Im elsässischen Straßburg lässt sich viel Sehenswertes bestaunen – allen voran das Münster als weithin sichtbares Wahrzeichen der Stadt. Daneben bietet die „Eurometropolis“ eine Vielzahl weiterer Kirchen, die es zu besuchen lohnt. Eine davon scheint in Stadt- und Reiseführern jedoch wie ausradiert: die katholische Jung-Sankt-Peter-Kirche im deutschen Viertel, der sogenannten Neustadt. Eine Spurensuche

I.

Schon oft streifte ich in Straßburg, dem Ausflugsziel seit Kindertagen, durch die mittelalterlich geprägte Altstadt. Wer die Grande-Île gesehen hat – mit ihren herausragenden Bauten, den verwinkelten Gassen und malerischen Brücken – wundert sich nicht, dass sie 1988 zum Weltkulturerbe erklärt wurde. 2017 erfuhr die Kulturerbestätte eine Erweiterung: Die im späten 19. Jahrhundert errichtete Neustadt, jenseits der Ill, bildet zusammen mit der Altstadtinsel "a characteristic example of a European Rhineland city", so die UNESCO.

Auch beim Flanieren durch die Straßburger Neustadt kann man Erstaunlichem begegnen. Folgen wir etwa dem Quai Jacques Sturm, von der Universitätsbibliothek kommend, bis ans Ende des Viertels und wenden den Blick nach rechts, so sehen wir eine imposante Kirche mit neoromanischer Doppelturmfassade und wuchtiger Kuppel, aus rotem Sandstein und von blassgrünen Kupferdächern bekrönt.

II.

Wer in aktuellen Stadtführern nach Informationen über Saint-Pierre-le-Jeune (catholique) sucht, sucht vergebens. Zwar findet man die Kirche in den aufzufaltenden Stadtkarten eingezeichnet, als Sehenswürdigkeit wird sie allerdings nicht vorgestellt und spielt auch in den anempfohlenen Spazierrouten durch die Neustadt keine Rolle – sie scheint ein blinder Fleck der Straßburg gewidmeten Reiseführerliteratur zu sein. Das mag daran liegen, dass sie im Schatten ihrer gleichnamigen, viel älteren Schwester steht: der mittelalterlichen Église Saint-Pierre-le-Jeune (protestant) im Altstadtkern. Dabei trennen beide Kirchen nur wenige Gehminuten!

III.

Die Ursprünge der älteren Jung-Sankt-Peter-Kirche reichen bis in die Merowingerzeit zurück, auf eine dem Heiligen Kolumban geweihte Kapelle. Im Jahr 1031 gründete Bischof Wilhelm an ihrer Stelle ein Stift und ließ eine Kirche errichten. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts wurde der Bau teilweise erneuert; im späten 13. Jahrhundert entstand der Chor und um 1320 war das Langhaus fertiggestellt.

Die Reformation brachte das Ende der Messe in der freien Reichsstadt und auch Saint-Pierre-le-Jeune wurde protestantisch. Als Straßburg 1681 an Frankreich fiel, begann unter Ludwig XIV. die Rekatholisierung. In diesem Zuge erhielt die katholische Kirche das Straßburger Münster zurück, Jung-Sankt-Peter hingegen wurde zur Simultankirche: Das Langhaus blieb den Protestanten vorbehalten, während der Chor als katholische Stifts- und Pfarrkirche genutzt wurde. Man zog eine Trennwand ein, die Chor und Langhaus voneinander abgrenzte. Im Laufe des 19. Jahrhunderts erwies sich der Chorraum für die katholische Gemeinde als zu klein. 1886 wurde die Lage als "seit zwanzig Jahren unerträglich" bezeichnet – verbunden mit der Hoffnung, die Trennmauer möge fallen und das Langhaus beiden Konfessionen offenstehen. Doch es kam anders. Das Simultaneum, so der Entschluss, sollte enden und im deutschen Viertel ein neues Gotteshaus für die Katholiken errichtet werden.

IV.

Der Grundstein wurde 1889 gelegt, die Weihe fand fünf Jahre später, am 25. Juni 1894, statt. Die neue Jung-Sankt-Peter-Kirche übernahm den Patron der älteren Schwesterkirche, erhielt aber zugleich ein um das Heiligste Herz Jesu erweitertes Patrozinium – Ausdruck der Herz-Jesu-Verehrung, die Papst Leo XIII. in jener Zeit ausdrücklich förderte.

Für den Kirchenbau zeichneten der damalige Straßburger Dombaumeister August Hartel und der dänische Architekt Skjøld Neckelmann verantwortlich, die auch die Universitätsbibliothek und das heutige Théâtre national de Strasbourg entworfen hatten. "Besonders künstlerisches Interesse", lesen wir in der 1894 erschienenen Publikation Straßburg und seine Bauten des Architekten- und Ingenieurvereins für Elsass-Lothringen, "erregt das Bauwerk durch die eigenartige Verschmelzung von Motiven der Frührenaissance – welche sich hauptsächlich in der Grundrissanlage und in der Massenverteilung des Aufbaues finden – mit den Formen des Übergangsstils." Und weiter: "Die Ausführung ist in Bruchsteinen mit einer Blendung von sogenannten Moëllons aus rotem Vogesensandstein bewirkt worden und erforderte rund 637.000 Mark." Bis heute besticht die Kirche durch ihren Stilmix aus Romanik und italienischer Renaissance. Eindrücklich ist freilich ihre Kuppel, mit einer Innenhöhe von 50 Metern und einem Innendurchmesser von 18,5 Metern noch immer die größte im Elsass.

V.

Die Innenausstattung – sie zog sich über ein Jahrzehnt hin – erfolgte nach Entwürfen von Franz Schmitz, der dem 1890 verstorbenen Hartel als Dombaumeister nachgefolgt war. Mit den Arbeiten wurden vornehmlich elsässische Künstler betraut. Der aus Colmar stammende Théophile Klem etwa schuf die eindrucksvolle Kanzel, das Taufbecken sowie die Skulpturen der Altäre in den beiden Seitenchören. Martin Feuerstein aus Barr, Professor für Religiöse Malerei an der Münchner Kunstakademie, lieferte die Kartons für die Mosaiken im Chor. Sie wurden 1911 durch den Mosaikkünstler Simon Theodor Rauecker ausgeführt, Inhaber der Königlich Bayerischen Mosaik-Hofkunstanstalt, der schon an der Innenausgestaltung von Schloss Neuschwanstein mitgewirkt hatte.

Dem Besucher offenbart sich der bis ins Detail reich geschmückte Kircheninnenraum als sorgfältig komponiertes Gesamtkunstwerk. Allein der karg wirkende Altar im Hauptchor will nicht so recht ins Bild passen. Père Eric Wollbrett, der seit September 2021 der Gemeinde von Saint-Pierre-le-Jeune vorsteht und den ich glücklicherweise im Pfarrhaus antreffe, weiß mehr: Im Jahr 1967 wurde der ursprüngliche Hauptaltar aus der Kirche entfernt und durch einen einfachen Steinaltar ersetzt. Es waren also nachkonziliare Bilderstürmer am Werk, stelle ich fest, und Père Wollbrett nickt: "Les Attilas." Wie der einstige Altar mit Herz-Jesu-Statue aussah, lässt sich nur mehr anhand alter Fotografien erahnen.

"Rosa Mystica" von Heinrich Waderé
"Rosa Mystica" von Heinrich Waderé © Giovanna-Beatrice Carlesso

VI.

Eine außergewöhnliche Kostbarkeit der Jung-Sankt-Peter-Kirche ist Heinrich Waderés Rosa Mystica. Die Andachtsfigur, 1893 von dem noch nicht 30-jährigen Künstler begonnen, zeigt die junge Gottesmutter kniend, die Hände vor der Brust gekreuzt, den Kopf demütig gesenkt. Die Sockel-Inschrift "ROSA MYSTICA • ORA PRO NOBIS" verweist auf die Anrufung Mariens als "geheimnisvoller Rose" und "Königin des heiligen Rosenkranzes" in der Lauretanischen Litanei. Auf der Jahresausstellung im Münchner Glaspalast 1894 fand ihr Gipsabguss internationale Beachtung. Ein Jahr später führte sie Waderé für die neue Straßburger Kirche, im Auftrag des Geistlichen Paul Müller-Simonis, in weißem Carrara-Marmor aus.

Waderé, in Colmar geboren, brachte ein staatliches Stipendium an die renommierte Münchner Akademie. 1885 gehörte er zu den Mitbegründern des Albrecht-Dürer-Vereins, der sich dem Studium christlicher Meister und dem Sammeln christlicher Kunst und Schriften widmete. Aus dem Verein ging 1893 die Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst hervor. Seit 1899 unterrichtete Waderé als Professor an der Königlichen Kunstgewerbeschule, daneben führte er ein erfolgreiches Privatatelier und erhielt bedeutende öffentliche wie kirchliche Aufträge, die seinen Ruf als einen der führenden Bildhauer seiner Zeit festigten.

In der von der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst herausgegebenen Monatsschrift teilte er 1923 aufschlussreiche Gedanken. Gewaltsam lasse sich die kirchliche Kunst nicht erneuern, schreibt dort Waderé, "am allerwenigsten von Außenstehenden und Andersgläubigen". Den für die Kirche arbeitenden Künstler müsse daher neben Talent und Genie auch eine tiefe Gläubigkeit auszeichnen. Er solle in der Gemeinschaft der Kirche stehen, mit derselben fühlen und "mit dem mystischen, sakramentalen und liturgischen Leben unserer heiligen Kirche aufs engste verbunden" sein.

Die Rosa Mysica ist bis heute Waderés bekannteste Arbeit. Zahlreiche Reproduktionen – auch auf Postkarten und Andachtsbildchen – trugen zu ihrer Popularität bei. Zu Recht gilt sie als Hauptwerk des Künstlers. Wer der zarten Marmorstatue in Saint-Pierre-le-Jeune gegenübertritt, kann sich von ihrer Wirkung überzeugen. "Wahre christliche Kunst muß ein Gebet, ja eine Predigt sein, und der Gemeinschaft zur Erbauung und Erhebung dienen", erklärte einst Waderé. Mit der Rosa Mystica ist ihm das gelungen.

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