen Zeichentrickserie entsprungen zu sein scheint. Ganz offensichtlich nimmt Luce Anleihen an der Niedlichkeitsästhetik der um das Kindchenschema kreisenden Kawaii-Kultur, die zahlreiche Anhänger – längst nicht nur in Japan – hat.
III.
"Jedermann weiß, was Kitsch ist, und niemand kann eine präzise Deutung darüber geben", schreibt der jüdisch-österreichische Journalist und Schriftsteller Fritz Karpfen, der als erster eine Monografie zum Thema vorgelegt hat, nämlich die 1924 erschienene Publikation Der Kitsch. Eine Studie über die Entartung der Kunst, in der er zum kulturkritischen Rundumschlag ausholt.
Bis heute ist der Kitsch-Begriff unscharf und seine etymologische Herkunft ungeklärt. Erstmals 1881 in Künstlerkreisen in Berlin nachgewiesen, etabliert er sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als ästhetischer Abwertungsbegriff. Im Hinblick auf die Gepflogenheit von Bildungsreisenden, auf ihrer Grand Tour schnell hingeworfene Kopien bedeutender Kunstwerke zu erwerben, wird eine Herleitung aus dem englischen sketch ("Skizze", "flüchtige Malerei") in Erwägung gezogen. Eine mundartliche Rückführung ist ebenfalls denkbar. Beispielsweise findet sich im Pfälzischen Wörterbuch unter dem Lemma "Kitsch" die Begriffserklärung "dummes Zeug" mit dem aufschlussreichen Verweis auf das Verb "kitschen": "den Straßenschlamm mit der Kitsche zusammenscharren".
In seinem Vortrag Über die Dummheit (1937) kommt auch Robert Musil auf das Wort "Kitsch" zu sprechen und konstatiert, dass es "als erstes Urteil unter Künstlern selbst so beliebt ist wie kein anderes". Wer im ästhetischen Diskurs einen Gegenstand als kitschig bezeichnete, grenzte ihn als degoutant, minderwertig und unbrauchbar aus der Sphäre echter Kunst aus. Nicht zuletzt war damit eine Reaktion auf die zunehmende Industrialisierung verbunden, die erstmals die massenhafte Herstellung von Kunstprodukten und ihre Verbreitung auch in den unteren Gesellschaftsschichten ermöglichte. Karpfen meint ebensolche Massenware, wenn in seiner Studie abschätzig von "Schmücke-dein-Heim-Bildern" die Rede ist.
Galt in der Kunstwelt damals noch die Devise "Kunst versus Kitsch", hat im Kunstbetrieb der Postmoderne ein Einverleibungsprozess eingesetzt, der das Kitschige nicht mehr als billigen Abklatsch verschmäht, sondern es mit offenen Armen begrüßt – und in Kunst ummünzt.
IV.
Galt in der Kunstwelt damals noch die Devise "Kunst versus Kitsch", hat im Kunstbetrieb der Postmoderne ein Einverleibungsprozess eingesetzt, der das Kitschige nicht mehr als billigen Abklatsch verschmäht, sondern es mit offenen Armen begrüßt – und in Kunst ummünzt. Das Œuvre des US-amerikanischen Gegenwartskünstlers Jeff Koons liefert hierfür ein Beispiel. Von Beginn seines künstlerischen Schaffens an schöpft Koons aus Produkten und Motiven der Konsum- und Medienkultur. Der internationale Durchbruch gelang ihm 1988 mit der Werkgruppe Banality, für die er von Oberammergauer Holzschnitzern und italienischen Keramikern aufwändige Holz- und Porzellanskulpturen anfertigen ließ, die Kitschobjekte wie Plüschteddys, Nippes oder Cartoonfiguren in vergrößertem Maßstab reproduzieren. Der Slogan, den Koons dazu begleitend lancierte, lautete: "Banality as Saviour".
In der Sammlung der Stuttgarter Staatsgalerie ist mit St. John the Baptist ein emblematisches Exemplar dieser Serie vertreten. Leonardo da Vincis um 1513 entstandenem Gemälde Johannes der Täufer nachempfunden, zeigt Koons' Keramik den Heiligen im Fellgewand als lächelnden Jüngling mit langem, gelocktem Haar und androgynen Gesichtszügen. Wie in der Vorlage weist er mit dem ausgestreckten Zeigefinger der rechten Hand gen Himmel. Auch den Kreuzstab, den Johannes in seiner Linken hält, hat Koons übernommen, lässt ihn als Attribute jedoch ein Ferkel und einen Pinguin im Arm halten. Bestehend aus farbigem und teilvergoldetem Porzellan weckt die Plastik Assoziationen an ein überdimensioniertes Souvenir, in dem christliche Ikonografie und Motive populärer Massenproduktion eine blasphemische Verbindung eingehen.
Für den Künstler spielt St. John the Baptist eine Schlüsselrolle innerhalb der Banality-Werkserie. "For me, this is a symbol of being baptized in the mainstream", sagt er über seine Johannesfigur, "to be baptized in banality." Statt einer Befreiung vom Kitsch promotet Koons eine Kunstreligion, die Erlösung im Banalen, Geistlosen und Vulgären verspricht.
V.
In Kitsch und Christenleben ruft Richard Egenter – unter dem Stichwort "Schutträumung" – zur Eindämmung und Überwindung frommen Kitsches auf. An den Seelsorger appelliert er, nach Kunstwerken Ausschau zu halten, die nicht unter "religiösem Vorwand" geschaffen wurden, sondern von echter Frömmigkeit ebenso wie von künstlerischem Talent und technisch-handwerklichem Können zeugen. Dabei seien zeitgemäße "volksnahe, gesunde Formen" vonnöten. Den Historismus des 19. Jahrhunderts lehnt Egenter als unecht und daher als 'religiös unzulänglich' ab.
Mithin teilt er die Einstellung der französischen Dominikanerpatres Marie-Alain Couturier und Pie-Raymond Régamey, die – von 1937 an Herausgeber der Zeitschrift L'Art Sacré – für eine Reformbewegung zur Erneuerung kirchlicher Kunst warben. Auch sie verurteilten religiösen Kitsch als bloße "Befriedigungskunst" und beklagten die verlogene Sentimentalität der Saint-Sulpicerie, benannt nach der Pariser Kirche Saint-Sulpice, in deren Umkreis sich zahllose Devotionalienläden niedergelassen hatten. Von Couturier ist überliefert, dass er in Kirchen Statuen ebenjener Kategorie eigenhändig zerstört haben soll. Die Patres forderten épuration: die Säuberung des Sakralraums.
Das Aufzeigen der Kitschproblematik im religiösen Bereich trug Früchte. So legte das Zweite Vatikanische Konzil 1963 in der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium fest, dass Bilder zur Verehrung nur in "mäßiger Zahl und rechter Ordnung aufgestellt" werden sollen, um Übertreibungen oder eine ungesunde Frömmigkeit zu vermeiden. Und weiter ist in der Konstitution zu lesen:
"Die Bischöfe mögen darauf hinwirken, daß von den Gotteshäusern und anderen heiligen Orten streng solche Werke von Künstlern ferngehalten werden, die dem Glauben, den Sitten und der christlichen Frömmigkeit widersprechen und die das echt religiöse Empfinden verletzen, sei es, weil die Formen verunstaltet sind oder weil die Werke künstlerisch ungenügend, allzu mittelmäßig oder kitschig sind [artis insufficientiam, mediocritatem ac simulationem]."
In der Folge wurden kritische Stimmen laut, die in der angeordneten 'Schutträumung' ikonoklastische Tendenzen erkannten. Hörbar klingt diese Kritik in den Worten von Papst Benedikt XVI. nach, wenn er auf die konziliare Reform zurückblickt: "Der Bildersturm", vermerkt er in Der Geist der Liturgie (2000), "hat manches Kitschige und Unwürdige beiseitegeschafft, aber zuletzt auch eine Leere hinterlassen, deren Armseligkeit wir inzwischen wieder recht deutlich empfinden."
VI.
Was in der theologischen Kunstkritik zuweilen aus dem Blickfeld gerät, ist der Umstand, dass auch am vermeintlich kitschigen Kultobjekt authentische Glaubenserfahrungen möglich sind, dass also dem künstlerisch 'Minderwertigen' eine geistige Wirkkraft, losgelöst von ästhetischen Maßstäben, innewohnen kann. Ein sprechendes Zeugnis hierfür findet sich in den 1969 veröffentlichten Lettres à un mécréant von Mutter Marie-Yvonne, die vier Jahre später in deutscher Übersetzung unter dem Titel Gott in mir. Briefe über den Glauben im Herder-Verlag erschienen.
In einem dieser Briefe berichtet die Benediktinerin vom Bekehrungserlebnis eines Bekannten, der beim Besuch der Basilika Santa Maria sopra Minerva in Rom zum katholischen Glauben zurückfand – just vor einer kitschigen Rosenkranzmadonna, puppengleich in Stoffgewändern gekleidet und mit reichlich Brillanten, Halsketten und Rosenkränzen behängt. "Ich weiß nicht", notiert Mutter Marie-Yvonne, "ob die Kunst von Saint-Sulpice jemals eine vergleichbare hervorgebracht hat." Sie erzählt, dass sie sich für den wieder abgereisten Freund auf die Suche nach einer Reproduktion der Marienfigur machte, nur um festzustellen, dass es in der Kirche keine zu erwerben gab.
Was in der theologischen Kunstkritik zuweilen aus dem Blickfeld gerät, ist der Umstand, dass auch am vermeintlich kitschigen Kultobjekt authentische Glaubenserfahrungen möglich sind, dass also dem künstlerisch 'Minderwertigen' eine geistige Wirkkraft, losgelöst von ästhetischen Maßstäben, innewohnen kann.
Schließlich führte sie ein hilfsbereiter Dominikanerbruder in eine abgelegene Sakristei, wo er in den Tiefen eines Schrankes einen Stapel der gesuchten Bildchen hervorholte. Sie waren, weil die Rosenkranzkönigin als so wenig künstlerisch galt, weggeräumt worden.
Als sie das Bild nun endlich versenden wollte, kamen der Benediktinerin Zweifel. War es vielleicht doch ein anderes, viel kunstvolleres Werk, das den Freund in der Basilika bekehrt hatte?
"Ich schrieb an Herrn X: War die Jungfrau, von der er mir erzählt hatte, die mit den Kerzen, mit den Gewändern und dem Schmuck? Und Herr X schrieb zurück: 'Jawohl, es ist die gar nicht schöne Statue, aber für mich ist sie eben schön.' Ich sandte ihm die Reproduktion. Seinen Dank kann ich Ihnen nicht beschreiben."
Heute ist besagte Mariendarstellung aus Santa Maria sopra Minerva verschwunden – sie dürfte der 'Schutträumung' zum Opfer gefallen sein.